Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.hinter den Bergen stand, machten wir uns auf, um den beiden Fuhrwerken, die jeden Augenblick eintreffen konnten, entgegen zu gehn. Und keine tausend Schritt mehr, so sahen wir auch schon Friedrich mit dem ersten Wagen. Aber als er heran war, machte der alte Kutscher eine traurige Handbewegung, die ausdrücken sollte: ich hab' ihn nicht. "Er ist also weg," sagte meine Frau. "Beruhige dich," unterbrach ich sie. "Das war ja bloß Friedrich. Herr Schmidt kommt noch und wird ihn natürlich mitbringen." Herr Schmidt kam denn auch, machte jedoch schon von fernher dieselbe Handbewegung wie sein Kutscher, was meine Frau sofort zu dem schmerzlichen Ausrufe veranlaßte: "so sind sie also alle beide weg." Aus einer langen Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie gefährlich es ist, Anekdotisches, das sich im Leben ganz nett ausnahm, hinterher litterarisch verwenden zu wollen. Und ist es nun gar Anekdotisches "in eigner Sache", so wird die Gefahr noch größer. Trotzdem habe ich der Versuchung nicht widerstehen können und rechne auf die Zustimmung derer, die mit mir davon ausgehen, daß eine Menschenseele durch nichts besser geschildert wird, als durch solche kleinen Züge. Schon das Sprichwort sagt: "an einem Strohhalme sieht man am deutlichsten, woher der Wind weht." hinter den Bergen stand, machten wir uns auf, um den beiden Fuhrwerken, die jeden Augenblick eintreffen konnten, entgegen zu gehn. Und keine tausend Schritt mehr, so sahen wir auch schon Friedrich mit dem ersten Wagen. Aber als er heran war, machte der alte Kutscher eine traurige Handbewegung, die ausdrücken sollte: ich hab’ ihn nicht. „Er ist also weg,“ sagte meine Frau. „Beruhige dich,“ unterbrach ich sie. „Das war ja bloß Friedrich. Herr Schmidt kommt noch und wird ihn natürlich mitbringen.“ Herr Schmidt kam denn auch, machte jedoch schon von fernher dieselbe Handbewegung wie sein Kutscher, was meine Frau sofort zu dem schmerzlichen Ausrufe veranlaßte: „so sind sie also alle beide weg.“ Aus einer langen Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie gefährlich es ist, Anekdotisches, das sich im Leben ganz nett ausnahm, hinterher litterarisch verwenden zu wollen. Und ist es nun gar Anekdotisches „in eigner Sache“, so wird die Gefahr noch größer. Trotzdem habe ich der Versuchung nicht widerstehen können und rechne auf die Zustimmung derer, die mit mir davon ausgehen, daß eine Menschenseele durch nichts besser geschildert wird, als durch solche kleinen Züge. Schon das Sprichwort sagt: „an einem Strohhalme sieht man am deutlichsten, woher der Wind weht.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0566" n="557"/> hinter den Bergen stand, machten wir uns auf, um den beiden Fuhrwerken, die jeden Augenblick eintreffen konnten, entgegen zu gehn. Und keine tausend Schritt mehr, so sahen wir auch schon Friedrich mit dem ersten Wagen. Aber als er heran war, machte der alte Kutscher eine traurige Handbewegung, die ausdrücken sollte: ich hab’ ihn nicht. „Er ist also weg,“ sagte meine Frau. „Beruhige dich,“ unterbrach ich sie. „Das war ja bloß Friedrich. Herr Schmidt kommt noch und wird ihn natürlich mitbringen.“ Herr Schmidt kam denn auch, machte jedoch schon von fernher dieselbe Handbewegung wie sein Kutscher, was meine Frau sofort zu dem schmerzlichen Ausrufe veranlaßte: „so sind sie also <hi rendition="#g">alle beide weg</hi>.“</p><lb/> <p>Aus einer langen Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie gefährlich es ist, Anekdotisches, das sich im Leben ganz nett ausnahm, hinterher litterarisch verwenden zu wollen. Und ist es nun gar Anekdotisches „in eigner Sache“, so wird die Gefahr noch größer. Trotzdem habe ich der Versuchung nicht widerstehen können und rechne auf die Zustimmung derer, die mit mir davon ausgehen, daß eine Menschenseele durch nichts besser geschildert wird, als durch solche kleinen Züge. Schon das Sprichwort sagt: „an einem Strohhalme sieht man am deutlichsten, woher der Wind weht.“ </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [557/0566]
hinter den Bergen stand, machten wir uns auf, um den beiden Fuhrwerken, die jeden Augenblick eintreffen konnten, entgegen zu gehn. Und keine tausend Schritt mehr, so sahen wir auch schon Friedrich mit dem ersten Wagen. Aber als er heran war, machte der alte Kutscher eine traurige Handbewegung, die ausdrücken sollte: ich hab’ ihn nicht. „Er ist also weg,“ sagte meine Frau. „Beruhige dich,“ unterbrach ich sie. „Das war ja bloß Friedrich. Herr Schmidt kommt noch und wird ihn natürlich mitbringen.“ Herr Schmidt kam denn auch, machte jedoch schon von fernher dieselbe Handbewegung wie sein Kutscher, was meine Frau sofort zu dem schmerzlichen Ausrufe veranlaßte: „so sind sie also alle beide weg.“
Aus einer langen Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie gefährlich es ist, Anekdotisches, das sich im Leben ganz nett ausnahm, hinterher litterarisch verwenden zu wollen. Und ist es nun gar Anekdotisches „in eigner Sache“, so wird die Gefahr noch größer. Trotzdem habe ich der Versuchung nicht widerstehen können und rechne auf die Zustimmung derer, die mit mir davon ausgehen, daß eine Menschenseele durch nichts besser geschildert wird, als durch solche kleinen Züge. Schon das Sprichwort sagt: „an einem Strohhalme sieht man am deutlichsten, woher der Wind weht.“
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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