Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Herr gab, nur immer zudringlicher und gereizter werdend, zu Verhöhnungen und Invektiven über. Freund Scherz und ich waren empört, zugleich aber auch verwundert, weil die größte Hälfte der Gesellschaft aus Juden bestand, die sich doch seiner in corpore hätten annehmen müssen. Im ganzen existierte damals von dem, was man jetzt Antisemitismus nennt, kaum eine Spur; aber freilich, Einzelfällen, wie beispielsweise dem hier geschilderten, bin ich doch auch in meiner Jugend schon begegnet.

Die Elbfahrt von Magdeburg nach Hamburg ist langweilig; nur bei Tangermünde, wo Reste einer aus den Tagen Karls IV. herstammenden Burg aufragen, belebt sich das Bild ein wenig. Gegen Mitternacht trafen wir in Hamburg ein, begaben uns an Bord eines alten Dampfers, des "Monarch", wo wir uns auf den in den Kabinen umherliegenden Pferdehaarkissen ausstreckten und ermüdet einschliefen. Aber freilich nicht lange. Schon als es eben erst dämmerte, wurde es über uns lebendig und kaum daß die Sonne da war, so setzte sich unser Dampfer auch schon in Bewegung und glitt den schönen Strom - denn von hier an wird er schön - hinunter. Wir Passagiere schritten derweilen auf Deck auf und ab. Der "Monarch", ursprünglich ein schönes feines Schiff, war schon

Herr gab, nur immer zudringlicher und gereizter werdend, zu Verhöhnungen und Invektiven über. Freund Scherz und ich waren empört, zugleich aber auch verwundert, weil die größte Hälfte der Gesellschaft aus Juden bestand, die sich doch seiner in corpore hätten annehmen müssen. Im ganzen existierte damals von dem, was man jetzt Antisemitismus nennt, kaum eine Spur; aber freilich, Einzelfällen, wie beispielsweise dem hier geschilderten, bin ich doch auch in meiner Jugend schon begegnet.

Die Elbfahrt von Magdeburg nach Hamburg ist langweilig; nur bei Tangermünde, wo Reste einer aus den Tagen Karls IV. herstammenden Burg aufragen, belebt sich das Bild ein wenig. Gegen Mitternacht trafen wir in Hamburg ein, begaben uns an Bord eines alten Dampfers, des „Monarch“, wo wir uns auf den in den Kabinen umherliegenden Pferdehaarkissen ausstreckten und ermüdet einschliefen. Aber freilich nicht lange. Schon als es eben erst dämmerte, wurde es über uns lebendig und kaum daß die Sonne da war, so setzte sich unser Dampfer auch schon in Bewegung und glitt den schönen Strom – denn von hier an wird er schön – hinunter. Wir Passagiere schritten derweilen auf Deck auf und ab. Der „Monarch“, ursprünglich ein schönes feines Schiff, war schon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="227"/>
Herr gab, nur immer zudringlicher und gereizter werdend, zu Verhöhnungen und Invektiven über. Freund Scherz und ich waren empört, zugleich aber auch verwundert, weil die größte Hälfte der Gesellschaft aus Juden bestand, die sich doch seiner <hi rendition="#aq">in corpore</hi> hätten annehmen müssen. Im ganzen existierte damals von dem, was man jetzt Antisemitismus nennt, kaum eine Spur; aber freilich, Einzelfällen, wie beispielsweise dem hier geschilderten, bin ich doch auch in meiner Jugend schon begegnet.</p><lb/>
          <p>Die Elbfahrt von Magdeburg nach Hamburg ist langweilig; nur bei Tangermünde, wo Reste einer aus den Tagen Karls IV. herstammenden Burg aufragen, belebt sich das Bild ein wenig. Gegen Mitternacht trafen wir in Hamburg ein, begaben uns an Bord eines alten Dampfers, des &#x201E;Monarch&#x201C;, wo wir uns auf den in den Kabinen umherliegenden Pferdehaarkissen ausstreckten und ermüdet einschliefen. Aber freilich nicht lange. Schon als es eben erst dämmerte, wurde es über uns lebendig und kaum daß die Sonne da war, so setzte sich unser Dampfer auch schon in Bewegung und glitt den schönen Strom &#x2013; denn von hier an wird er schön &#x2013; hinunter. Wir Passagiere schritten derweilen auf Deck auf und ab. Der &#x201E;Monarch&#x201C;, ursprünglich ein schönes feines Schiff, war schon<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0236] Herr gab, nur immer zudringlicher und gereizter werdend, zu Verhöhnungen und Invektiven über. Freund Scherz und ich waren empört, zugleich aber auch verwundert, weil die größte Hälfte der Gesellschaft aus Juden bestand, die sich doch seiner in corpore hätten annehmen müssen. Im ganzen existierte damals von dem, was man jetzt Antisemitismus nennt, kaum eine Spur; aber freilich, Einzelfällen, wie beispielsweise dem hier geschilderten, bin ich doch auch in meiner Jugend schon begegnet. Die Elbfahrt von Magdeburg nach Hamburg ist langweilig; nur bei Tangermünde, wo Reste einer aus den Tagen Karls IV. herstammenden Burg aufragen, belebt sich das Bild ein wenig. Gegen Mitternacht trafen wir in Hamburg ein, begaben uns an Bord eines alten Dampfers, des „Monarch“, wo wir uns auf den in den Kabinen umherliegenden Pferdehaarkissen ausstreckten und ermüdet einschliefen. Aber freilich nicht lange. Schon als es eben erst dämmerte, wurde es über uns lebendig und kaum daß die Sonne da war, so setzte sich unser Dampfer auch schon in Bewegung und glitt den schönen Strom – denn von hier an wird er schön – hinunter. Wir Passagiere schritten derweilen auf Deck auf und ab. Der „Monarch“, ursprünglich ein schönes feines Schiff, war schon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/236
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/236>, abgerufen am 24.11.2024.