In einer Schrift, die den Titel führt: "Berlin und Petersburg", finde ich das folgende:
" . . Louis Schneider, - dessen viel patronisierter ,Soldatenfreund' wesentlich dazu beigetragen hatte, daß ein Teil des preußischen Offizierkorps seine Ehre darin sah, sich als russische Avantgarde zu fühlen und in den Tagen schärfster Diskrepanz zwischen deutschen und russischen Interessen die moralische Unentbehrlichkeit der russischen Allianz zu predigen, - Louis Schneider ließ sich im Jahre 1848, unter dem Titel eines Mitarbeiters, für die in Rußland selbst nur mit Ekel und Verachtung genannte ,Nordische Biene' zum Leibkorrespondenten des Kaisers Nikolaus anwerben ... Gewohnt, die russische Obergewalt als naturgemäßes Verhältnis zu behandeln, sah Schneider in dem russischen Monarchen lediglich den ,europäischen Rennebohm' der bekannten Berliner Eckensteher-Anekdote, jenen alles regulierenden Hausherrn also, der sowohl Schulzen wie Lehmann aus seiner Bierstube weist, weil sie sich gegenseitig Ohrfeigen stechen wollen ... Den Tag, an welchem die Kunde von dem Tode des Kaisers am preußischen Hofe eintraf, zählte Schneider zu den traurigsten seines Lebens und die von ihm in den Spalten des ,Soldatenfreundes' angestimmte Totenklage um den kaiserlichen Gönner war - neben dem bekannten,
In einer Schrift, die den Titel führt: „Berlin und Petersburg“, finde ich das folgende:
„ . . Louis Schneider, – dessen viel patronisierter ‚Soldatenfreund‘ wesentlich dazu beigetragen hatte, daß ein Teil des preußischen Offizierkorps seine Ehre darin sah, sich als russische Avantgarde zu fühlen und in den Tagen schärfster Diskrepanz zwischen deutschen und russischen Interessen die moralische Unentbehrlichkeit der russischen Allianz zu predigen, – Louis Schneider ließ sich im Jahre 1848, unter dem Titel eines Mitarbeiters, für die in Rußland selbst nur mit Ekel und Verachtung genannte ‚Nordische Biene‘ zum Leibkorrespondenten des Kaisers Nikolaus anwerben … Gewohnt, die russische Obergewalt als naturgemäßes Verhältnis zu behandeln, sah Schneider in dem russischen Monarchen lediglich den ‚europäischen Rennebohm‘ der bekannten Berliner Eckensteher-Anekdote, jenen alles regulierenden Hausherrn also, der sowohl Schulzen wie Lehmann aus seiner Bierstube weist, weil sie sich gegenseitig Ohrfeigen stechen wollen … Den Tag, an welchem die Kunde von dem Tode des Kaisers am preußischen Hofe eintraf, zählte Schneider zu den traurigsten seines Lebens und die von ihm in den Spalten des ‚Soldatenfreundes‘ angestimmte Totenklage um den kaiserlichen Gönner war – neben dem bekannten,
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In einer Schrift, die den Titel führt: „Berlin und Petersburg“, finde ich das folgende:
„ . . Louis Schneider, – dessen viel patronisierter ‚Soldatenfreund‘ wesentlich dazu beigetragen hatte, daß ein Teil des preußischen Offizierkorps seine Ehre darin sah, sich als russische Avantgarde zu fühlen und in den Tagen schärfster Diskrepanz zwischen deutschen und russischen Interessen die moralische Unentbehrlichkeit der russischen Allianz zu predigen, – Louis Schneider ließ sich im Jahre 1848, unter dem Titel eines Mitarbeiters, für die in Rußland selbst nur mit Ekel und Verachtung genannte ‚Nordische Biene‘ zum Leibkorrespondenten des Kaisers Nikolaus anwerben … Gewohnt, die russische Obergewalt als naturgemäßes Verhältnis zu behandeln, sah Schneider in dem russischen Monarchen lediglich den ‚europäischen Rennebohm‘ der bekannten Berliner Eckensteher-Anekdote, jenen alles regulierenden Hausherrn also, der sowohl Schulzen wie Lehmann aus seiner Bierstube weist, weil sie sich gegenseitig Ohrfeigen stechen wollen … Den Tag, an welchem die Kunde von dem Tode des Kaisers am preußischen Hofe eintraf, zählte Schneider zu den traurigsten seines Lebens und die von ihm in den Spalten des ‚Soldatenfreundes‘ angestimmte Totenklage um den kaiserlichen Gönner war – neben dem bekannten,
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/423>, abgerufen am 24.06.2024.
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