Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich jene Zeit die glücklichste seines Lebens nenne. Jeder Plan, jeder Beitrag wurde bei Tische durchgesprochen und wenn dann das Mahl zu Ende ging und die mit zierlich eingeschliffenen Bildern ausgestatteten, ganz altmodischen Ungarweingläser herumgereicht wurden, die schon vom Großvater her in der Familie waren und dazu ein Wein der an Alter hinter den Gläsern kaum zurückstand, so tranken wir auf "gute Fahrt". Das waren schöne Tage, schön durch vielerlei, vor allem durch den innren Gehalt dessen, an dessen Tisch wir saßen und das führt mich dazu, hier von seinem Charakter zu sprechen. Er war der lauterste und gesinnungsvornehmste Mann, den ich in meinem ganzen Leben kennen gelernt habe, dabei von einem tiefen Bedürfnis nach Freundschaft und Liebe. Daß er dies Bedürfnis so tief empfand und so rührend dankbar war, wenn er dem gleichen Gefühle begegnete, das hing damit zusammen, daß sein scheues, weltabgewandtes Leben ihn daran gehindert hatte, nach Art andrer um Freundschaft und Liebe zu werben. Und daß es so war, das lag wiederum daran, daß er in seinem überfeinen Sinn seiner äußeren Erscheinung von Jugend an mißtraut hatte. Klein, aber doch eigentlich wohlgebildet, zog er diese Wohlgebildetheit beständig in Zweifel und mochte sich ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich jene Zeit die glücklichste seines Lebens nenne. Jeder Plan, jeder Beitrag wurde bei Tische durchgesprochen und wenn dann das Mahl zu Ende ging und die mit zierlich eingeschliffenen Bildern ausgestatteten, ganz altmodischen Ungarweingläser herumgereicht wurden, die schon vom Großvater her in der Familie waren und dazu ein Wein der an Alter hinter den Gläsern kaum zurückstand, so tranken wir auf „gute Fahrt“. Das waren schöne Tage, schön durch vielerlei, vor allem durch den innren Gehalt dessen, an dessen Tisch wir saßen und das führt mich dazu, hier von seinem Charakter zu sprechen. Er war der lauterste und gesinnungsvornehmste Mann, den ich in meinem ganzen Leben kennen gelernt habe, dabei von einem tiefen Bedürfnis nach Freundschaft und Liebe. Daß er dies Bedürfnis so tief empfand und so rührend dankbar war, wenn er dem gleichen Gefühle begegnete, das hing damit zusammen, daß sein scheues, weltabgewandtes Leben ihn daran gehindert hatte, nach Art andrer um Freundschaft und Liebe zu werben. Und daß es so war, das lag wiederum daran, daß er in seinem überfeinen Sinn seiner äußeren Erscheinung von Jugend an mißtraut hatte. Klein, aber doch eigentlich wohlgebildet, zog er diese Wohlgebildetheit beständig in Zweifel und mochte sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0530" n="521"/> ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich jene Zeit die glücklichste seines Lebens nenne. Jeder Plan, jeder Beitrag wurde bei Tische durchgesprochen und wenn dann das Mahl zu Ende ging und die mit zierlich eingeschliffenen Bildern ausgestatteten, ganz altmodischen Ungarweingläser herumgereicht wurden, die schon vom Großvater her in der Familie waren und dazu ein Wein der an Alter hinter den Gläsern kaum zurückstand, so tranken wir auf „gute Fahrt“.</p><lb/> <p>Das waren schöne Tage, schön durch vielerlei, vor allem durch den innren Gehalt dessen, an dessen Tisch wir saßen und das führt mich dazu, hier von seinem <hi rendition="#g">Charakter</hi> zu sprechen. Er war der lauterste und gesinnungsvornehmste Mann, den ich in meinem ganzen Leben kennen gelernt habe, dabei von einem tiefen Bedürfnis nach Freundschaft und Liebe. Daß er dies Bedürfnis so tief empfand und so rührend dankbar war, wenn er dem gleichen Gefühle begegnete, das hing damit zusammen, daß sein scheues, weltabgewandtes Leben ihn daran gehindert hatte, nach Art andrer um Freundschaft und Liebe zu werben. Und daß es so war, das lag wiederum daran, daß er in seinem überfeinen Sinn seiner äußeren Erscheinung von Jugend an mißtraut hatte. Klein, aber doch eigentlich wohlgebildet, zog er diese Wohlgebildetheit beständig in Zweifel und mochte sich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [521/0530]
ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich jene Zeit die glücklichste seines Lebens nenne. Jeder Plan, jeder Beitrag wurde bei Tische durchgesprochen und wenn dann das Mahl zu Ende ging und die mit zierlich eingeschliffenen Bildern ausgestatteten, ganz altmodischen Ungarweingläser herumgereicht wurden, die schon vom Großvater her in der Familie waren und dazu ein Wein der an Alter hinter den Gläsern kaum zurückstand, so tranken wir auf „gute Fahrt“.
Das waren schöne Tage, schön durch vielerlei, vor allem durch den innren Gehalt dessen, an dessen Tisch wir saßen und das führt mich dazu, hier von seinem Charakter zu sprechen. Er war der lauterste und gesinnungsvornehmste Mann, den ich in meinem ganzen Leben kennen gelernt habe, dabei von einem tiefen Bedürfnis nach Freundschaft und Liebe. Daß er dies Bedürfnis so tief empfand und so rührend dankbar war, wenn er dem gleichen Gefühle begegnete, das hing damit zusammen, daß sein scheues, weltabgewandtes Leben ihn daran gehindert hatte, nach Art andrer um Freundschaft und Liebe zu werben. Und daß es so war, das lag wiederum daran, daß er in seinem überfeinen Sinn seiner äußeren Erscheinung von Jugend an mißtraut hatte. Klein, aber doch eigentlich wohlgebildet, zog er diese Wohlgebildetheit beständig in Zweifel und mochte sich
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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