Welt wimmelt von faux bonhommes. Was aber nicht täuschen kann, ist ein langes Leben, das sich dem Beobachter als aus einem Gusse darstellt. Er war zu jeder Zeit derselbe, fast zu sehr. Ich habe vieles an ihm gesehen, was mir mißfallen hat, nichts aber, das ich als mißachtlich oder auch nur als zweideutig zu bezeichnen hätte. Seinen Geschmack geb' ich preis; ästhetisch war er sehr anfechtbar, moralisch bestand er.
Wie sich denken läßt, zirkulierten im Tunnel allerhand Anekdoten über ihn, die sämtlich den Zweck verfolgten, entweder ihn politisch zu diskreditieren oder aber ihn als "komische Figur" zu ridikulisieren. Als im Sommer 49 Nikolaus nach Berlin kam, ließ er Schneider ins Palais rufen und äußerte sich über den traurigen Zustand, in den Preußen geraten sei. "Sehn Sie, Schneider, richtige Preußen giebt es überhaupt nur noch zwei: ich und Sie." Ziemlich um dieselbe Zeit erschien eine den Kaiser Nikolaus als beschränkt, brutal und deutsch-feindlich schildernde Broschüre. "Die müssen Sie lesen," hieß es im Tunnel. Schneider aber antwortete: "Davor werd' ich mich hüten; dergleichen verwirrt bloß." - Wie beim Kaiser, so war er auch bei der Kaiserin gut angeschrieben. Kam diese von Petersburg nach Potsdam auf längeren Besuch, so wurde Schneider zum Thee befohlen; die
Welt wimmelt von faux bonhommes. Was aber nicht täuschen kann, ist ein langes Leben, das sich dem Beobachter als aus einem Gusse darstellt. Er war zu jeder Zeit derselbe, fast zu sehr. Ich habe vieles an ihm gesehen, was mir mißfallen hat, nichts aber, das ich als mißachtlich oder auch nur als zweideutig zu bezeichnen hätte. Seinen Geschmack geb’ ich preis; ästhetisch war er sehr anfechtbar, moralisch bestand er.
Wie sich denken läßt, zirkulierten im Tunnel allerhand Anekdoten über ihn, die sämtlich den Zweck verfolgten, entweder ihn politisch zu diskreditieren oder aber ihn als „komische Figur“ zu ridikulisieren. Als im Sommer 49 Nikolaus nach Berlin kam, ließ er Schneider ins Palais rufen und äußerte sich über den traurigen Zustand, in den Preußen geraten sei. „Sehn Sie, Schneider, richtige Preußen giebt es überhaupt nur noch zwei: ich und Sie.“ Ziemlich um dieselbe Zeit erschien eine den Kaiser Nikolaus als beschränkt, brutal und deutsch-feindlich schildernde Broschüre. „Die müssen Sie lesen,“ hieß es im Tunnel. Schneider aber antwortete: „Davor werd’ ich mich hüten; dergleichen verwirrt bloß.“ – Wie beim Kaiser, so war er auch bei der Kaiserin gut angeschrieben. Kam diese von Petersburg nach Potsdam auf längeren Besuch, so wurde Schneider zum Thee befohlen; die
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Welt wimmelt von faux bonhommes. Was aber nicht täuschen kann, ist ein langes Leben, das sich dem Beobachter als aus einem Gusse darstellt. Er war zu jeder Zeit derselbe, fast zu sehr. Ich habe vieles an ihm gesehen, was mir mißfallen hat, nichts aber, das ich als mißachtlich oder auch nur als zweideutig zu bezeichnen hätte. Seinen Geschmack geb’ ich preis; ästhetisch war er sehr anfechtbar, moralisch bestand er.
Wie sich denken läßt, zirkulierten im Tunnel allerhand Anekdoten über ihn, die sämtlich den Zweck verfolgten, entweder ihn politisch zu diskreditieren oder aber ihn als „komische Figur“ zu ridikulisieren. Als im Sommer 49 Nikolaus nach Berlin kam, ließ er Schneider ins Palais rufen und äußerte sich über den traurigen Zustand, in den Preußen geraten sei. „Sehn Sie, Schneider, richtige Preußen giebt es überhaupt nur noch zwei: ich und Sie.“ Ziemlich um dieselbe Zeit erschien eine den Kaiser Nikolaus als beschränkt, brutal und deutsch-feindlich schildernde Broschüre. „Die müssen Sie lesen,“ hieß es im Tunnel. Schneider aber antwortete: „Davor werd’ ich mich hüten; dergleichen verwirrt bloß.“ – Wie beim Kaiser, so war er auch bei der Kaiserin gut angeschrieben. Kam diese von Petersburg nach Potsdam auf längeren Besuch, so wurde Schneider zum Thee befohlen; die
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/428>, abgerufen am 27.07.2024.
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