Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.oder sehr selten. Er mußte sich gesellschaftlich von vornherein geborgen fühlen, sonst schwenkte er ab. Seine Tunnelschicksale hatten sich nicht sehr günstig gestaltet, freilich auch nicht schlimm. Schlimmer war es, daß es auch mit Kugler zu einer Verstimmung kam. Ohne rechte Schuld auf der einen und der anderen Seite. Wir saßen eines Tages zu vier oder fünf in einem Tiergartenlokal, in einem von Pfeifenkraut und Jelängerjelieber umrankten Pavillon, und da sichs fügte, daß kurz vorher ein neues Buch von Geibel erschienen war, so nahm Storm Veranlassung, über seinen Konkurrenten Geibel sein Herz auszuschütten. "Ja, Geibel. Das ist alles ganz gut. Aber was haben wir schließlich? Wohlklang, Geschmack, gefällige Reime - von eigentlicher Lyrik aber kann kaum die Rede sein und von Liebeslyrik nun schon ganz gewiß nicht. Liebeslyrik, da muß alles latente Leidenschaft sein, alles nur angedeutet und doch machtvoll, alles in einem Dunkel, und mit einemmal ein uns blendender Blitz, der uns, je nachdem, erschreckt oder entzückt." Kugler wurde unruhig. Zum Unglück fuhr Storm fort: "In zwei Strophen von mir ..." und nun wollte er an einem seiner eigenen Gedichte zeigen, wie echte Liebeslyrik beschaffen sein müsse. Aber er kam nicht dazu. "Nein, lieber Storm," unterbrach oder sehr selten. Er mußte sich gesellschaftlich von vornherein geborgen fühlen, sonst schwenkte er ab. Seine Tunnelschicksale hatten sich nicht sehr günstig gestaltet, freilich auch nicht schlimm. Schlimmer war es, daß es auch mit Kugler zu einer Verstimmung kam. Ohne rechte Schuld auf der einen und der anderen Seite. Wir saßen eines Tages zu vier oder fünf in einem Tiergartenlokal, in einem von Pfeifenkraut und Jelängerjelieber umrankten Pavillon, und da sichs fügte, daß kurz vorher ein neues Buch von Geibel erschienen war, so nahm Storm Veranlassung, über seinen Konkurrenten Geibel sein Herz auszuschütten. „Ja, Geibel. Das ist alles ganz gut. Aber was haben wir schließlich? Wohlklang, Geschmack, gefällige Reime – von eigentlicher Lyrik aber kann kaum die Rede sein und von Liebeslyrik nun schon ganz gewiß nicht. Liebeslyrik, da muß alles latente Leidenschaft sein, alles nur angedeutet und doch machtvoll, alles in einem Dunkel, und mit einemmal ein uns blendender Blitz, der uns, je nachdem, erschreckt oder entzückt.“ Kugler wurde unruhig. Zum Unglück fuhr Storm fort: „In zwei Strophen von mir …“ und nun wollte er an einem seiner eigenen Gedichte zeigen, wie echte Liebeslyrik beschaffen sein müsse. Aber er kam nicht dazu. „Nein, lieber Storm,“ unterbrach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0361" n="352"/> oder sehr selten. Er mußte sich gesellschaftlich von vornherein geborgen fühlen, sonst schwenkte er ab.</p><lb/> <p>Seine Tunnelschicksale hatten sich nicht sehr günstig gestaltet, freilich auch nicht schlimm. Schlimmer war es, daß es auch mit <hi rendition="#g">Kugler</hi> zu einer Verstimmung kam. Ohne rechte Schuld auf der einen und der anderen Seite. Wir saßen eines Tages zu vier oder fünf in einem Tiergartenlokal, in einem von Pfeifenkraut und Jelängerjelieber umrankten Pavillon, und da sichs fügte, daß kurz vorher ein neues Buch von Geibel erschienen war, so nahm Storm Veranlassung, über seinen Konkurrenten Geibel sein Herz auszuschütten. „Ja, Geibel. Das ist alles ganz gut. Aber was haben wir schließlich? Wohlklang, Geschmack, gefällige Reime – von eigentlicher Lyrik aber kann kaum die Rede sein und von Liebeslyrik nun schon ganz gewiß nicht. Liebeslyrik, da muß alles latente Leidenschaft sein, alles nur angedeutet und doch machtvoll, alles in einem Dunkel, und mit einemmal ein uns blendender Blitz, der uns, je nachdem, erschreckt oder entzückt.“ Kugler wurde unruhig. Zum Unglück fuhr Storm fort: „In zwei Strophen von mir …“ und nun wollte er an einem seiner eigenen Gedichte zeigen, wie echte Liebeslyrik beschaffen sein müsse. Aber er kam nicht dazu. „Nein, lieber Storm,“ unterbrach<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [352/0361]
oder sehr selten. Er mußte sich gesellschaftlich von vornherein geborgen fühlen, sonst schwenkte er ab.
Seine Tunnelschicksale hatten sich nicht sehr günstig gestaltet, freilich auch nicht schlimm. Schlimmer war es, daß es auch mit Kugler zu einer Verstimmung kam. Ohne rechte Schuld auf der einen und der anderen Seite. Wir saßen eines Tages zu vier oder fünf in einem Tiergartenlokal, in einem von Pfeifenkraut und Jelängerjelieber umrankten Pavillon, und da sichs fügte, daß kurz vorher ein neues Buch von Geibel erschienen war, so nahm Storm Veranlassung, über seinen Konkurrenten Geibel sein Herz auszuschütten. „Ja, Geibel. Das ist alles ganz gut. Aber was haben wir schließlich? Wohlklang, Geschmack, gefällige Reime – von eigentlicher Lyrik aber kann kaum die Rede sein und von Liebeslyrik nun schon ganz gewiß nicht. Liebeslyrik, da muß alles latente Leidenschaft sein, alles nur angedeutet und doch machtvoll, alles in einem Dunkel, und mit einemmal ein uns blendender Blitz, der uns, je nachdem, erschreckt oder entzückt.“ Kugler wurde unruhig. Zum Unglück fuhr Storm fort: „In zwei Strophen von mir …“ und nun wollte er an einem seiner eigenen Gedichte zeigen, wie echte Liebeslyrik beschaffen sein müsse. Aber er kam nicht dazu. „Nein, lieber Storm,“ unterbrach
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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