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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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sei Dank, Ausnahmen. Und das sind die eigentlich
Berufenen. Eine Frau nehmen, ist alltäglich ..."

"Und keine Frau nehmen, ist ein Wagnis. Und
die Nachrede der Leute hat man noch obenein."

"Diese Nachrede hat man immer. Es ist das
erste, wogegen man gleichgültig werden muß. Nicht in
Stolz, aber in Liebe."

"Das will ich gelten lassen. Aber die Liebe des
natürlichen Menschen bezeigt sich am besten in der
Familie."

"Ja, die des natürlichen Menschen ..."

"Was ja so klingt, Frau Gräfin, als ob Sie dem
Unnatürlichen das Wort reden wollten."

"In gewissem Sinne ,ja' Frau Domina. Was
entscheidet, ist, ob man dabei nach oben oder nach unten
rechnet."

"Das Leben rechnet nach unten."

"Oder nach oben; je nachdem."

Es klang alles ziemlich gereizt. Denn so leicht¬
lebig und heiter Melusine war, einen Ton konnte sie
nicht ertragen, den sittlicher Überheblichkeit. Und so
war eine Gefahr da, sich die Schraubereien fortsetzen
zu sehen. Aber die Meldung, daß die Wagen vorge¬
fahren seien, machte dieser Gefahr ein Ende. Melusine
brach ab und teilte nur noch in Kürze mit, daß sie
vorhabe, morgen mit dem frühesten von Berlin aus
einen Brief zu schreiben, der mutmaßlich gleichzeitig
mit dem jungen Paar in Capri eintreffen werde. Adel¬
heid war damit einverstanden, und Melusine nahm
Baron Berchtesgadens Arm, während der alte Graf die
Baronin führte.

Das Verdeck des vor dem Portal haltenden Wagens
war zurückgeschlagen, und alsbald hatten die Baronin
und Melusine im Fond, die beiden Herren aber auf
dem Rücksitz Platz genommen. So ging es eine schon

ſei Dank, Ausnahmen. Und das ſind die eigentlich
Berufenen. Eine Frau nehmen, iſt alltäglich ...“

„Und keine Frau nehmen, iſt ein Wagnis. Und
die Nachrede der Leute hat man noch obenein.“

„Dieſe Nachrede hat man immer. Es iſt das
erſte, wogegen man gleichgültig werden muß. Nicht in
Stolz, aber in Liebe.“

„Das will ich gelten laſſen. Aber die Liebe des
natürlichen Menſchen bezeigt ſich am beſten in der
Familie.“

„Ja, die des natürlichen Menſchen ...“

„Was ja ſo klingt, Frau Gräfin, als ob Sie dem
Unnatürlichen das Wort reden wollten.“

„In gewiſſem Sinne ‚ja‘ Frau Domina. Was
entſcheidet, iſt, ob man dabei nach oben oder nach unten
rechnet.“

„Das Leben rechnet nach unten.“

„Oder nach oben; je nachdem.“

Es klang alles ziemlich gereizt. Denn ſo leicht¬
lebig und heiter Meluſine war, einen Ton konnte ſie
nicht ertragen, den ſittlicher Überheblichkeit. Und ſo
war eine Gefahr da, ſich die Schraubereien fortſetzen
zu ſehen. Aber die Meldung, daß die Wagen vorge¬
fahren ſeien, machte dieſer Gefahr ein Ende. Meluſine
brach ab und teilte nur noch in Kürze mit, daß ſie
vorhabe, morgen mit dem früheſten von Berlin aus
einen Brief zu ſchreiben, der mutmaßlich gleichzeitig
mit dem jungen Paar in Capri eintreffen werde. Adel¬
heid war damit einverſtanden, und Meluſine nahm
Baron Berchtesgadens Arm, während der alte Graf die
Baronin führte.

Das Verdeck des vor dem Portal haltenden Wagens
war zurückgeſchlagen, und alsbald hatten die Baronin
und Meluſine im Fond, die beiden Herren aber auf
dem Rückſitz Platz genommen. So ging es eine ſchon

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[506/0513] ſei Dank, Ausnahmen. Und das ſind die eigentlich Berufenen. Eine Frau nehmen, iſt alltäglich ...“ „Und keine Frau nehmen, iſt ein Wagnis. Und die Nachrede der Leute hat man noch obenein.“ „Dieſe Nachrede hat man immer. Es iſt das erſte, wogegen man gleichgültig werden muß. Nicht in Stolz, aber in Liebe.“ „Das will ich gelten laſſen. Aber die Liebe des natürlichen Menſchen bezeigt ſich am beſten in der Familie.“ „Ja, die des natürlichen Menſchen ...“ „Was ja ſo klingt, Frau Gräfin, als ob Sie dem Unnatürlichen das Wort reden wollten.“ „In gewiſſem Sinne ‚ja‘ Frau Domina. Was entſcheidet, iſt, ob man dabei nach oben oder nach unten rechnet.“ „Das Leben rechnet nach unten.“ „Oder nach oben; je nachdem.“ Es klang alles ziemlich gereizt. Denn ſo leicht¬ lebig und heiter Meluſine war, einen Ton konnte ſie nicht ertragen, den ſittlicher Überheblichkeit. Und ſo war eine Gefahr da, ſich die Schraubereien fortſetzen zu ſehen. Aber die Meldung, daß die Wagen vorge¬ fahren ſeien, machte dieſer Gefahr ein Ende. Meluſine brach ab und teilte nur noch in Kürze mit, daß ſie vorhabe, morgen mit dem früheſten von Berlin aus einen Brief zu ſchreiben, der mutmaßlich gleichzeitig mit dem jungen Paar in Capri eintreffen werde. Adel¬ heid war damit einverſtanden, und Meluſine nahm Baron Berchtesgadens Arm, während der alte Graf die Baronin führte. Das Verdeck des vor dem Portal haltenden Wagens war zurückgeſchlagen, und alsbald hatten die Baronin und Meluſine im Fond, die beiden Herren aber auf dem Rückſitz Platz genommen. So ging es eine ſchon

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/513>, abgerufen am 24.11.2024.