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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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zwanzig Jahren kenn' ich ihn, und noch hat er mich
nicht ein einziges Mal bemogelt. Und daß man das
von einem sagen kann, das ist eigentlich die Hauptsache.
Das andre ... ja, du lieber Himmel, wo soll es am
Ende herkommen? Auf dem Sinai hat nun schon lange
keiner mehr gestanden, und wenn auch, was der liebe
Gott da oben gesagt hat, das schließt eigentlich auch
keine großen Rätsel auf. Es ist alles sehr diesseitig
geblieben; du sollst, du sollst, und noch öfter ,du sollst
nicht'. Und klingt eigentlich alles, wie wenn ein Nürn¬
berger Schultheiß gesprochen hätte."

Gleich danach kam Engelke und brachte die Mittags¬
post. "Engelke, du könntest mal wieder die Marie zu
Lorenzen 'rüberschicken -- ich ließ' ihn bitten."

Lorenzen kam denn auch und rückte seinen Stuhl
an des Alten Seite.

"Das ist recht, Pastor, daß Sie gleich gekommen
sind, und ich sehe wieder, wie sich alles Gute schon
gleich hier unten belohnt. Sie müssen nämlich wissen,
daß ich mich heute schon ganz eingehend mit Ihnen
beschäftigt und Ihr Charakterbild, das ja auch schwankt
wie so manch andres, nach Möglichkeit festgestellt habe.
Würde mir das Sprechen wegen meines Asthmas nicht
einigermaßen schwer, ich wär' imstande, gegen mich selber
in eine Art Indiskretion zu verfallen und Ihnen aus¬
zuplaudern, was ich über Sie gedacht habe. Habe ja,
wie Sie wissen, 'ne natürliche Neigung zum Ausplaudern,
zum Plaudern überhaupt, und Kortschädel, der sich im
übrigen durch französische Vokabeln nicht auszeichnete,
hat mich sogar einmal einen ,Causeur' genannt. Aber
freilich schon lange her, und jetzt ist es damit total
vorbei. Zuletzt stirbt selbst die alte Kindermuhme in
einem aus."

"Glaub' ich nicht. Wenigstens Sie, Herr von
Stechlin, sorgen für den Ausnahmefall."

zwanzig Jahren kenn' ich ihn, und noch hat er mich
nicht ein einziges Mal bemogelt. Und daß man das
von einem ſagen kann, das iſt eigentlich die Hauptſache.
Das andre ... ja, du lieber Himmel, wo ſoll es am
Ende herkommen? Auf dem Sinai hat nun ſchon lange
keiner mehr geſtanden, und wenn auch, was der liebe
Gott da oben geſagt hat, das ſchließt eigentlich auch
keine großen Rätſel auf. Es iſt alles ſehr diesſeitig
geblieben; du ſollſt, du ſollſt, und noch öfter ‚du ſollſt
nicht‘. Und klingt eigentlich alles, wie wenn ein Nürn¬
berger Schultheiß geſprochen hätte.“

Gleich danach kam Engelke und brachte die Mittags¬
poſt. „Engelke, du könnteſt mal wieder die Marie zu
Lorenzen 'rüberſchicken — ich ließ' ihn bitten.“

Lorenzen kam denn auch und rückte ſeinen Stuhl
an des Alten Seite.

„Das iſt recht, Paſtor, daß Sie gleich gekommen
ſind, und ich ſehe wieder, wie ſich alles Gute ſchon
gleich hier unten belohnt. Sie müſſen nämlich wiſſen,
daß ich mich heute ſchon ganz eingehend mit Ihnen
beſchäftigt und Ihr Charakterbild, das ja auch ſchwankt
wie ſo manch andres, nach Möglichkeit feſtgeſtellt habe.
Würde mir das Sprechen wegen meines Aſthmas nicht
einigermaßen ſchwer, ich wär' imſtande, gegen mich ſelber
in eine Art Indiskretion zu verfallen und Ihnen aus¬
zuplaudern, was ich über Sie gedacht habe. Habe ja,
wie Sie wiſſen, 'ne natürliche Neigung zum Ausplaudern,
zum Plaudern überhaupt, und Kortſchädel, der ſich im
übrigen durch franzöſiſche Vokabeln nicht auszeichnete,
hat mich ſogar einmal einen ‚Cauſeur‘ genannt. Aber
freilich ſchon lange her, und jetzt iſt es damit total
vorbei. Zuletzt ſtirbt ſelbſt die alte Kindermuhme in
einem aus.“

„Glaub' ich nicht. Wenigſtens Sie, Herr von
Stechlin, ſorgen für den Ausnahmefall.“

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[486/0493] zwanzig Jahren kenn' ich ihn, und noch hat er mich nicht ein einziges Mal bemogelt. Und daß man das von einem ſagen kann, das iſt eigentlich die Hauptſache. Das andre ... ja, du lieber Himmel, wo ſoll es am Ende herkommen? Auf dem Sinai hat nun ſchon lange keiner mehr geſtanden, und wenn auch, was der liebe Gott da oben geſagt hat, das ſchließt eigentlich auch keine großen Rätſel auf. Es iſt alles ſehr diesſeitig geblieben; du ſollſt, du ſollſt, und noch öfter ‚du ſollſt nicht‘. Und klingt eigentlich alles, wie wenn ein Nürn¬ berger Schultheiß geſprochen hätte.“ Gleich danach kam Engelke und brachte die Mittags¬ poſt. „Engelke, du könnteſt mal wieder die Marie zu Lorenzen 'rüberſchicken — ich ließ' ihn bitten.“ Lorenzen kam denn auch und rückte ſeinen Stuhl an des Alten Seite. „Das iſt recht, Paſtor, daß Sie gleich gekommen ſind, und ich ſehe wieder, wie ſich alles Gute ſchon gleich hier unten belohnt. Sie müſſen nämlich wiſſen, daß ich mich heute ſchon ganz eingehend mit Ihnen beſchäftigt und Ihr Charakterbild, das ja auch ſchwankt wie ſo manch andres, nach Möglichkeit feſtgeſtellt habe. Würde mir das Sprechen wegen meines Aſthmas nicht einigermaßen ſchwer, ich wär' imſtande, gegen mich ſelber in eine Art Indiskretion zu verfallen und Ihnen aus¬ zuplaudern, was ich über Sie gedacht habe. Habe ja, wie Sie wiſſen, 'ne natürliche Neigung zum Ausplaudern, zum Plaudern überhaupt, und Kortſchädel, der ſich im übrigen durch franzöſiſche Vokabeln nicht auszeichnete, hat mich ſogar einmal einen ‚Cauſeur‘ genannt. Aber freilich ſchon lange her, und jetzt iſt es damit total vorbei. Zuletzt ſtirbt ſelbſt die alte Kindermuhme in einem aus.“ „Glaub' ich nicht. Wenigſtens Sie, Herr von Stechlin, ſorgen für den Ausnahmefall.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/493>, abgerufen am 22.11.2024.