Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.aber hinzugesetzt haben: "Ich muß die gnädige Frau dringend bitten, es nicht lesen zu wollen." Von Hesekiel ließ er sich alles gefallen; manche Wendungen waren stereotyp. Es kam vor, daß Goedsche mit einem gewissen Feldherrnschritt auf der Redaktion erschien und hier, ohne daß das Geringste vorgefallen war, ein ungeheures Ergriffensein über einen rätselhaften und vielleicht gar nicht 'mal existierenden Hergang zur Schau stellte. Hesekiel sagte dann, um diesen falschen Rausch zu markieren, ruhig vor sich hin: "Goedsche hat heute wieder seine Zahntinktur ausgetrunken." Ich persönlich habe Goedsche nur von zwei Seiten kennen gelernt: als Vogelzüchter und Bellachini-Freund. Er hatte eine Hecke der schönsten australischen und südamerikanischen Vögel, und Bellachini war auf seine Art ein reizender Mann, was nicht wundernehmen darf. Alles, was sich an der Peripherie der Kunst herumtummelt: Akrobaten, Clowns, Monsieur Herkules, Zauberer und Taschenspieler - alle sind meist sehr angenehme Leute, weil sie das Bedürfnis haben, die Welt mit sich zu versöhnen. Goedsche zog sich in den siebziger Jahren nach Warmbrunn zurück, woselbst er in seinen guten Tagen - er hatte an den Redcliffe-Romanen ein enormes Geld verdient - ein Krankenhaus gestiftet hatte; dort starb er auch. Das letzte Mal, da ich ihn sah, noch in Berlin, aber hinzugesetzt haben: „Ich muß die gnädige Frau dringend bitten, es nicht lesen zu wollen.“ Von Hesekiel ließ er sich alles gefallen; manche Wendungen waren stereotyp. Es kam vor, daß Goedsche mit einem gewissen Feldherrnschritt auf der Redaktion erschien und hier, ohne daß das Geringste vorgefallen war, ein ungeheures Ergriffensein über einen rätselhaften und vielleicht gar nicht ’mal existierenden Hergang zur Schau stellte. Hesekiel sagte dann, um diesen falschen Rausch zu markieren, ruhig vor sich hin: „Goedsche hat heute wieder seine Zahntinktur ausgetrunken.“ Ich persönlich habe Goedsche nur von zwei Seiten kennen gelernt: als Vogelzüchter und Bellachini-Freund. Er hatte eine Hecke der schönsten australischen und südamerikanischen Vögel, und Bellachini war auf seine Art ein reizender Mann, was nicht wundernehmen darf. Alles, was sich an der Peripherie der Kunst herumtummelt: Akrobaten, Clowns, Monsieur Herkules, Zauberer und Taschenspieler – alle sind meist sehr angenehme Leute, weil sie das Bedürfnis haben, die Welt mit sich zu versöhnen. Goedsche zog sich in den siebziger Jahren nach Warmbrunn zurück, woselbst er in seinen guten Tagen – er hatte an den Redcliffe-Romanen ein enormes Geld verdient – ein Krankenhaus gestiftet hatte; dort starb er auch. Das letzte Mal, da ich ihn sah, noch in Berlin, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0461" n="452"/> aber hinzugesetzt haben: „Ich muß die gnädige Frau dringend bitten, es nicht lesen zu wollen.“ Von Hesekiel ließ er sich alles gefallen; manche Wendungen waren stereotyp. Es kam vor, daß Goedsche mit einem gewissen Feldherrnschritt auf der Redaktion erschien und hier, ohne daß das Geringste vorgefallen war, ein ungeheures Ergriffensein über einen rätselhaften und vielleicht gar nicht ’mal existierenden Hergang zur Schau stellte. Hesekiel sagte dann, um diesen falschen Rausch zu markieren, ruhig vor sich hin: „Goedsche hat heute wieder seine Zahntinktur ausgetrunken.“ Ich persönlich habe <choice><sic>Goed’sche</sic><corr>Goedsche</corr></choice> nur von zwei Seiten kennen gelernt: als Vogelzüchter und Bellachini-Freund. Er hatte eine Hecke der schönsten australischen und südamerikanischen Vögel, und Bellachini war auf seine Art ein reizender Mann, was nicht wundernehmen darf. Alles, was sich an der Peripherie der Kunst herumtummelt: Akrobaten, Clowns, Monsieur Herkules, Zauberer und Taschenspieler – alle sind meist sehr angenehme Leute, weil sie das Bedürfnis haben, die Welt mit sich zu versöhnen. Goedsche zog sich in den siebziger Jahren nach Warmbrunn zurück, woselbst er in seinen guten Tagen – er hatte an den Redcliffe-Romanen ein enormes Geld verdient – ein Krankenhaus gestiftet hatte; dort starb er auch. Das letzte Mal, da ich ihn sah, noch in Berlin,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [452/0461]
aber hinzugesetzt haben: „Ich muß die gnädige Frau dringend bitten, es nicht lesen zu wollen.“ Von Hesekiel ließ er sich alles gefallen; manche Wendungen waren stereotyp. Es kam vor, daß Goedsche mit einem gewissen Feldherrnschritt auf der Redaktion erschien und hier, ohne daß das Geringste vorgefallen war, ein ungeheures Ergriffensein über einen rätselhaften und vielleicht gar nicht ’mal existierenden Hergang zur Schau stellte. Hesekiel sagte dann, um diesen falschen Rausch zu markieren, ruhig vor sich hin: „Goedsche hat heute wieder seine Zahntinktur ausgetrunken.“ Ich persönlich habe Goedsche nur von zwei Seiten kennen gelernt: als Vogelzüchter und Bellachini-Freund. Er hatte eine Hecke der schönsten australischen und südamerikanischen Vögel, und Bellachini war auf seine Art ein reizender Mann, was nicht wundernehmen darf. Alles, was sich an der Peripherie der Kunst herumtummelt: Akrobaten, Clowns, Monsieur Herkules, Zauberer und Taschenspieler – alle sind meist sehr angenehme Leute, weil sie das Bedürfnis haben, die Welt mit sich zu versöhnen. Goedsche zog sich in den siebziger Jahren nach Warmbrunn zurück, woselbst er in seinen guten Tagen – er hatte an den Redcliffe-Romanen ein enormes Geld verdient – ein Krankenhaus gestiftet hatte; dort starb er auch. Das letzte Mal, da ich ihn sah, noch in Berlin,
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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