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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Enkelkind der alten Buschen, als erste, wie sie vertraue, sitt¬
lich zu Heilende in das Asyl aufgenommen werden möchte.

Dubslav drehte den Brief hin und her, las noch
einmal und sagte dann: "O, diese Komödie ... ,wenn
sich meine Wünsche für Ihre fortschreitende Gesundheit
erfüllt haben werden' ... das heißt doch einfach, ,wenn
Sie sich demnächst den Rasen von unten ansehn'. Alle
Menschen sind Egoisten, Prinzessinnen auch, und sind sie
fromm, so haben sie noch einen ganz besonderen Jar¬
gon. Es mag so bleiben, es war immer so. Wenn
sie nur ein bißchen mehr Vertrauen zu dem gesunden
Menschenverstand andrer hätten."

Er steckte, während er so sprach, den Brief wieder
in das Couvert und rief Agnes.

Das Kind kam auch.

"Agnes, gefällt es dir hier?"

"Ja, gnäd'ger Herr, es gefällt mir hier."

"Und ist dir auch nicht zu still?"

"Nein, gnäd'ger Herr, es ist mir auch nicht zu still.
Ich möchte immer hier sein."

"Na, du sollst auch bleiben, Agnes, so lang es geht.
Und nachher. Ja, nachher ..."

Das Kind kniete vor ihm nieder und küßte ihm die
Hände.


Dubslavs Zustand verschlechterte sich schnell. Engelke
trat an ihn heran und sagte: "Gnäd'ger Herr, soll ich
nicht in die Stadt schicken?"

"Nein."

"Oder zu der Buschen?"

"Ja, das thu'. So 'ne alte Hexe kann es immer
noch am besten."

In Engelkens Augen traten Thränen.

Dubslav, als er es sah, schlug rasch einen andern

Enkelkind der alten Buſchen, als erſte, wie ſie vertraue, ſitt¬
lich zu Heilende in das Aſyl aufgenommen werden möchte.

Dubslav drehte den Brief hin und her, las noch
einmal und ſagte dann: „O, dieſe Komödie ... ‚wenn
ſich meine Wünſche für Ihre fortſchreitende Geſundheit
erfüllt haben werden‘ ... das heißt doch einfach, ‚wenn
Sie ſich demnächſt den Raſen von unten anſehn‘. Alle
Menſchen ſind Egoiſten, Prinzeſſinnen auch, und ſind ſie
fromm, ſo haben ſie noch einen ganz beſonderen Jar¬
gon. Es mag ſo bleiben, es war immer ſo. Wenn
ſie nur ein bißchen mehr Vertrauen zu dem geſunden
Menſchenverſtand andrer hätten.“

Er ſteckte, während er ſo ſprach, den Brief wieder
in das Couvert und rief Agnes.

Das Kind kam auch.

„Agnes, gefällt es dir hier?“

„Ja, gnäd'ger Herr, es gefällt mir hier.“

„Und iſt dir auch nicht zu ſtill?“

„Nein, gnäd'ger Herr, es iſt mir auch nicht zu ſtill.
Ich möchte immer hier ſein.“

„Na, du ſollſt auch bleiben, Agnes, ſo lang es geht.
Und nachher. Ja, nachher ...“

Das Kind kniete vor ihm nieder und küßte ihm die
Hände.


Dubslavs Zuſtand verſchlechterte ſich ſchnell. Engelke
trat an ihn heran und ſagte: „Gnäd'ger Herr, ſoll ich
nicht in die Stadt ſchicken?“

„Nein.“

„Oder zu der Buſchen?“

„Ja, das thu'. So 'ne alte Hexe kann es immer
noch am beſten.“

In Engelkens Augen traten Thränen.

Dubslav, als er es ſah, ſchlug raſch einen andern

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[493/0500] Enkelkind der alten Buſchen, als erſte, wie ſie vertraue, ſitt¬ lich zu Heilende in das Aſyl aufgenommen werden möchte. Dubslav drehte den Brief hin und her, las noch einmal und ſagte dann: „O, dieſe Komödie ... ‚wenn ſich meine Wünſche für Ihre fortſchreitende Geſundheit erfüllt haben werden‘ ... das heißt doch einfach, ‚wenn Sie ſich demnächſt den Raſen von unten anſehn‘. Alle Menſchen ſind Egoiſten, Prinzeſſinnen auch, und ſind ſie fromm, ſo haben ſie noch einen ganz beſonderen Jar¬ gon. Es mag ſo bleiben, es war immer ſo. Wenn ſie nur ein bißchen mehr Vertrauen zu dem geſunden Menſchenverſtand andrer hätten.“ Er ſteckte, während er ſo ſprach, den Brief wieder in das Couvert und rief Agnes. Das Kind kam auch. „Agnes, gefällt es dir hier?“ „Ja, gnäd'ger Herr, es gefällt mir hier.“ „Und iſt dir auch nicht zu ſtill?“ „Nein, gnäd'ger Herr, es iſt mir auch nicht zu ſtill. Ich möchte immer hier ſein.“ „Na, du ſollſt auch bleiben, Agnes, ſo lang es geht. Und nachher. Ja, nachher ...“ Das Kind kniete vor ihm nieder und küßte ihm die Hände. Dubslavs Zuſtand verſchlechterte ſich ſchnell. Engelke trat an ihn heran und ſagte: „Gnäd'ger Herr, ſoll ich nicht in die Stadt ſchicken?“ „Nein.“ „Oder zu der Buſchen?“ „Ja, das thu'. So 'ne alte Hexe kann es immer noch am beſten.“ In Engelkens Augen traten Thränen. Dubslav, als er es ſah, ſchlug raſch einen andern

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/500>, abgerufen am 22.11.2024.