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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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Gastgeber fast noch mehr erfreute als die Gäste. Bis ins Kleinste hinein war alles einer Idealvorstellung von Gastlichkeit angepaßt. Wirte, die sich mit einer Einzelsache beschäftigen, vom Sterlett an, der eben frisch von der Wolga kommt, bis hinunter zu Bellachini oder einem spiritistischen Nadelsucher - solche Wirte giebt es viele, Merckel aber richtete seine Aufmerksamkeit nicht auf ein Einzelnes, sondern auf das Ganze. Selbst eine harmonische Natur, mußte denn auch rund um ihn her alles stimmen und klappen; jedes Zuviel wurde vermieden, weil es nur gestört und in den bescheidenen Rahmen nicht hineingepaßt hätte.

Ja, dieser Rahmen war bescheiden, selbst nach damaliger Anschauung. Wir saßen in einem grünen Hinterzimmer, im Sommer bei geöffneten Fenstern, und hörten gedämpft den Lärm, der unten vom Hofe her heraufdrang. An den Wänden hingen Lithographieen, so primitiv, als ob sie dem ersten Jahr der Steinzeichenkunst ihre Entstehung verdankten. Es waren Waldpartien aus dem Riesengebirge, Tannen und wieder Tannen. Jeder andre Zimmerschmuck fehlte. Die Zahl der Gäste stieg selten über acht oder zehn, waren es mehr, so wurde der Tisch, um mehr Platz zu schaffen, in die Diagonale gestellt, was Merckel dann seine "schräge

Gastgeber fast noch mehr erfreute als die Gäste. Bis ins Kleinste hinein war alles einer Idealvorstellung von Gastlichkeit angepaßt. Wirte, die sich mit einer Einzelsache beschäftigen, vom Sterlett an, der eben frisch von der Wolga kommt, bis hinunter zu Bellachini oder einem spiritistischen Nadelsucher – solche Wirte giebt es viele, Merckel aber richtete seine Aufmerksamkeit nicht auf ein Einzelnes, sondern auf das Ganze. Selbst eine harmonische Natur, mußte denn auch rund um ihn her alles stimmen und klappen; jedes Zuviel wurde vermieden, weil es nur gestört und in den bescheidenen Rahmen nicht hineingepaßt hätte.

Ja, dieser Rahmen war bescheiden, selbst nach damaliger Anschauung. Wir saßen in einem grünen Hinterzimmer, im Sommer bei geöffneten Fenstern, und hörten gedämpft den Lärm, der unten vom Hofe her heraufdrang. An den Wänden hingen Lithographieen, so primitiv, als ob sie dem ersten Jahr der Steinzeichenkunst ihre Entstehung verdankten. Es waren Waldpartien aus dem Riesengebirge, Tannen und wieder Tannen. Jeder andre Zimmerschmuck fehlte. Die Zahl der Gäste stieg selten über acht oder zehn, waren es mehr, so wurde der Tisch, um mehr Platz zu schaffen, in die Diagonale gestellt, was Merckel dann seine „schräge

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[517/0526] Gastgeber fast noch mehr erfreute als die Gäste. Bis ins Kleinste hinein war alles einer Idealvorstellung von Gastlichkeit angepaßt. Wirte, die sich mit einer Einzelsache beschäftigen, vom Sterlett an, der eben frisch von der Wolga kommt, bis hinunter zu Bellachini oder einem spiritistischen Nadelsucher – solche Wirte giebt es viele, Merckel aber richtete seine Aufmerksamkeit nicht auf ein Einzelnes, sondern auf das Ganze. Selbst eine harmonische Natur, mußte denn auch rund um ihn her alles stimmen und klappen; jedes Zuviel wurde vermieden, weil es nur gestört und in den bescheidenen Rahmen nicht hineingepaßt hätte. Ja, dieser Rahmen war bescheiden, selbst nach damaliger Anschauung. Wir saßen in einem grünen Hinterzimmer, im Sommer bei geöffneten Fenstern, und hörten gedämpft den Lärm, der unten vom Hofe her heraufdrang. An den Wänden hingen Lithographieen, so primitiv, als ob sie dem ersten Jahr der Steinzeichenkunst ihre Entstehung verdankten. Es waren Waldpartien aus dem Riesengebirge, Tannen und wieder Tannen. Jeder andre Zimmerschmuck fehlte. Die Zahl der Gäste stieg selten über acht oder zehn, waren es mehr, so wurde der Tisch, um mehr Platz zu schaffen, in die Diagonale gestellt, was Merckel dann seine „schräge

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Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/526>, abgerufen am 15.06.2024.