Kugler, "nicht so. Geibel ist unser aller Freund, und wie ich bisher annahm, auch der Ihrige, und einen anderen tadeln, bloß weil er's anders macht als man selber, das geht nicht." Wir kamen sämtlich in eine große Verlegenheit. Natürlich, so viel mußte man Kugler zugestehen, hatte Storm, wenn auch nicht direkt, so doch unmißverständlich ausgesprochen: "Meine Gedichte sind besser als Geibels." Aber wenn dergleichen artig gesagt wird, so darf man um solches Ausspruches willen nicht reprimandiert werden, auch dann nicht, wenn man unrecht hat. Hier aber darf doch wohl gesagt werden, Storm hatte Recht. Geibel war ein entzückender Mensch und dazu ein liebenswürdiger, ebenso dem Ohr wie den Anschauungen einer Publikumsmajorität sich einschmeichelnder Dichter. Aber als Liebeslieddichter steht Storm hoch über ihm.
Der ganze Zwischenfall, von dem ich damals einen starken Eindruck empfing, ist mir nie wieder aus dem Gedächtnis geschwunden und hat mich jeder Zeit zu vorsichtiger Haltung gemahnt. Aber freilich, dieser Mahnung immer zu gehorchen, ist nicht leicht. Oft liegt es so, daß man ein Lob, das gespendet wird, zwar nicht teilt, aber doch begreift. In solchem Falle zu schweigen, ist kein Kunststück. Aber überall da, wo man nicht bloß
Kugler, „nicht so. Geibel ist unser aller Freund, und wie ich bisher annahm, auch der Ihrige, und einen anderen tadeln, bloß weil er’s anders macht als man selber, das geht nicht.“ Wir kamen sämtlich in eine große Verlegenheit. Natürlich, so viel mußte man Kugler zugestehen, hatte Storm, wenn auch nicht direkt, so doch unmißverständlich ausgesprochen: „Meine Gedichte sind besser als Geibels.“ Aber wenn dergleichen artig gesagt wird, so darf man um solches Ausspruches willen nicht reprimandiert werden, auch dann nicht, wenn man unrecht hat. Hier aber darf doch wohl gesagt werden, Storm hatte Recht. Geibel war ein entzückender Mensch und dazu ein liebenswürdiger, ebenso dem Ohr wie den Anschauungen einer Publikumsmajorität sich einschmeichelnder Dichter. Aber als Liebeslieddichter steht Storm hoch über ihm.
Der ganze Zwischenfall, von dem ich damals einen starken Eindruck empfing, ist mir nie wieder aus dem Gedächtnis geschwunden und hat mich jeder Zeit zu vorsichtiger Haltung gemahnt. Aber freilich, dieser Mahnung immer zu gehorchen, ist nicht leicht. Oft liegt es so, daß man ein Lob, das gespendet wird, zwar nicht teilt, aber doch begreift. In solchem Falle zu schweigen, ist kein Kunststück. Aber überall da, wo man nicht bloß
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Kugler, „nicht so. Geibel ist unser aller Freund, und wie ich bisher annahm, auch der Ihrige, und einen anderen tadeln, bloß weil er’s anders macht als man selber, das geht nicht.“ Wir kamen sämtlich in eine große Verlegenheit. Natürlich, so viel mußte man Kugler zugestehen, hatte Storm, wenn auch nicht direkt, so doch unmißverständlich ausgesprochen: „<hirendition="#g">Meine</hi> Gedichte sind besser als Geibels.“ Aber wenn dergleichen artig gesagt wird, so darf man um solches Ausspruches willen nicht reprimandiert werden, auch dann nicht, wenn man unrecht hat. Hier aber darf doch wohl gesagt werden, <hirendition="#g">Storm hatte Recht</hi>. Geibel war ein entzückender Mensch und dazu ein liebenswürdiger, ebenso dem Ohr wie den Anschauungen einer Publikumsmajorität sich einschmeichelnder Dichter. Aber als Liebeslieddichter steht Storm hoch über ihm.</p><lb/><p>Der ganze Zwischenfall, von dem ich damals einen starken Eindruck empfing, ist mir nie wieder aus dem Gedächtnis geschwunden und hat mich jeder Zeit zu vorsichtiger Haltung gemahnt. Aber freilich, dieser Mahnung immer zu gehorchen, ist nicht leicht. Oft liegt es so, daß man ein Lob, das gespendet wird, zwar nicht teilt, aber doch begreift. In solchem Falle zu schweigen, ist kein Kunststück. Aber überall da, wo man nicht bloß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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Kugler, „nicht so. Geibel ist unser aller Freund, und wie ich bisher annahm, auch der Ihrige, und einen anderen tadeln, bloß weil er’s anders macht als man selber, das geht nicht.“ Wir kamen sämtlich in eine große Verlegenheit. Natürlich, so viel mußte man Kugler zugestehen, hatte Storm, wenn auch nicht direkt, so doch unmißverständlich ausgesprochen: „Meine Gedichte sind besser als Geibels.“ Aber wenn dergleichen artig gesagt wird, so darf man um solches Ausspruches willen nicht reprimandiert werden, auch dann nicht, wenn man unrecht hat. Hier aber darf doch wohl gesagt werden, Storm hatte Recht. Geibel war ein entzückender Mensch und dazu ein liebenswürdiger, ebenso dem Ohr wie den Anschauungen einer Publikumsmajorität sich einschmeichelnder Dichter. Aber als Liebeslieddichter steht Storm hoch über ihm.
Der ganze Zwischenfall, von dem ich damals einen starken Eindruck empfing, ist mir nie wieder aus dem Gedächtnis geschwunden und hat mich jeder Zeit zu vorsichtiger Haltung gemahnt. Aber freilich, dieser Mahnung immer zu gehorchen, ist nicht leicht. Oft liegt es so, daß man ein Lob, das gespendet wird, zwar nicht teilt, aber doch begreift. In solchem Falle zu schweigen, ist kein Kunststück. Aber überall da, wo man nicht bloß
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/362>, abgerufen am 21.06.2024.
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