Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.ich überhaupt in solcher Ausführlichkeit bei der Geschichte verweilt habe. Sommer zweiundneunzig, also zweiundfünfzig Jahre nach Niederschreibung jener Jugendarbeit, saß ich in einer Sommerwohnung in Schlesien, den schönen Zug des Riesengebirges als Panorama vor mir. Eines Morgens traf "eingeschrieben" ein ziemlich umfangreiches Briefpacket ein, augenscheinlich ein Manuskript. Absender war ein alter Herr, der, zur Zeit als Pensionär in Görlitz lebend, in seinen besten Mannesjahren Bürgermeister in jener Stadt gewesen war, in deren Nähe die vorerzählte Tragödie gespielt und in deren Mauern die Prozeßverhandlung stattgefunden hatte. Während seiner Amtsführung war ihm die Lust gekommen, sich eingehender mit jener cause celebre zu beschäftigen und was er mir da schickte, war das den Akten entnommene Material zu einem, wie er mit Recht meinte, "märkischen Roman". In den Begleitzeilen hieß es: "Ich schicke Ihnen das alles, denn Sie sind der Mann dafür, und ich würde mich freun, den Stoff, der mir ein sehr guter zu sein scheint, durch Sie behandelt zu sehn." Man stelle sich vor, wie das auf mich wirkte. Die Beantwortung des Briefes war nicht leicht und ich schrieb ihm ausweichend: "ich sei zu alt dafür." ich überhaupt in solcher Ausführlichkeit bei der Geschichte verweilt habe. Sommer zweiundneunzig, also zweiundfünfzig Jahre nach Niederschreibung jener Jugendarbeit, saß ich in einer Sommerwohnung in Schlesien, den schönen Zug des Riesengebirges als Panorama vor mir. Eines Morgens traf „eingeschrieben“ ein ziemlich umfangreiches Briefpacket ein, augenscheinlich ein Manuskript. Absender war ein alter Herr, der, zur Zeit als Pensionär in Görlitz lebend, in seinen besten Mannesjahren Bürgermeister in jener Stadt gewesen war, in deren Nähe die vorerzählte Tragödie gespielt und in deren Mauern die Prozeßverhandlung stattgefunden hatte. Während seiner Amtsführung war ihm die Lust gekommen, sich eingehender mit jener cause celèbre zu beschäftigen und was er mir da schickte, war das den Akten entnommene Material zu einem, wie er mit Recht meinte, „märkischen Roman“. In den Begleitzeilen hieß es: „Ich schicke Ihnen das alles, denn Sie sind der Mann dafür, und ich würde mich freun, den Stoff, der mir ein sehr guter zu sein scheint, durch Sie behandelt zu sehn.“ Man stelle sich vor, wie das auf mich wirkte. Die Beantwortung des Briefes war nicht leicht und ich schrieb ihm ausweichend: „ich sei zu alt dafür.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0044" n="35"/> ich überhaupt in solcher Ausführlichkeit bei der Geschichte verweilt habe.</p><lb/> <p>Sommer zweiundneunzig, also <hi rendition="#g">zweiundfünfzig Jahre</hi> nach Niederschreibung jener Jugendarbeit, saß ich in einer Sommerwohnung in Schlesien, den schönen Zug des Riesengebirges als Panorama vor mir. Eines Morgens traf „eingeschrieben“ ein ziemlich umfangreiches Briefpacket ein, augenscheinlich ein Manuskript. Absender war ein alter Herr, der, zur Zeit als Pensionär in Görlitz lebend, in seinen besten Mannesjahren Bürgermeister in jener Stadt gewesen war, in deren Nähe die vorerzählte Tragödie gespielt und in deren Mauern die Prozeßverhandlung stattgefunden hatte. Während seiner Amtsführung war ihm die Lust gekommen, sich eingehender mit jener <hi rendition="#aq">cause celèbre</hi> zu beschäftigen und was er mir da schickte, war das den Akten entnommene Material zu einem, wie er mit Recht meinte, „märkischen Roman“. In den Begleitzeilen hieß es: „Ich schicke <hi rendition="#g">Ihnen</hi> das alles, denn Sie sind der Mann dafür, und ich würde mich freun, den Stoff, der mir ein sehr guter zu sein scheint, durch Sie behandelt zu sehn.“</p><lb/> <p>Man stelle sich vor, wie das auf mich wirkte. Die Beantwortung des Briefes war nicht leicht und ich schrieb ihm ausweichend: „ich sei zu alt dafür.“<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0044]
ich überhaupt in solcher Ausführlichkeit bei der Geschichte verweilt habe.
Sommer zweiundneunzig, also zweiundfünfzig Jahre nach Niederschreibung jener Jugendarbeit, saß ich in einer Sommerwohnung in Schlesien, den schönen Zug des Riesengebirges als Panorama vor mir. Eines Morgens traf „eingeschrieben“ ein ziemlich umfangreiches Briefpacket ein, augenscheinlich ein Manuskript. Absender war ein alter Herr, der, zur Zeit als Pensionär in Görlitz lebend, in seinen besten Mannesjahren Bürgermeister in jener Stadt gewesen war, in deren Nähe die vorerzählte Tragödie gespielt und in deren Mauern die Prozeßverhandlung stattgefunden hatte. Während seiner Amtsführung war ihm die Lust gekommen, sich eingehender mit jener cause celèbre zu beschäftigen und was er mir da schickte, war das den Akten entnommene Material zu einem, wie er mit Recht meinte, „märkischen Roman“. In den Begleitzeilen hieß es: „Ich schicke Ihnen das alles, denn Sie sind der Mann dafür, und ich würde mich freun, den Stoff, der mir ein sehr guter zu sein scheint, durch Sie behandelt zu sehn.“
Man stelle sich vor, wie das auf mich wirkte. Die Beantwortung des Briefes war nicht leicht und ich schrieb ihm ausweichend: „ich sei zu alt dafür.“
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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