Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.sagte dann, wie zur Entschuldigung, als er auf manchem Gesichte wohl so etwas wie Mißbilligung lesen mochte: "Verkennen Sie mich nicht. Ich bin aus einer alten Pastorenfamilie, die Glaubens willen aus dem Lande gegangen, und hab' ein Herz für alles, was zum geistlichen Stande gehört. Aber wenn irgend was Schreckliches geschieht, wo's in Frankreich heißt: ,ou est la femme', da frag' ich hierlandes unwillkürlich: ,ou est le pretre'?" - Ganz besonders reizend war er, wenn er seine Schriftstellerei bewitzelte. Einmal stritt man sich und holte das Konversations-Lexikon heran, um ihn mit Hilfe desselben zu bekämpfen. Da kam er in eine helle Heiterkeit. "Wer selber so viele hundert Artikel dafür geschrieben hat wie ich, den müssen Sie mit dem Konversations-Lexikon nicht widerlegen wollen." In diesem Stile sprach er beständig, und weil mir das alles ganz ausnehmend gefiel, wurd' ich mehr und mehr sein Anhänger und habe sehr viel von ihm gehabt. "Ich marchandiere nicht", war eine seiner Lieblingswendungen, und zu dieser Wendung war er voll berechtigt. Walter Scott war sein Vorbild, litterarisch gewiß, aber auch in Repräsentation und Lebensführung. Diese letztere - in natürlicher Folge beschränkterer Verhältnisse - konnte selbstverständlich nicht so vornehm sein, wie sagte dann, wie zur Entschuldigung, als er auf manchem Gesichte wohl so etwas wie Mißbilligung lesen mochte: „Verkennen Sie mich nicht. Ich bin aus einer alten Pastorenfamilie, die Glaubens willen aus dem Lande gegangen, und hab’ ein Herz für alles, was zum geistlichen Stande gehört. Aber wenn irgend was Schreckliches geschieht, wo’s in Frankreich heißt: ‚où est la femme‘, da frag’ ich hierlandes unwillkürlich: ‚où est le prêtre‘?“ – Ganz besonders reizend war er, wenn er seine Schriftstellerei bewitzelte. Einmal stritt man sich und holte das Konversations-Lexikon heran, um ihn mit Hilfe desselben zu bekämpfen. Da kam er in eine helle Heiterkeit. „Wer selber so viele hundert Artikel dafür geschrieben hat wie ich, den müssen Sie mit dem Konversations-Lexikon nicht widerlegen wollen.“ In diesem Stile sprach er beständig, und weil mir das alles ganz ausnehmend gefiel, wurd’ ich mehr und mehr sein Anhänger und habe sehr viel von ihm gehabt. „Ich marchandiere nicht“, war eine seiner Lieblingswendungen, und zu dieser Wendung war er voll berechtigt. Walter Scott war sein Vorbild, litterarisch gewiß, aber auch in Repräsentation und Lebensführung. Diese letztere – in natürlicher Folge beschränkterer Verhältnisse – konnte selbstverständlich nicht so vornehm sein, wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0449" n="440"/> sagte dann, wie zur Entschuldigung, als er auf manchem Gesichte wohl so etwas wie Mißbilligung lesen mochte: „Verkennen Sie mich nicht. Ich bin aus einer alten Pastorenfamilie, die Glaubens willen aus dem Lande gegangen, und hab’ ein Herz für alles, was zum geistlichen Stande gehört. Aber wenn irgend was Schreckliches geschieht, wo’s in Frankreich heißt: <hi rendition="#aq">‚où est la femme‘</hi>, da frag’ ich hierlandes unwillkürlich: <hi rendition="#aq">‚où est le prêtre‘</hi>?“ – Ganz besonders reizend war er, wenn er seine Schriftstellerei bewitzelte. Einmal stritt man sich und holte das Konversations-Lexikon heran, um ihn mit Hilfe desselben zu bekämpfen. Da kam er in eine helle Heiterkeit. „Wer selber so viele hundert Artikel dafür geschrieben hat wie ich, den müssen Sie mit dem Konversations-Lexikon nicht widerlegen wollen.“</p><lb/> <p>In diesem Stile sprach er beständig, und weil mir das alles ganz ausnehmend gefiel, wurd’ ich mehr und mehr sein Anhänger und habe sehr viel von ihm gehabt. „Ich marchandiere nicht“, war eine seiner Lieblingswendungen, und zu dieser Wendung war er voll berechtigt. Walter Scott war sein Vorbild, litterarisch gewiß, aber auch in Repräsentation und Lebensführung. Diese letztere – in natürlicher Folge beschränkterer Verhältnisse – konnte selbstverständlich nicht so vornehm sein, wie<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [440/0449]
sagte dann, wie zur Entschuldigung, als er auf manchem Gesichte wohl so etwas wie Mißbilligung lesen mochte: „Verkennen Sie mich nicht. Ich bin aus einer alten Pastorenfamilie, die Glaubens willen aus dem Lande gegangen, und hab’ ein Herz für alles, was zum geistlichen Stande gehört. Aber wenn irgend was Schreckliches geschieht, wo’s in Frankreich heißt: ‚où est la femme‘, da frag’ ich hierlandes unwillkürlich: ‚où est le prêtre‘?“ – Ganz besonders reizend war er, wenn er seine Schriftstellerei bewitzelte. Einmal stritt man sich und holte das Konversations-Lexikon heran, um ihn mit Hilfe desselben zu bekämpfen. Da kam er in eine helle Heiterkeit. „Wer selber so viele hundert Artikel dafür geschrieben hat wie ich, den müssen Sie mit dem Konversations-Lexikon nicht widerlegen wollen.“
In diesem Stile sprach er beständig, und weil mir das alles ganz ausnehmend gefiel, wurd’ ich mehr und mehr sein Anhänger und habe sehr viel von ihm gehabt. „Ich marchandiere nicht“, war eine seiner Lieblingswendungen, und zu dieser Wendung war er voll berechtigt. Walter Scott war sein Vorbild, litterarisch gewiß, aber auch in Repräsentation und Lebensführung. Diese letztere – in natürlicher Folge beschränkterer Verhältnisse – konnte selbstverständlich nicht so vornehm sein, wie
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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