Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.kleideten Absagebrief, der mich und vielleicht mehr noch die anderen vor Verlegenheiten bewahrte. Noch jetzt, in meinem hohen Alter, wo ich die für unsereins höchste Rangstufe, nämlich die des im Konversations-Lexikonstehens mühsamlich erreicht habe, noch heute bin ich ängstlich beflissen, bei Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen auf dem Lande - Begräbnisse sind am schlimmsten - nicht zugegen zu sein, auch nicht im Kreise mir Befreundeter. Denn die "Befreundeten" haben an solchem Tage das Spiel nicht in der Hand und an die Stelle, wenn ich mich so ausdrücken darf, einer wohlwollenden Hausluft, die der adlige Freund mir alltags gern und wie selbstverständlich gewährt, tritt plötzlich eine durch die geladene Gesamtheit heraufbeschworene eisige Standesatmosphäre. Die beiden Freunde, der Adlige und der Bürgerliche, schwitzen gegenseitig Blut und Wasser, während die meist in Provinzial-Landschafts-Uniform auftretenden oder doch mit einem Johanniterkreuz ausgerüsteten Träger höherer Gesellschaftlichkeit nicht recht wissen, was sie mit einem machen sollen. Rettung wäre vielleicht Anlegung eines Adler- oder Kronenordens, wenn man dergleichen hat, aber auch das bleibt ein gewagtes Mittel, weil es als Anspruch auf Ebenbürtigkeit gedeutet werden, also mehr kosten als einbringen kann. So steht man denn in seiner weißen Binde, kleideten Absagebrief, der mich und vielleicht mehr noch die anderen vor Verlegenheiten bewahrte. Noch jetzt, in meinem hohen Alter, wo ich die für unsereins höchste Rangstufe, nämlich die des im Konversations-Lexikonstehens mühsamlich erreicht habe, noch heute bin ich ängstlich beflissen, bei Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen auf dem Lande – Begräbnisse sind am schlimmsten – nicht zugegen zu sein, auch nicht im Kreise mir Befreundeter. Denn die „Befreundeten“ haben an solchem Tage das Spiel nicht in der Hand und an die Stelle, wenn ich mich so ausdrücken darf, einer wohlwollenden Hausluft, die der adlige Freund mir alltags gern und wie selbstverständlich gewährt, tritt plötzlich eine durch die geladene Gesamtheit heraufbeschworene eisige Standesatmosphäre. Die beiden Freunde, der Adlige und der Bürgerliche, schwitzen gegenseitig Blut und Wasser, während die meist in Provinzial-Landschafts-Uniform auftretenden oder doch mit einem Johanniterkreuz ausgerüsteten Träger höherer Gesellschaftlichkeit nicht recht wissen, was sie mit einem machen sollen. Rettung wäre vielleicht Anlegung eines Adler- oder Kronenordens, wenn man dergleichen hat, aber auch das bleibt ein gewagtes Mittel, weil es als Anspruch auf Ebenbürtigkeit gedeutet werden, also mehr kosten als einbringen kann. So steht man denn in seiner weißen Binde, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0505" n="496"/> kleideten Absagebrief, der mich und vielleicht mehr noch die anderen vor Verlegenheiten bewahrte. Noch jetzt, in meinem hohen Alter, wo ich die für unsereins höchste Rangstufe, nämlich die des im Konversations-Lexikonstehens mühsamlich erreicht habe, noch heute bin ich ängstlich beflissen, bei Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen auf dem Lande – Begräbnisse sind am schlimmsten – nicht zugegen zu sein, auch nicht im Kreise mir Befreundeter. Denn die „Befreundeten“ haben an solchem Tage das Spiel nicht in der Hand und an die Stelle, wenn ich mich so ausdrücken darf, einer wohlwollenden Hausluft, die der adlige Freund mir alltags gern und wie selbstverständlich gewährt, tritt plötzlich eine durch die geladene Gesamtheit heraufbeschworene eisige Standesatmosphäre. Die beiden Freunde, der Adlige und der Bürgerliche, schwitzen gegenseitig Blut und Wasser, während die meist in Provinzial-Landschafts-Uniform auftretenden oder doch mit einem Johanniterkreuz ausgerüsteten Träger höherer Gesellschaftlichkeit nicht recht wissen, was sie mit einem machen sollen. Rettung wäre vielleicht Anlegung eines Adler- oder Kronenordens, wenn man dergleichen hat, aber auch das bleibt ein gewagtes Mittel, weil es als Anspruch auf Ebenbürtigkeit gedeutet werden, also mehr kosten als einbringen kann. So steht man denn in seiner weißen Binde,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [496/0505]
kleideten Absagebrief, der mich und vielleicht mehr noch die anderen vor Verlegenheiten bewahrte. Noch jetzt, in meinem hohen Alter, wo ich die für unsereins höchste Rangstufe, nämlich die des im Konversations-Lexikonstehens mühsamlich erreicht habe, noch heute bin ich ängstlich beflissen, bei Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen auf dem Lande – Begräbnisse sind am schlimmsten – nicht zugegen zu sein, auch nicht im Kreise mir Befreundeter. Denn die „Befreundeten“ haben an solchem Tage das Spiel nicht in der Hand und an die Stelle, wenn ich mich so ausdrücken darf, einer wohlwollenden Hausluft, die der adlige Freund mir alltags gern und wie selbstverständlich gewährt, tritt plötzlich eine durch die geladene Gesamtheit heraufbeschworene eisige Standesatmosphäre. Die beiden Freunde, der Adlige und der Bürgerliche, schwitzen gegenseitig Blut und Wasser, während die meist in Provinzial-Landschafts-Uniform auftretenden oder doch mit einem Johanniterkreuz ausgerüsteten Träger höherer Gesellschaftlichkeit nicht recht wissen, was sie mit einem machen sollen. Rettung wäre vielleicht Anlegung eines Adler- oder Kronenordens, wenn man dergleichen hat, aber auch das bleibt ein gewagtes Mittel, weil es als Anspruch auf Ebenbürtigkeit gedeutet werden, also mehr kosten als einbringen kann. So steht man denn in seiner weißen Binde,
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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