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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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eigentlich Heilsame bleibt. Ärzte selbst -- ich hab'
einen Teil meiner Jugend in einem Diakonissenhause
verbracht -- Ärzte selbst, wenn sie ihren Beruf recht
verstehn, urteilen in diesem Sinne. Sogenannte Medi¬
kamente sind und bleiben ein armer Notbehelf; alle
wahre Hilfe fließt aus dem Wort. Aber freilich, das
richtige Wort wird nicht überall gesprochen."

Dubslav sah etwas unruhig um sich her. Es
war ganz klar, daß die Prinzessin gekommen war, seine
Seele zu retten. Aber woher kam ihr die Wissenschaft,
daß seine Seele dessen bedürftig sei? Das verlohnte sich
doch in Erfahrung zu bringen, und so bezwang er sich
denn und sagte: "Gewiß, Durchlaucht, das Wort ist
die Hauptsache. Das Wort ist das Wunder; es läßt
uns lachen und weinen, es erhebt uns und demütigt
uns, es macht uns krank und macht uns gesund. Ja
es giebt uns erst das wahre Leben hier und dort. Und
dies letzte höchste Wort, das haben wir in der Bibel.
Daher nehm' ich's. Und wenn ich manches Wort nicht
verstehe, wie wir die Sterne nicht verstehn, so haben
wir dafür die Deuter."

"Gewiß. Aber es giebt der Deuter so viele."

"Ja," lachte Dubslav, "und wer die Wahl hat,
hat die Qual. Aber ich persönlich, ich habe keine Wahl.
Denn genau so wie mit dem Körper, so steht es für
mich auch mit der Seele. Man behilft sich mit dem,
was man hat. Nehm' ich da zunächst meinen armen,
elenden Leib. Da sitzt es mir hier und steigt und drückt
und quält mich, und ängstigt mich, und wenn die Angst
groß ist, dann nehm' ich die grünen Tropfen. Und
wenn es mich immer mehr quält, dann schick' ich nach
Gransee hinein, und dann kommt Sponholz. Das
heißt, wenn er gerade da ist. Ja, dieser Sponholz ist
auch ein Wissender und ein ,Deuter'. Sehr wahrschein¬
lich, daß es klügere und bessere giebt; aber in Er¬

28 *

eigentlich Heilſame bleibt. Ärzte ſelbſt — ich hab'
einen Teil meiner Jugend in einem Diakoniſſenhauſe
verbracht — Ärzte ſelbſt, wenn ſie ihren Beruf recht
verſtehn, urteilen in dieſem Sinne. Sogenannte Medi¬
kamente ſind und bleiben ein armer Notbehelf; alle
wahre Hilfe fließt aus dem Wort. Aber freilich, das
richtige Wort wird nicht überall geſprochen.“

Dubslav ſah etwas unruhig um ſich her. Es
war ganz klar, daß die Prinzeſſin gekommen war, ſeine
Seele zu retten. Aber woher kam ihr die Wiſſenſchaft,
daß ſeine Seele deſſen bedürftig ſei? Das verlohnte ſich
doch in Erfahrung zu bringen, und ſo bezwang er ſich
denn und ſagte: „Gewiß, Durchlaucht, das Wort iſt
die Hauptſache. Das Wort iſt das Wunder; es läßt
uns lachen und weinen, es erhebt uns und demütigt
uns, es macht uns krank und macht uns geſund. Ja
es giebt uns erſt das wahre Leben hier und dort. Und
dies letzte höchſte Wort, das haben wir in der Bibel.
Daher nehm' ich's. Und wenn ich manches Wort nicht
verſtehe, wie wir die Sterne nicht verſtehn, ſo haben
wir dafür die Deuter.“

„Gewiß. Aber es giebt der Deuter ſo viele.“

„Ja,“ lachte Dubslav, „und wer die Wahl hat,
hat die Qual. Aber ich perſönlich, ich habe keine Wahl.
Denn genau ſo wie mit dem Körper, ſo ſteht es für
mich auch mit der Seele. Man behilft ſich mit dem,
was man hat. Nehm' ich da zunächſt meinen armen,
elenden Leib. Da ſitzt es mir hier und ſteigt und drückt
und quält mich, und ängſtigt mich, und wenn die Angſt
groß iſt, dann nehm' ich die grünen Tropfen. Und
wenn es mich immer mehr quält, dann ſchick' ich nach
Granſee hinein, und dann kommt Sponholz. Das
heißt, wenn er gerade da iſt. Ja, dieſer Sponholz iſt
auch ein Wiſſender und ein ‚Deuter‘. Sehr wahrſchein¬
lich, daß es klügere und beſſere giebt; aber in Er¬

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[435/0442] eigentlich Heilſame bleibt. Ärzte ſelbſt — ich hab' einen Teil meiner Jugend in einem Diakoniſſenhauſe verbracht — Ärzte ſelbſt, wenn ſie ihren Beruf recht verſtehn, urteilen in dieſem Sinne. Sogenannte Medi¬ kamente ſind und bleiben ein armer Notbehelf; alle wahre Hilfe fließt aus dem Wort. Aber freilich, das richtige Wort wird nicht überall geſprochen.“ Dubslav ſah etwas unruhig um ſich her. Es war ganz klar, daß die Prinzeſſin gekommen war, ſeine Seele zu retten. Aber woher kam ihr die Wiſſenſchaft, daß ſeine Seele deſſen bedürftig ſei? Das verlohnte ſich doch in Erfahrung zu bringen, und ſo bezwang er ſich denn und ſagte: „Gewiß, Durchlaucht, das Wort iſt die Hauptſache. Das Wort iſt das Wunder; es läßt uns lachen und weinen, es erhebt uns und demütigt uns, es macht uns krank und macht uns geſund. Ja es giebt uns erſt das wahre Leben hier und dort. Und dies letzte höchſte Wort, das haben wir in der Bibel. Daher nehm' ich's. Und wenn ich manches Wort nicht verſtehe, wie wir die Sterne nicht verſtehn, ſo haben wir dafür die Deuter.“ „Gewiß. Aber es giebt der Deuter ſo viele.“ „Ja,“ lachte Dubslav, „und wer die Wahl hat, hat die Qual. Aber ich perſönlich, ich habe keine Wahl. Denn genau ſo wie mit dem Körper, ſo ſteht es für mich auch mit der Seele. Man behilft ſich mit dem, was man hat. Nehm' ich da zunächſt meinen armen, elenden Leib. Da ſitzt es mir hier und ſteigt und drückt und quält mich, und ängſtigt mich, und wenn die Angſt groß iſt, dann nehm' ich die grünen Tropfen. Und wenn es mich immer mehr quält, dann ſchick' ich nach Granſee hinein, und dann kommt Sponholz. Das heißt, wenn er gerade da iſt. Ja, dieſer Sponholz iſt auch ein Wiſſender und ein ‚Deuter‘. Sehr wahrſchein¬ lich, daß es klügere und beſſere giebt; aber in Er¬ 28 *

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/442>, abgerufen am 22.11.2024.