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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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den er sonst wenig erinnerte -- herausgeklügelt, daß
Überraschung und Schreck bei seinem Plan mitwirken
müßten.

Agnes schlief in einer nebenan aufgestellten eisernen
Bettstelle. Dubslav, gerade so wie seine Schwester,
hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei seinem
Erscheinen im Herrenhause gar nicht mehr gesehen; es
trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille,
dazu Knöpfstiefel und lange rote Strümpfe, -- lauter
Dinge, die Karline schon zu letzten Weihnachten geschenkt
hatte. Gleich damals, am ersten Feiertag, hatte das
Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber bloß
so still für sich, weil sie sich genierte, sich im Dorfe
damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo sie bei dem gnäd'gen
Herrn in Krankenpflege gehen sollte, jetzt war die richtige
Zeit dafür da.

Die Nacht verging still; niemand war gestört worden.
Um sieben erst kam Engelke und sagte: "Nu, lütt Deern,
steih upp, is all seben." Agnes war auch wirklich wie
der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten
Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas
gekraustes langes Blondhaar, putzte sich wie ein Kätzchen,
und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten
Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfstiefel an. Gleich
danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee,
und als sie damit fertig war, nahm sie ihr Strickzeug
und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav
bereits in seinem Lehnstuhl saß und auf seine Schwester
wartete. Denn um acht nahmen sie das erste Frühstück
gemeinschaftlich.

"So, Agnes, das is recht, daß du da bist. Hast
du denn schon deinen Kaffee gehabt?"

Agnes knickste.

"Nu setz dich da mal ans Fenster, daß du bei
deiner Arbeit besser sehn kannst; du hast ja schon dein

den er ſonſt wenig erinnerte — herausgeklügelt, daß
Überraſchung und Schreck bei ſeinem Plan mitwirken
müßten.

Agnes ſchlief in einer nebenan aufgeſtellten eiſernen
Bettſtelle. Dubslav, gerade ſo wie ſeine Schweſter,
hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei ſeinem
Erſcheinen im Herrenhauſe gar nicht mehr geſehen; es
trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille,
dazu Knöpfſtiefel und lange rote Strümpfe, — lauter
Dinge, die Karline ſchon zu letzten Weihnachten geſchenkt
hatte. Gleich damals, am erſten Feiertag, hatte das
Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber bloß
ſo ſtill für ſich, weil ſie ſich genierte, ſich im Dorfe
damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo ſie bei dem gnäd'gen
Herrn in Krankenpflege gehen ſollte, jetzt war die richtige
Zeit dafür da.

Die Nacht verging ſtill; niemand war geſtört worden.
Um ſieben erſt kam Engelke und ſagte: „Nu, lütt Deern,
ſteih upp, is all ſeben.“ Agnes war auch wirklich wie
der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten
Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas
gekrauſtes langes Blondhaar, putzte ſich wie ein Kätzchen,
und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten
Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfſtiefel an. Gleich
danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee,
und als ſie damit fertig war, nahm ſie ihr Strickzeug
und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav
bereits in ſeinem Lehnſtuhl ſaß und auf ſeine Schweſter
wartete. Denn um acht nahmen ſie das erſte Frühſtück
gemeinſchaftlich.

„So, Agnes, das is recht, daß du da biſt. Haſt
du denn ſchon deinen Kaffee gehabt?“

Agnes knickſte.

„Nu ſetz dich da mal ans Fenſter, daß du bei
deiner Arbeit beſſer ſehn kannſt; du haſt ja ſchon dein

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[463/0470] den er ſonſt wenig erinnerte — herausgeklügelt, daß Überraſchung und Schreck bei ſeinem Plan mitwirken müßten. Agnes ſchlief in einer nebenan aufgeſtellten eiſernen Bettſtelle. Dubslav, gerade ſo wie ſeine Schweſter, hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei ſeinem Erſcheinen im Herrenhauſe gar nicht mehr geſehen; es trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille, dazu Knöpfſtiefel und lange rote Strümpfe, — lauter Dinge, die Karline ſchon zu letzten Weihnachten geſchenkt hatte. Gleich damals, am erſten Feiertag, hatte das Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber bloß ſo ſtill für ſich, weil ſie ſich genierte, ſich im Dorfe damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo ſie bei dem gnäd'gen Herrn in Krankenpflege gehen ſollte, jetzt war die richtige Zeit dafür da. Die Nacht verging ſtill; niemand war geſtört worden. Um ſieben erſt kam Engelke und ſagte: „Nu, lütt Deern, ſteih upp, is all ſeben.“ Agnes war auch wirklich wie der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas gekrauſtes langes Blondhaar, putzte ſich wie ein Kätzchen, und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfſtiefel an. Gleich danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee, und als ſie damit fertig war, nahm ſie ihr Strickzeug und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav bereits in ſeinem Lehnſtuhl ſaß und auf ſeine Schweſter wartete. Denn um acht nahmen ſie das erſte Frühſtück gemeinſchaftlich. „So, Agnes, das is recht, daß du da biſt. Haſt du denn ſchon deinen Kaffee gehabt?“ Agnes knickſte. „Nu ſetz dich da mal ans Fenſter, daß du bei deiner Arbeit beſſer ſehn kannſt; du haſt ja ſchon dein

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/470>, abgerufen am 22.11.2024.