Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ja, kalt ist es, Frau Gräfin. Aber mit der Kälte,
na, das ging' am Ende noch, und der viele Staub, der
oben liegt, das ginge vielleicht auch noch; Staub wärmt.
Und die Dachtraufen und Wetterhähne thun auch keinem
Menschen was ..."

"Aber was ist denn sonst noch?"

"Ach, ich meine bloß die verdammten Dinger, die
Spinnen ..."

"Um Gottes willen, Spinnen?" erschrak Melusine.

"Ja, Spinnen, Frau Gräfin. Aber so ganz schlimme
sind nich dabei. Solche mit 'm Kreuz oben hab' ich bei
uns noch nicht gesehn. Bloß solche, die Schneider heißen."

"Ach, das sind die, die die langen Beine haben."

"Ja, lange Beine haben sie. Aber sie thun einem
nichts. Und eigentlich sind es sehr ängstliche Tiere und
verkriechen sich, wenn sie hören, daß aufgeschlossen wird,
und bloß wenn Krippenstapel kommt, dann kommen sie
alle 'raus un kucken sich um. Krippenstapeln, den kennen
sie ganz gut, und ich hab' auch mal gesehn, daß er ihnen
Fliegen mitbringt, und machen sich dann gleich drüber her."

"Aber das ist ja grausam. Ist es denn ein guter
Mensch?"

"O, sehr gut, Frau Gräfin. Und als ich ihm mal
so was sagte, sagte er: ,Ja, Engelke, das is nu mal so;
einer frißt den andern auf'."

Das Gespräch setzte sich noch eine Weile fort; dann
sagte Melusine: "Nun, Engelke, ist es aber wohl die höchste
Zeit für das Museum, sonst komm' ich zu spät und seh'
und höre gar nichts mehr. Ich bin nun auch wieder
warm geworden." Dabei erhob sie sich und stieg die
Doppeltreppe hinauf und klopfte. Sie wollte nicht gleich
eintreten.

Auf ihr Klopfen wurde sehr bald von innen her ge¬
öffnet, und Krippenstapel, mit der Hornbrille, stand vor
ihr. Er verbeugte sich und trat zurück, um den Platz

„Ja, kalt iſt es, Frau Gräfin. Aber mit der Kälte,
na, das ging' am Ende noch, und der viele Staub, der
oben liegt, das ginge vielleicht auch noch; Staub wärmt.
Und die Dachtraufen und Wetterhähne thun auch keinem
Menſchen was ...“

„Aber was iſt denn ſonſt noch?“

„Ach, ich meine bloß die verdammten Dinger, die
Spinnen ...

„Um Gottes willen, Spinnen?“ erſchrak Meluſine.

„Ja, Spinnen, Frau Gräfin. Aber ſo ganz ſchlimme
ſind nich dabei. Solche mit 'm Kreuz oben hab' ich bei
uns noch nicht geſehn. Bloß ſolche, die Schneider heißen.“

„Ach, das ſind die, die die langen Beine haben.“

„Ja, lange Beine haben ſie. Aber ſie thun einem
nichts. Und eigentlich ſind es ſehr ängſtliche Tiere und
verkriechen ſich, wenn ſie hören, daß aufgeſchloſſen wird,
und bloß wenn Krippenſtapel kommt, dann kommen ſie
alle 'raus un kucken ſich um. Krippenſtapeln, den kennen
ſie ganz gut, und ich hab' auch mal geſehn, daß er ihnen
Fliegen mitbringt, und machen ſich dann gleich drüber her.“

„Aber das iſt ja grauſam. Iſt es denn ein guter
Menſch?“

„O, ſehr gut, Frau Gräfin. Und als ich ihm mal
ſo was ſagte, ſagte er: ‚Ja, Engelke, das is nu mal ſo;
einer frißt den andern auf'.“

Das Geſpräch ſetzte ſich noch eine Weile fort; dann
ſagte Meluſine: „Nun, Engelke, iſt es aber wohl die höchſte
Zeit für das Muſeum, ſonſt komm' ich zu ſpät und ſeh'
und höre gar nichts mehr. Ich bin nun auch wieder
warm geworden.“ Dabei erhob ſie ſich und ſtieg die
Doppeltreppe hinauf und klopfte. Sie wollte nicht gleich
eintreten.

Auf ihr Klopfen wurde ſehr bald von innen her ge¬
öffnet, und Krippenſtapel, mit der Hornbrille, ſtand vor
ihr. Er verbeugte ſich und trat zurück, um den Platz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0369" n="362"/>
          <p>&#x201E;Ja, kalt i&#x017F;t es, Frau Gräfin. Aber mit der Kälte,<lb/>
na, das ging' am Ende noch, und der viele Staub, der<lb/>
oben liegt, das ginge vielleicht auch noch; Staub wärmt.<lb/>
Und die Dachtraufen und Wetterhähne thun auch keinem<lb/>
Men&#x017F;chen was ...&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber was i&#x017F;t denn &#x017F;on&#x017F;t noch?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ach, ich meine bloß die verdammten Dinger, die<lb/>
Spinnen <choice><sic>.,.</sic><corr>...</corr></choice>&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Um Gottes willen, Spinnen?&#x201C; er&#x017F;chrak Melu&#x017F;ine.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, Spinnen, Frau Gräfin. Aber &#x017F;o ganz &#x017F;chlimme<lb/>
&#x017F;ind nich dabei. Solche mit 'm Kreuz oben hab' ich bei<lb/>
uns noch nicht ge&#x017F;ehn. Bloß &#x017F;olche, die Schneider heißen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ach, das &#x017F;ind die, die die langen Beine haben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, lange Beine haben &#x017F;ie. Aber &#x017F;ie thun einem<lb/>
nichts. Und eigentlich &#x017F;ind es &#x017F;ehr äng&#x017F;tliche Tiere und<lb/>
verkriechen &#x017F;ich, wenn &#x017F;ie hören, daß aufge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wird,<lb/>
und bloß wenn Krippen&#x017F;tapel kommt, dann kommen &#x017F;ie<lb/>
alle 'raus un kucken &#x017F;ich um. Krippen&#x017F;tapeln, den kennen<lb/>
&#x017F;ie ganz <choice><sic>gnt</sic><corr>gut</corr></choice>, und ich hab' auch mal ge&#x017F;ehn, daß er ihnen<lb/>
Fliegen mitbringt, und machen &#x017F;ich dann gleich drüber her.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber das i&#x017F;t ja grau&#x017F;am. I&#x017F;t es denn ein guter<lb/>
Men&#x017F;ch?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;O, &#x017F;ehr gut, Frau Gräfin. Und als ich ihm mal<lb/>
&#x017F;o was &#x017F;agte, &#x017F;agte er: &#x201A;Ja, Engelke, das is nu mal &#x017F;o;<lb/>
einer frißt den andern auf'.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Ge&#x017F;präch &#x017F;etzte &#x017F;ich noch eine Weile fort; dann<lb/>
&#x017F;agte Melu&#x017F;ine: &#x201E;Nun, Engelke, i&#x017F;t es aber wohl die höch&#x017F;te<lb/>
Zeit für das Mu&#x017F;eum, &#x017F;on&#x017F;t komm' ich zu &#x017F;pät und &#x017F;eh'<lb/>
und höre gar nichts mehr. Ich bin nun auch wieder<lb/>
warm geworden.&#x201C; Dabei erhob &#x017F;ie &#x017F;ich und &#x017F;tieg die<lb/>
Doppeltreppe hinauf und klopfte. Sie wollte nicht gleich<lb/>
eintreten.</p><lb/>
          <p>Auf ihr Klopfen wurde &#x017F;ehr bald von innen her ge¬<lb/>
öffnet, und Krippen&#x017F;tapel, mit der Hornbrille, &#x017F;tand vor<lb/>
ihr. Er verbeugte &#x017F;ich und trat zurück, um den Platz<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0369] „Ja, kalt iſt es, Frau Gräfin. Aber mit der Kälte, na, das ging' am Ende noch, und der viele Staub, der oben liegt, das ginge vielleicht auch noch; Staub wärmt. Und die Dachtraufen und Wetterhähne thun auch keinem Menſchen was ...“ „Aber was iſt denn ſonſt noch?“ „Ach, ich meine bloß die verdammten Dinger, die Spinnen ...“ „Um Gottes willen, Spinnen?“ erſchrak Meluſine. „Ja, Spinnen, Frau Gräfin. Aber ſo ganz ſchlimme ſind nich dabei. Solche mit 'm Kreuz oben hab' ich bei uns noch nicht geſehn. Bloß ſolche, die Schneider heißen.“ „Ach, das ſind die, die die langen Beine haben.“ „Ja, lange Beine haben ſie. Aber ſie thun einem nichts. Und eigentlich ſind es ſehr ängſtliche Tiere und verkriechen ſich, wenn ſie hören, daß aufgeſchloſſen wird, und bloß wenn Krippenſtapel kommt, dann kommen ſie alle 'raus un kucken ſich um. Krippenſtapeln, den kennen ſie ganz gut, und ich hab' auch mal geſehn, daß er ihnen Fliegen mitbringt, und machen ſich dann gleich drüber her.“ „Aber das iſt ja grauſam. Iſt es denn ein guter Menſch?“ „O, ſehr gut, Frau Gräfin. Und als ich ihm mal ſo was ſagte, ſagte er: ‚Ja, Engelke, das is nu mal ſo; einer frißt den andern auf'.“ Das Geſpräch ſetzte ſich noch eine Weile fort; dann ſagte Meluſine: „Nun, Engelke, iſt es aber wohl die höchſte Zeit für das Muſeum, ſonſt komm' ich zu ſpät und ſeh' und höre gar nichts mehr. Ich bin nun auch wieder warm geworden.“ Dabei erhob ſie ſich und ſtieg die Doppeltreppe hinauf und klopfte. Sie wollte nicht gleich eintreten. Auf ihr Klopfen wurde ſehr bald von innen her ge¬ öffnet, und Krippenſtapel, mit der Hornbrille, ſtand vor ihr. Er verbeugte ſich und trat zurück, um den Platz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/369
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/369>, abgerufen am 17.06.2024.