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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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freizugeben. Aber Melusine, deren Angst vor ihm wieder¬
kehrte, zauderte, was eine momentane Verlegenheit schuf.
Inzwischen war aber auch Dubslav herangekommen. "Ich
fürchtete schon, daß Lorenzen Sie nicht herausgeben würde.
Seine Gelegenheiten, hier in Stechlin ein Gespräch zu
führen, sind nicht groß und nun gar ein Gespräch mit
Gräfin Melusine! Nun, er hat es gnädig gemacht. Jetzt
aber, Gräfin, halten Sie gefälligst Umschau; vielleicht daß
Lorenzen schon geplaudert hat oder gar Engelke."

"So ganz im Dunkeln bin ich nicht mehr; ein
Küstriner Schloßfenster, ein paar Kirchendachreliquien und
dazu Wetterhähne, -- lauter Gegenstände (denn ich bin
auch ein bißchen fürs Aparte), zu deren Auswahl ich
Ihnen gratuliere."

"Wofür ich der Frau Gräfin dankbar bin, ohne
sonderlich überrascht zu sein. Ich wußte, Damen wie
Gräfin Ghiberti haben Sinn für derlei Dinge. Darf ich
Ihnen übrigens zunächst hier diesen Lebuser Bischof zeigen
und hier weiter einen Heiligen oder vielleicht Anachoreten?
Beide, Bischof und Anachoret, sind sehr unähnlich unterein¬
ander, schon in Bezug auf Leibesumfang, -- der richtige
Gegensatz von Refektorium und Wüste. Wenn ich den
Heiligen hier so sehe, taxier' ich ihn höchstens auf eine
Dattel täglich. Und nun denk' ich, wir fahren in unsrer
Besichtigung fort, Krippenstapel war nämlich eben dabei,
der Comtesse Armgard unsern Derfflingerschen Dragoner
mit der kleinen Standarte und der Jahreszahl 1675 zu
zeigen. Bitte, Gräfin Melusine, bemerken Sie hier die
Zahl, dicht unter dem brandenburgischen Adler. Es wirkt,
wie wenn er die Nachricht vom Siege bei Fehrbellin über¬
bringen wolle. Daß es ein Dragoner ist, ist klar; der
Filzhut mit der breiten Krempe hebt jeden Zweifel, und
ich hab' es für mein gutes Recht gehalten, ihn auch
speziell als Derfflingerschen Dragoner festzusetzen. Aber
mein Freund Krippenstapel will davon nichts wissen, und

freizugeben. Aber Meluſine, deren Angſt vor ihm wieder¬
kehrte, zauderte, was eine momentane Verlegenheit ſchuf.
Inzwiſchen war aber auch Dubslav herangekommen. „Ich
fürchtete ſchon, daß Lorenzen Sie nicht herausgeben würde.
Seine Gelegenheiten, hier in Stechlin ein Geſpräch zu
führen, ſind nicht groß und nun gar ein Geſpräch mit
Gräfin Meluſine! Nun, er hat es gnädig gemacht. Jetzt
aber, Gräfin, halten Sie gefälligſt Umſchau; vielleicht daß
Lorenzen ſchon geplaudert hat oder gar Engelke.“

„So ganz im Dunkeln bin ich nicht mehr; ein
Küſtriner Schloßfenſter, ein paar Kirchendachreliquien und
dazu Wetterhähne, — lauter Gegenſtände (denn ich bin
auch ein bißchen fürs Aparte), zu deren Auswahl ich
Ihnen gratuliere.“

„Wofür ich der Frau Gräfin dankbar bin, ohne
ſonderlich überraſcht zu ſein. Ich wußte, Damen wie
Gräfin Ghiberti haben Sinn für derlei Dinge. Darf ich
Ihnen übrigens zunächſt hier dieſen Lebuſer Biſchof zeigen
und hier weiter einen Heiligen oder vielleicht Anachoreten?
Beide, Biſchof und Anachoret, ſind ſehr unähnlich unterein¬
ander, ſchon in Bezug auf Leibesumfang, — der richtige
Gegenſatz von Refektorium und Wüſte. Wenn ich den
Heiligen hier ſo ſehe, taxier' ich ihn höchſtens auf eine
Dattel täglich. Und nun denk' ich, wir fahren in unſrer
Beſichtigung fort, Krippenſtapel war nämlich eben dabei,
der Comteſſe Armgard unſern Derfflingerſchen Dragoner
mit der kleinen Standarte und der Jahreszahl 1675 zu
zeigen. Bitte, Gräfin Meluſine, bemerken Sie hier die
Zahl, dicht unter dem brandenburgiſchen Adler. Es wirkt,
wie wenn er die Nachricht vom Siege bei Fehrbellin über¬
bringen wolle. Daß es ein Dragoner iſt, iſt klar; der
Filzhut mit der breiten Krempe hebt jeden Zweifel, und
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[363/0370] freizugeben. Aber Meluſine, deren Angſt vor ihm wieder¬ kehrte, zauderte, was eine momentane Verlegenheit ſchuf. Inzwiſchen war aber auch Dubslav herangekommen. „Ich fürchtete ſchon, daß Lorenzen Sie nicht herausgeben würde. Seine Gelegenheiten, hier in Stechlin ein Geſpräch zu führen, ſind nicht groß und nun gar ein Geſpräch mit Gräfin Meluſine! Nun, er hat es gnädig gemacht. Jetzt aber, Gräfin, halten Sie gefälligſt Umſchau; vielleicht daß Lorenzen ſchon geplaudert hat oder gar Engelke.“ „So ganz im Dunkeln bin ich nicht mehr; ein Küſtriner Schloßfenſter, ein paar Kirchendachreliquien und dazu Wetterhähne, — lauter Gegenſtände (denn ich bin auch ein bißchen fürs Aparte), zu deren Auswahl ich Ihnen gratuliere.“ „Wofür ich der Frau Gräfin dankbar bin, ohne ſonderlich überraſcht zu ſein. Ich wußte, Damen wie Gräfin Ghiberti haben Sinn für derlei Dinge. Darf ich Ihnen übrigens zunächſt hier dieſen Lebuſer Biſchof zeigen und hier weiter einen Heiligen oder vielleicht Anachoreten? Beide, Biſchof und Anachoret, ſind ſehr unähnlich unterein¬ ander, ſchon in Bezug auf Leibesumfang, — der richtige Gegenſatz von Refektorium und Wüſte. Wenn ich den Heiligen hier ſo ſehe, taxier' ich ihn höchſtens auf eine Dattel täglich. Und nun denk' ich, wir fahren in unſrer Beſichtigung fort, Krippenſtapel war nämlich eben dabei, der Comteſſe Armgard unſern Derfflingerſchen Dragoner mit der kleinen Standarte und der Jahreszahl 1675 zu zeigen. Bitte, Gräfin Meluſine, bemerken Sie hier die Zahl, dicht unter dem brandenburgiſchen Adler. Es wirkt, wie wenn er die Nachricht vom Siege bei Fehrbellin über¬ bringen wolle. Daß es ein Dragoner iſt, iſt klar; der Filzhut mit der breiten Krempe hebt jeden Zweifel, und ich hab' es für mein gutes Recht gehalten, ihn auch ſpeziell als Derfflingerſchen Dragoner feſtzuſetzen. Aber mein Freund Krippenſtapel will davon nichts wiſſen, und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/370>, abgerufen am 22.11.2024.