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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Stechlin, um nach Ihrem Befinden zu fragen; Katzler
(sie nannte ihn, unter geflissentlichster Vermeidung des
allerdings plebejen "mein Mann", immer nur bei seinem
Familiennamen) hat mir von Ihrem Unwohlsein erzählt und
mir Empfehlungen aufgetragen. Ich hoffe, es geht besser."

Dubslav dankte für so viel Freundlichkeit und bat,
das um ihn her herrschende Übermaß von Unordnung
entschuldigen zu wollen. "Wo die weibliche Hand fehlt,
fehlt alles." Er fuhr so noch eine Weile fort, in allerlei
Worten und Wendungen, wie sie ihm von alter Zeit
her geläufig waren; eigentlich aber war er wenig bei
dem, was er sagte, sondern hing ausschließlich an
dem halb Nonnen-, halb Heiligenbildartigen ihrer Er¬
scheinung, das durch einen großen, aus mattweißen
Kugeln bestehenden Halsschmuck samt Elfenbeinkreuz,
noch gesteigert wurde. Sie mußte jedem, auch dem
Kritischsten, auffallen, und Dubslav, der -- so sehr er
dagegen ankämpfte -- ganz unter der Vorstellung ihrer
Prinzessinnenschaft stand, vergaß auf Augenblicke Krank¬
heit und Alter und fühlte sich nur noch als Ritter
seiner Dame. Daß sie stehen blieb, war ihm im ersten
Augenblicke störend, bald aber war es ihm recht, weil
ihm einleuchtete, daß ihr "Bild" erst dadurch zu voller
Wirkung kam. Ermyntrud selbst war sich dessen auch
voll bewußt und Frau genug, auf diese Vorzüge nicht
ohne Not zu verzichten.

"Ich höre, daß Doktor Sponholz, den ich als
Arzt sehr schätzen gelernt habe, seine Kranken, während
er in Pfäffers ist, einem jungen Stellvertreter anver¬
traut hat. Junge Ärzte sind meist klüger als die alten,
aber doch weniger Ärzte. Man bringt außerdem dem
Alter mehr Vertrauen entgegen. Alte Doktoren sind
wie Beichtiger, vor denen man sich gern offenbart.
Freilich können sie den geistlichen Zuspruch nicht voll
ersetzen, der in jeder ernstlichen Krankheit doch das

Stechlin, um nach Ihrem Befinden zu fragen; Katzler
(ſie nannte ihn, unter gefliſſentlichſter Vermeidung des
allerdings plebejen „mein Mann“, immer nur bei ſeinem
Familiennamen) hat mir von Ihrem Unwohlſein erzählt und
mir Empfehlungen aufgetragen. Ich hoffe, es geht beſſer.“

Dubslav dankte für ſo viel Freundlichkeit und bat,
das um ihn her herrſchende Übermaß von Unordnung
entſchuldigen zu wollen. „Wo die weibliche Hand fehlt,
fehlt alles.“ Er fuhr ſo noch eine Weile fort, in allerlei
Worten und Wendungen, wie ſie ihm von alter Zeit
her geläufig waren; eigentlich aber war er wenig bei
dem, was er ſagte, ſondern hing ausſchließlich an
dem halb Nonnen-, halb Heiligenbildartigen ihrer Er¬
ſcheinung, das durch einen großen, aus mattweißen
Kugeln beſtehenden Halsſchmuck ſamt Elfenbeinkreuz,
noch geſteigert wurde. Sie mußte jedem, auch dem
Kritiſchſten, auffallen, und Dubslav, der — ſo ſehr er
dagegen ankämpfte — ganz unter der Vorſtellung ihrer
Prinzeſſinnenſchaft ſtand, vergaß auf Augenblicke Krank¬
heit und Alter und fühlte ſich nur noch als Ritter
ſeiner Dame. Daß ſie ſtehen blieb, war ihm im erſten
Augenblicke ſtörend, bald aber war es ihm recht, weil
ihm einleuchtete, daß ihr „Bild“ erſt dadurch zu voller
Wirkung kam. Ermyntrud ſelbſt war ſich deſſen auch
voll bewußt und Frau genug, auf dieſe Vorzüge nicht
ohne Not zu verzichten.

„Ich höre, daß Doktor Sponholz, den ich als
Arzt ſehr ſchätzen gelernt habe, ſeine Kranken, während
er in Pfäffers iſt, einem jungen Stellvertreter anver¬
traut hat. Junge Ärzte ſind meiſt klüger als die alten,
aber doch weniger Ärzte. Man bringt außerdem dem
Alter mehr Vertrauen entgegen. Alte Doktoren ſind
wie Beichtiger, vor denen man ſich gern offenbart.
Freilich können ſie den geiſtlichen Zuſpruch nicht voll
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[434/0441] Stechlin, um nach Ihrem Befinden zu fragen; Katzler (ſie nannte ihn, unter gefliſſentlichſter Vermeidung des allerdings plebejen „mein Mann“, immer nur bei ſeinem Familiennamen) hat mir von Ihrem Unwohlſein erzählt und mir Empfehlungen aufgetragen. Ich hoffe, es geht beſſer.“ Dubslav dankte für ſo viel Freundlichkeit und bat, das um ihn her herrſchende Übermaß von Unordnung entſchuldigen zu wollen. „Wo die weibliche Hand fehlt, fehlt alles.“ Er fuhr ſo noch eine Weile fort, in allerlei Worten und Wendungen, wie ſie ihm von alter Zeit her geläufig waren; eigentlich aber war er wenig bei dem, was er ſagte, ſondern hing ausſchließlich an dem halb Nonnen-, halb Heiligenbildartigen ihrer Er¬ ſcheinung, das durch einen großen, aus mattweißen Kugeln beſtehenden Halsſchmuck ſamt Elfenbeinkreuz, noch geſteigert wurde. Sie mußte jedem, auch dem Kritiſchſten, auffallen, und Dubslav, der — ſo ſehr er dagegen ankämpfte — ganz unter der Vorſtellung ihrer Prinzeſſinnenſchaft ſtand, vergaß auf Augenblicke Krank¬ heit und Alter und fühlte ſich nur noch als Ritter ſeiner Dame. Daß ſie ſtehen blieb, war ihm im erſten Augenblicke ſtörend, bald aber war es ihm recht, weil ihm einleuchtete, daß ihr „Bild“ erſt dadurch zu voller Wirkung kam. Ermyntrud ſelbſt war ſich deſſen auch voll bewußt und Frau genug, auf dieſe Vorzüge nicht ohne Not zu verzichten. „Ich höre, daß Doktor Sponholz, den ich als Arzt ſehr ſchätzen gelernt habe, ſeine Kranken, während er in Pfäffers iſt, einem jungen Stellvertreter anver¬ traut hat. Junge Ärzte ſind meiſt klüger als die alten, aber doch weniger Ärzte. Man bringt außerdem dem Alter mehr Vertrauen entgegen. Alte Doktoren ſind wie Beichtiger, vor denen man ſich gern offenbart. Freilich können ſie den geiſtlichen Zuſpruch nicht voll erſetzen, der in jeder ernſtlichen Krankheit doch das

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/441>, abgerufen am 22.11.2024.