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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Ich weiß noch nicht, um was es sich handelt, Herr
von Stechlin; aber ich möchte mich für Übereinstimmung
schon jetzt verbürgen."

Inzwischen waren auch Woldemar, Rex und der
Pastor vom Gartensalon her auf die Veranda hinaus¬
getreten und Dubslav ging ihnen entgegen. "Guten Tag,
Pastor. Nun, das ist recht. Ich dachte schon, Woldemar
würde von Ihnen annektiert werden."

"Aber, Herr von Stechlin ... Ihre Gäste ... Und
Woldemars Freunde."

"Betonen Sie das nicht so, Lorenzen. Es giebt
Umgangsformen und Artigkeitsgesetze. Gewiß. Aber
das alles reicht nicht weit. Was der Mensch am ehesten
durchbricht, das sind gerade solche Formen. Und wer sie
nicht durchbricht, der kann einem auch leid thun. Wie
geht es denn in der Ehe? Haben Sie schon einen
Mann gesehen, der die Formen wahrt, wenn seine Frau
ihn ärgert? Ich nicht. Leidenschaft ist immer siegreich."

"Ja, Leidenschaft. Aber Woldemar und ich ..."

"Sind auch in Leidenschaft, Sie haben die Freund¬
schaftsleidenschaft, Orest und Pylades -- so was hat es
immer gegeben. Und dann, was noch viel mehr sagen
will, Sie haben nebenher die Konspirationsleidenschaft ..."

"Aber, Herr von Stechlin."

"Nein, nicht die Konspirationsleidenschaft, ich nehm'
es zurück; aber Sie haben dafür was andres, nämlich die
Weltverbesserungsleidenschaft. Und das ist eine der größten,
die es giebt. Und wenn solche zwei Weltverbesserer zu¬
sammen sind, da können Rex und Czako warten, und da
kann selbst ein warmes Frühstück warten. Sagt man
noch Dejeuner a la fourchette?"

"Kaum, Papa. Wie du weißt, es ist jetzt alles
englisch."

"Natürlich. Die Franzosen sind abgesetzt. Und ist
auch recht gut so, wiewohl unsre Vettern drüben erst recht

„Ich weiß noch nicht, um was es ſich handelt, Herr
von Stechlin; aber ich möchte mich für Übereinſtimmung
ſchon jetzt verbürgen.“

Inzwiſchen waren auch Woldemar, Rex und der
Paſtor vom Gartenſalon her auf die Veranda hinaus¬
getreten und Dubslav ging ihnen entgegen. „Guten Tag,
Paſtor. Nun, das iſt recht. Ich dachte ſchon, Woldemar
würde von Ihnen annektiert werden.“

„Aber, Herr von Stechlin ... Ihre Gäſte ... Und
Woldemars Freunde.“

„Betonen Sie das nicht ſo, Lorenzen. Es giebt
Umgangsformen und Artigkeitsgeſetze. Gewiß. Aber
das alles reicht nicht weit. Was der Menſch am eheſten
durchbricht, das ſind gerade ſolche Formen. Und wer ſie
nicht durchbricht, der kann einem auch leid thun. Wie
geht es denn in der Ehe? Haben Sie ſchon einen
Mann geſehen, der die Formen wahrt, wenn ſeine Frau
ihn ärgert? Ich nicht. Leidenſchaft iſt immer ſiegreich.“

„Ja, Leidenſchaft. Aber Woldemar und ich ...“

„Sind auch in Leidenſchaft, Sie haben die Freund¬
ſchaftsleidenſchaft, Oreſt und Pylades — ſo was hat es
immer gegeben. Und dann, was noch viel mehr ſagen
will, Sie haben nebenher die Konſpirationsleidenſchaft ...“

„Aber, Herr von Stechlin.“

„Nein, nicht die Konſpirationsleidenſchaft, ich nehm'
es zurück; aber Sie haben dafür was andres, nämlich die
Weltverbeſſerungsleidenſchaft. Und das iſt eine der größten,
die es giebt. Und wenn ſolche zwei Weltverbeſſerer zu¬
ſammen ſind, da können Rex und Czako warten, und da
kann ſelbſt ein warmes Frühſtück warten. Sagt man
noch Déjeuner á la fourchette?“

„Kaum, Papa. Wie du weißt, es iſt jetzt alles
engliſch.“

„Natürlich. Die Franzoſen ſind abgeſetzt. Und iſt
auch recht gut ſo, wiewohl unſre Vettern drüben erſt recht

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[77/0084] „Ich weiß noch nicht, um was es ſich handelt, Herr von Stechlin; aber ich möchte mich für Übereinſtimmung ſchon jetzt verbürgen.“ Inzwiſchen waren auch Woldemar, Rex und der Paſtor vom Gartenſalon her auf die Veranda hinaus¬ getreten und Dubslav ging ihnen entgegen. „Guten Tag, Paſtor. Nun, das iſt recht. Ich dachte ſchon, Woldemar würde von Ihnen annektiert werden.“ „Aber, Herr von Stechlin ... Ihre Gäſte ... Und Woldemars Freunde.“ „Betonen Sie das nicht ſo, Lorenzen. Es giebt Umgangsformen und Artigkeitsgeſetze. Gewiß. Aber das alles reicht nicht weit. Was der Menſch am eheſten durchbricht, das ſind gerade ſolche Formen. Und wer ſie nicht durchbricht, der kann einem auch leid thun. Wie geht es denn in der Ehe? Haben Sie ſchon einen Mann geſehen, der die Formen wahrt, wenn ſeine Frau ihn ärgert? Ich nicht. Leidenſchaft iſt immer ſiegreich.“ „Ja, Leidenſchaft. Aber Woldemar und ich ...“ „Sind auch in Leidenſchaft, Sie haben die Freund¬ ſchaftsleidenſchaft, Oreſt und Pylades — ſo was hat es immer gegeben. Und dann, was noch viel mehr ſagen will, Sie haben nebenher die Konſpirationsleidenſchaft ...“ „Aber, Herr von Stechlin.“ „Nein, nicht die Konſpirationsleidenſchaft, ich nehm' es zurück; aber Sie haben dafür was andres, nämlich die Weltverbeſſerungsleidenſchaft. Und das iſt eine der größten, die es giebt. Und wenn ſolche zwei Weltverbeſſerer zu¬ ſammen ſind, da können Rex und Czako warten, und da kann ſelbſt ein warmes Frühſtück warten. Sagt man noch Déjeuner á la fourchette?“ „Kaum, Papa. Wie du weißt, es iſt jetzt alles engliſch.“ „Natürlich. Die Franzoſen ſind abgeſetzt. Und iſt auch recht gut ſo, wiewohl unſre Vettern drüben erſt recht

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/84>, abgerufen am 21.11.2024.