Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.litterarisch leistete, verschwand daneben. Und das mußte so sein. Wer sich ein bißchen auf Menschenkunde versteht, weiß, daß so geartete Charaktere wie zum Dilettantismus prädestiniert sind; sie haben so vielerlei zu thun, sind so ganz auf Zerstreuung ihrer Gaben gestellt, daß für das einzelne nicht jenes Maß von Kraft und Muße verbleibt, ohne das etwas Fix und Fertiges nicht entstehen kann. Nichts, was er schuf, war ausgereift, alles hatte den improvisatorischen Charakter. Eine Zeit lang waren wir Konkurrenten; ich erging mich in nordischen und schottisch-englischen Balladen, und weil diese gefielen, erschien er auch mit "Harald", mit "König Radgar" und ähnlichem. Ich mußte mich darüber ausschweigen, ärgerte mich aber, daß er mit solchen Reimereien überhaupt in die Schranken ritt und mit turnieren wollte. So leicht geht das nicht und wer, wie Eggers das meistens that, in zwölfter Stunde sich hinsetzt, um "für morgen" noch einen aus dem Vorratskästchen genommenen Balladenstoff in herkömmlicher Nibelungenstrophe zusammen zu leimen, der wird als Regel nicht weit damit kommen. Aber freilich - und das ist der Grund, warum ich mich hier überhaupt so frei weg ausgesprochen habe - wenn es ausnahmsweise glückt, was unter tausend Fällen freilich nur einmal vorkommt, so wird der litterarisch leistete, verschwand daneben. Und das mußte so sein. Wer sich ein bißchen auf Menschenkunde versteht, weiß, daß so geartete Charaktere wie zum Dilettantismus prädestiniert sind; sie haben so vielerlei zu thun, sind so ganz auf Zerstreuung ihrer Gaben gestellt, daß für das einzelne nicht jenes Maß von Kraft und Muße verbleibt, ohne das etwas Fix und Fertiges nicht entstehen kann. Nichts, was er schuf, war ausgereift, alles hatte den improvisatorischen Charakter. Eine Zeit lang waren wir Konkurrenten; ich erging mich in nordischen und schottisch-englischen Balladen, und weil diese gefielen, erschien er auch mit „Harald“, mit „König Radgar“ und ähnlichem. Ich mußte mich darüber ausschweigen, ärgerte mich aber, daß er mit solchen Reimereien überhaupt in die Schranken ritt und mit turnieren wollte. So leicht geht das nicht und wer, wie Eggers das meistens that, in zwölfter Stunde sich hinsetzt, um „für morgen“ noch einen aus dem Vorratskästchen genommenen Balladenstoff in herkömmlicher Nibelungenstrophe zusammen zu leimen, der wird als Regel nicht weit damit kommen. Aber freilich – und das ist der Grund, warum ich mich hier überhaupt so frei weg ausgesprochen habe – wenn es ausnahmsweise glückt, was unter tausend Fällen freilich nur einmal vorkommt, so wird der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0323" n="314"/> litterarisch leistete, verschwand daneben. Und das mußte so sein. Wer sich ein bißchen auf Menschenkunde versteht, weiß, daß so geartete Charaktere wie zum Dilettantismus prädestiniert sind; sie haben so vielerlei zu thun, sind so ganz auf Zerstreuung ihrer Gaben gestellt, daß für das einzelne nicht jenes Maß von Kraft und Muße verbleibt, ohne das etwas Fix und Fertiges nicht entstehen kann. Nichts, was er schuf, war ausgereift, alles hatte den improvisatorischen Charakter. Eine Zeit lang waren wir Konkurrenten; ich erging mich in nordischen und schottisch-englischen Balladen, und weil diese gefielen, erschien er auch mit „Harald“, mit „König Radgar“ und ähnlichem. Ich mußte mich darüber ausschweigen, ärgerte mich aber, daß er mit solchen Reimereien überhaupt in die Schranken ritt und mit turnieren wollte. So leicht geht das nicht und wer, wie Eggers das meistens that, in zwölfter Stunde sich hinsetzt, um „für morgen“ noch einen aus dem Vorratskästchen genommenen Balladenstoff in herkömmlicher Nibelungenstrophe zusammen zu leimen, der wird als Regel nicht weit damit kommen. Aber freilich – und das ist der Grund, warum ich mich hier überhaupt so frei weg ausgesprochen habe – <hi rendition="#g">wenn</hi> es ausnahmsweise glückt, was unter tausend Fällen freilich nur einmal vorkommt, so wird der<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [314/0323]
litterarisch leistete, verschwand daneben. Und das mußte so sein. Wer sich ein bißchen auf Menschenkunde versteht, weiß, daß so geartete Charaktere wie zum Dilettantismus prädestiniert sind; sie haben so vielerlei zu thun, sind so ganz auf Zerstreuung ihrer Gaben gestellt, daß für das einzelne nicht jenes Maß von Kraft und Muße verbleibt, ohne das etwas Fix und Fertiges nicht entstehen kann. Nichts, was er schuf, war ausgereift, alles hatte den improvisatorischen Charakter. Eine Zeit lang waren wir Konkurrenten; ich erging mich in nordischen und schottisch-englischen Balladen, und weil diese gefielen, erschien er auch mit „Harald“, mit „König Radgar“ und ähnlichem. Ich mußte mich darüber ausschweigen, ärgerte mich aber, daß er mit solchen Reimereien überhaupt in die Schranken ritt und mit turnieren wollte. So leicht geht das nicht und wer, wie Eggers das meistens that, in zwölfter Stunde sich hinsetzt, um „für morgen“ noch einen aus dem Vorratskästchen genommenen Balladenstoff in herkömmlicher Nibelungenstrophe zusammen zu leimen, der wird als Regel nicht weit damit kommen. Aber freilich – und das ist der Grund, warum ich mich hier überhaupt so frei weg ausgesprochen habe – wenn es ausnahmsweise glückt, was unter tausend Fällen freilich nur einmal vorkommt, so wird der
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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