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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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aber unter ihnen keinen, der an Lucae herangereicht hätte; Faucher war die weitaus genialere Natur, Lübke ließ seine Raketen höher steigen und prasselnder zerstieben, Lepel erreichte durch einen grotesken Humor unter Umständen größere Wirkungen, alles in allem jedoch blieb Lucae der Sanspareil und mußte es bleiben, weil Witz, erzählerische Begabung und Schauspielerkunst bei ihm zusammenwirkten und sich unter einander unterstützten. Was er erzählte, war immer eine dramatische Scene, darin er die redenden Personen in ihrer Sprache einführte: Bildungsphilister, Berliner Madames, zimperliche alte Jungfern, übermütige Backfische, gelehrt und wichtig thuende Professoren und aus dem nächsten Familienanhang allerhand Onkels und Tanten. Unter den Tanten war eine ganz alte, von der er viel Rühmens machte, weil er ihr, neben allerhand komischen Zügen, auch den wirklichen Weisheitsspruch verdankte: "Man lebt sich selbst, man stirbt sich selbst." Im Kreise der Onkels dagegen stand Hauptmann Unger obenan, gewöhnlich kurzweg "Onkel Unger" genannt, ein Bildersammler und guter Kunsthistoriker, den seine Kunstwissenschaft jedoch nicht hinderte, seine für minimale Preise gekauften "Niederländer" unter sehr maximalen Namen auszustellen. Dieser Onkel Unger hatte seinem

aber unter ihnen keinen, der an Lucae herangereicht hätte; Faucher war die weitaus genialere Natur, Lübke ließ seine Raketen höher steigen und prasselnder zerstieben, Lepel erreichte durch einen grotesken Humor unter Umständen größere Wirkungen, alles in allem jedoch blieb Lucae der Sanspareil und mußte es bleiben, weil Witz, erzählerische Begabung und Schauspielerkunst bei ihm zusammenwirkten und sich unter einander unterstützten. Was er erzählte, war immer eine dramatische Scene, darin er die redenden Personen in ihrer Sprache einführte: Bildungsphilister, Berliner Madames, zimperliche alte Jungfern, übermütige Backfische, gelehrt und wichtig thuende Professoren und aus dem nächsten Familienanhang allerhand Onkels und Tanten. Unter den Tanten war eine ganz alte, von der er viel Rühmens machte, weil er ihr, neben allerhand komischen Zügen, auch den wirklichen Weisheitsspruch verdankte: „Man lebt sich selbst, man stirbt sich selbst.“ Im Kreise der Onkels dagegen stand Hauptmann Unger obenan, gewöhnlich kurzweg „Onkel Unger“ genannt, ein Bildersammler und guter Kunsthistoriker, den seine Kunstwissenschaft jedoch nicht hinderte, seine für minimale Preise gekauften „Niederländer“ unter sehr maximalen Namen auszustellen. Dieser Onkel Unger hatte seinem

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aber unter ihnen keinen, der an Lucae herangereicht hätte; Faucher war die weitaus genialere Natur, Lübke ließ seine Raketen höher steigen und prasselnder zerstieben, Lepel erreichte durch einen grotesken Humor unter Umständen größere Wirkungen, alles in allem jedoch blieb Lucae der Sanspareil und mußte es bleiben, weil Witz, erzählerische Begabung und Schauspielerkunst bei ihm zusammenwirkten und sich unter einander unterstützten. Was er erzählte, war immer eine dramatische Scene, darin er die redenden Personen in ihrer Sprache einführte: Bildungsphilister, Berliner Madames, zimperliche alte Jungfern, übermütige Backfische, gelehrt und wichtig thuende Professoren und aus dem nächsten Familienanhang allerhand Onkels und Tanten. Unter den Tanten war eine ganz alte, von der er viel Rühmens machte, weil er ihr, neben allerhand komischen Zügen, auch den wirklichen Weisheitsspruch verdankte: &#x201E;Man lebt sich selbst, man stirbt sich selbst.&#x201C; Im Kreise der Onkels dagegen stand Hauptmann Unger obenan, gewöhnlich kurzweg &#x201E;Onkel Unger&#x201C; genannt, ein Bildersammler und guter Kunsthistoriker, den seine Kunstwissenschaft jedoch nicht hinderte, seine für minimale Preise gekauften &#x201E;Niederländer&#x201C; unter sehr maximalen Namen auszustellen. Dieser Onkel Unger hatte seinem<lb/></p>
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[318/0327] aber unter ihnen keinen, der an Lucae herangereicht hätte; Faucher war die weitaus genialere Natur, Lübke ließ seine Raketen höher steigen und prasselnder zerstieben, Lepel erreichte durch einen grotesken Humor unter Umständen größere Wirkungen, alles in allem jedoch blieb Lucae der Sanspareil und mußte es bleiben, weil Witz, erzählerische Begabung und Schauspielerkunst bei ihm zusammenwirkten und sich unter einander unterstützten. Was er erzählte, war immer eine dramatische Scene, darin er die redenden Personen in ihrer Sprache einführte: Bildungsphilister, Berliner Madames, zimperliche alte Jungfern, übermütige Backfische, gelehrt und wichtig thuende Professoren und aus dem nächsten Familienanhang allerhand Onkels und Tanten. Unter den Tanten war eine ganz alte, von der er viel Rühmens machte, weil er ihr, neben allerhand komischen Zügen, auch den wirklichen Weisheitsspruch verdankte: „Man lebt sich selbst, man stirbt sich selbst.“ Im Kreise der Onkels dagegen stand Hauptmann Unger obenan, gewöhnlich kurzweg „Onkel Unger“ genannt, ein Bildersammler und guter Kunsthistoriker, den seine Kunstwissenschaft jedoch nicht hinderte, seine für minimale Preise gekauften „Niederländer“ unter sehr maximalen Namen auszustellen. Dieser Onkel Unger hatte seinem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/327>, abgerufen am 25.11.2024.