Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.über ruhig in seinem Potsdamer Heim und lächelte, wenn er von dem Sturm im Glase Wasser hörte. Was aber das Beste war, er ließ diesen Abfall von ihm niemand im Tunnel entgelten, und zeigte sich, was immer aufs neue gesagt werden muß, auch darin wieder uns allen überlegen, vor allem auch überlegen in Gesinnung. Wirklich, er gehörte zu den bestverketzerten Personen, die mir in meinem Leben vorgekommen sind. Ich habe ihn ziemlich gut gekannt, fünfzehn Jahre lang in unserem Verein und dann zehn Jahre lang auf der Kreuzzeitung, wo ich ihn allwöchentlich wenigstens einmal sah; aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn je auf einem faulen Pferde ertappt hätte. Im Gegenteil, er war ehrlicher und konsequenter als seine soi disant "Freunde", die sich ziemlich unberechtigt über ihn erhoben. Ueberhaupt konnte man im Tunnel, wie überall in der Welt, die Mißlichkeit des landläufigen Urteils studieren. Wie mit Blindheit geschlagen, waren oft die Klügsten; höchst fragwürdige Charaktere wurden gefeiert, während viel Tüchtigere sich mit Soupcon behandelt sahn. Es ist unglaublich, wie leicht selbst Scharfsichtige von Fach, z. B. Kriminalisten und Weltweise, durch Manieren und gefälliges Komödienspiel bestochen werden können. Im ganzen genommen existiert bei den Menschen eine so hochgradige über ruhig in seinem Potsdamer Heim und lächelte, wenn er von dem Sturm im Glase Wasser hörte. Was aber das Beste war, er ließ diesen Abfall von ihm niemand im Tunnel entgelten, und zeigte sich, was immer aufs neue gesagt werden muß, auch darin wieder uns allen überlegen, vor allem auch überlegen in Gesinnung. Wirklich, er gehörte zu den bestverketzerten Personen, die mir in meinem Leben vorgekommen sind. Ich habe ihn ziemlich gut gekannt, fünfzehn Jahre lang in unserem Verein und dann zehn Jahre lang auf der Kreuzzeitung, wo ich ihn allwöchentlich wenigstens einmal sah; aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn je auf einem faulen Pferde ertappt hätte. Im Gegenteil, er war ehrlicher und konsequenter als seine soi disant „Freunde“, die sich ziemlich unberechtigt über ihn erhoben. Ueberhaupt konnte man im Tunnel, wie überall in der Welt, die Mißlichkeit des landläufigen Urteils studieren. Wie mit Blindheit geschlagen, waren oft die Klügsten; höchst fragwürdige Charaktere wurden gefeiert, während viel Tüchtigere sich mit Soupçon behandelt sahn. Es ist unglaublich, wie leicht selbst Scharfsichtige von Fach, z. B. Kriminalisten und Weltweise, durch Manieren und gefälliges Komödienspiel bestochen werden können. Im ganzen genommen existiert bei den Menschen eine so hochgradige <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0421" n="412"/> über ruhig in seinem Potsdamer Heim und lächelte, wenn er von dem Sturm im Glase Wasser hörte. Was aber das Beste war, er ließ diesen Abfall von ihm niemand im Tunnel entgelten, und zeigte sich, was immer aufs neue gesagt werden muß, auch darin wieder uns allen überlegen, vor allem auch überlegen in Gesinnung. Wirklich, er gehörte zu den bestverketzerten Personen, die mir in meinem Leben vorgekommen sind. Ich habe ihn ziemlich gut gekannt, fünfzehn Jahre lang in unserem Verein und dann zehn Jahre lang auf der Kreuzzeitung, wo ich ihn allwöchentlich wenigstens einmal sah; aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn je auf einem faulen Pferde ertappt hätte. Im Gegenteil, er war ehrlicher und konsequenter als seine <hi rendition="#aq">soi disant</hi> „Freunde“, die sich ziemlich unberechtigt über ihn erhoben. Ueberhaupt konnte man im Tunnel, wie überall in der Welt, die Mißlichkeit des landläufigen Urteils studieren. Wie mit Blindheit geschlagen, waren oft die Klügsten; höchst fragwürdige Charaktere wurden gefeiert, während viel Tüchtigere sich mit Soupçon behandelt sahn. Es ist unglaublich, wie leicht selbst Scharfsichtige von Fach, z. B. Kriminalisten und Weltweise, durch Manieren und gefälliges Komödienspiel bestochen werden können. Im ganzen genommen existiert bei den Menschen eine so hochgradige<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [412/0421]
über ruhig in seinem Potsdamer Heim und lächelte, wenn er von dem Sturm im Glase Wasser hörte. Was aber das Beste war, er ließ diesen Abfall von ihm niemand im Tunnel entgelten, und zeigte sich, was immer aufs neue gesagt werden muß, auch darin wieder uns allen überlegen, vor allem auch überlegen in Gesinnung. Wirklich, er gehörte zu den bestverketzerten Personen, die mir in meinem Leben vorgekommen sind. Ich habe ihn ziemlich gut gekannt, fünfzehn Jahre lang in unserem Verein und dann zehn Jahre lang auf der Kreuzzeitung, wo ich ihn allwöchentlich wenigstens einmal sah; aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn je auf einem faulen Pferde ertappt hätte. Im Gegenteil, er war ehrlicher und konsequenter als seine soi disant „Freunde“, die sich ziemlich unberechtigt über ihn erhoben. Ueberhaupt konnte man im Tunnel, wie überall in der Welt, die Mißlichkeit des landläufigen Urteils studieren. Wie mit Blindheit geschlagen, waren oft die Klügsten; höchst fragwürdige Charaktere wurden gefeiert, während viel Tüchtigere sich mit Soupçon behandelt sahn. Es ist unglaublich, wie leicht selbst Scharfsichtige von Fach, z. B. Kriminalisten und Weltweise, durch Manieren und gefälliges Komödienspiel bestochen werden können. Im ganzen genommen existiert bei den Menschen eine so hochgradige
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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