krochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Helden¬ tum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzu¬ stimmen, denn Sie sind noch im Dienst."
"Bitte, bitte," sagte Czako.
Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der ent¬ gegengesetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienst¬ lich oder außerdienstlich aufs Land kam, immer eine Neigung spürte, sozialen Fragen nachzuhängen und bei¬ spielsweise jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe ge¬ borenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zu gute kommende Betrachtungen zu knüpfen, hatte sich auch heute wieder in einem mit Pastor Lorenzen angeknüpften Zwiegespräch seinem Lieblings¬ thema zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine Zwischenfrage den Faden abschnitt, in die Lage ge¬ kommen, sich vorübergehend statt mit Lorenzen mit Katzler beschäftigen zu müssen, von dem er zufällig in Er¬ fahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger gewesen sei. Das gab ihm einen guten Gesprächsstoff und ließ ihn fragen, ob der Herr Oberförster nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde, -- sein früherer Feldjägerberuf, so nehme er an, habe ihn in die weite Welt hinausgeführt, während er jetzt "stabiliert" sei. "Stabilierung" zählte zu Rex' Lieblingswendungen und entstammte jenem sorglich ausgewählten Fremdwörterschatz, den er sich -- er hatte diese Dinge dienstlich zu bearbeiten gehabt -- aus den Erlassen König Friedrich Wilhelms I. angeeignet und mit in sein Aktendeutsch herübergenommen hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Ge¬ biete der Konversation doch nur von einer oft unaus¬
krochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Helden¬ tum iſt Ausnahmezuſtand und meiſt Produkt einer Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzu¬ ſtimmen, denn Sie ſind noch im Dienſt.“
„Bitte, bitte,“ ſagte Czako.
Sehr, ſehr anders ging das Geſpräch an der ent¬ gegengeſetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienſt¬ lich oder außerdienſtlich aufs Land kam, immer eine Neigung ſpürte, ſozialen Fragen nachzuhängen und bei¬ ſpielsweiſe jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe ge¬ borenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zu gute kommende Betrachtungen zu knüpfen, hatte ſich auch heute wieder in einem mit Paſtor Lorenzen angeknüpften Zwiegeſpräch ſeinem Lieblings¬ thema zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine Zwiſchenfrage den Faden abſchnitt, in die Lage ge¬ kommen, ſich vorübergehend ſtatt mit Lorenzen mit Katzler beſchäftigen zu müſſen, von dem er zufällig in Er¬ fahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger geweſen ſei. Das gab ihm einen guten Geſprächsſtoff und ließ ihn fragen, ob der Herr Oberförſter nicht mitunter ſchmerzlich den zwiſchen ſeiner Vergangenheit und ſeiner Gegenwart liegenden Gegenſatz empfinde, — ſein früherer Feldjägerberuf, ſo nehme er an, habe ihn in die weite Welt hinausgeführt, während er jetzt „ſtabiliert“ ſei. „Stabilierung“ zählte zu Rex' Lieblingswendungen und entſtammte jenem ſorglich ausgewählten Fremdwörterſchatz, den er ſich — er hatte dieſe Dinge dienſtlich zu bearbeiten gehabt — aus den Erlaſſen König Friedrich Wilhelms I. angeeignet und mit in ſein Aktendeutſch herübergenommen hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Ge¬ biete der Konverſation doch nur von einer oft unaus¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0039"n="32"/>
krochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Helden¬<lb/>
tum iſt Ausnahmezuſtand und meiſt Produkt einer<lb/>
Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzu¬<lb/>ſtimmen, denn Sie ſind noch im Dienſt.“<lb/></p><p>„Bitte, bitte,“ſagte Czako.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Sehr, ſehr anders ging das Geſpräch an der ent¬<lb/>
gegengeſetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienſt¬<lb/>
lich oder außerdienſtlich aufs Land kam, immer eine<lb/>
Neigung ſpürte, ſozialen Fragen nachzuhängen und bei¬<lb/>ſpielsweiſe jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an<lb/>
das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe ge¬<lb/>
borenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl,<lb/>
teils der Sittlichkeit zu gute kommende Betrachtungen zu<lb/>
knüpfen, hatte ſich auch heute wieder in einem mit Paſtor<lb/>
Lorenzen angeknüpften Zwiegeſpräch ſeinem Lieblings¬<lb/>
thema zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine<lb/>
Zwiſchenfrage den Faden abſchnitt, in die Lage ge¬<lb/>
kommen, ſich vorübergehend ſtatt mit Lorenzen mit Katzler<lb/>
beſchäftigen zu müſſen, von dem er zufällig in Er¬<lb/>
fahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger geweſen<lb/>ſei. Das gab ihm einen guten Geſprächsſtoff und ließ<lb/>
ihn fragen, ob der Herr Oberförſter nicht mitunter<lb/>ſchmerzlich den zwiſchen ſeiner Vergangenheit und ſeiner<lb/>
Gegenwart liegenden Gegenſatz empfinde, —ſein früherer<lb/>
Feldjägerberuf, ſo nehme er an, habe ihn in die weite<lb/>
Welt hinausgeführt, während er jetzt „ſtabiliert“ſei.<lb/>„Stabilierung“ zählte zu Rex' Lieblingswendungen und<lb/>
entſtammte jenem ſorglich ausgewählten Fremdwörterſchatz,<lb/>
den er ſich — er hatte dieſe Dinge dienſtlich zu bearbeiten<lb/>
gehabt — aus den Erlaſſen König Friedrich Wilhelms <hirendition="#aq">I</hi>.<lb/>
angeeignet und mit in ſein Aktendeutſch herübergenommen<lb/>
hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Ge¬<lb/>
biete der Konverſation doch nur von einer oft unaus¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[32/0039]
krochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Helden¬
tum iſt Ausnahmezuſtand und meiſt Produkt einer
Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzu¬
ſtimmen, denn Sie ſind noch im Dienſt.“
„Bitte, bitte,“ ſagte Czako.
Sehr, ſehr anders ging das Geſpräch an der ent¬
gegengeſetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienſt¬
lich oder außerdienſtlich aufs Land kam, immer eine
Neigung ſpürte, ſozialen Fragen nachzuhängen und bei¬
ſpielsweiſe jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an
das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe ge¬
borenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl,
teils der Sittlichkeit zu gute kommende Betrachtungen zu
knüpfen, hatte ſich auch heute wieder in einem mit Paſtor
Lorenzen angeknüpften Zwiegeſpräch ſeinem Lieblings¬
thema zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine
Zwiſchenfrage den Faden abſchnitt, in die Lage ge¬
kommen, ſich vorübergehend ſtatt mit Lorenzen mit Katzler
beſchäftigen zu müſſen, von dem er zufällig in Er¬
fahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger geweſen
ſei. Das gab ihm einen guten Geſprächsſtoff und ließ
ihn fragen, ob der Herr Oberförſter nicht mitunter
ſchmerzlich den zwiſchen ſeiner Vergangenheit und ſeiner
Gegenwart liegenden Gegenſatz empfinde, — ſein früherer
Feldjägerberuf, ſo nehme er an, habe ihn in die weite
Welt hinausgeführt, während er jetzt „ſtabiliert“ ſei.
„Stabilierung“ zählte zu Rex' Lieblingswendungen und
entſtammte jenem ſorglich ausgewählten Fremdwörterſchatz,
den er ſich — er hatte dieſe Dinge dienſtlich zu bearbeiten
gehabt — aus den Erlaſſen König Friedrich Wilhelms I.
angeeignet und mit in ſein Aktendeutſch herübergenommen
hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Ge¬
biete der Konverſation doch nur von einer oft unaus¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/39>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.