Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898."Die Schilflieder?" "Ja. Und ich freue mich, daß Sie sie noch nicht kennen, denn ich komme dadurch zu dem Vergnügen, Ihnen diese wundervollen Sachen vorlesen zu können." Und nun begann er. Ich war hingerissen, was ihn sichtlich freute. "Ja, Freund", nahm er wieder das Wort, "da kommt nun freilich unser Maron nicht gegen an, trotzdem er sich's beinah einbildet. Aber diese Schilflieder, das ist noch gar nichts; hören Sie weiter." Und nun las er mir aus der ersten Abteilung - nur etwa dreißig Seiten, die aber das Beste enthalten, was Lenau geschrieben hat - noch etliche Sachen vor: Nach Süden, Dein Bild, Das Mondlicht, Nächtliche Wandrung, Bitte, Das Posthorn. Der Eindruck auf mich war ein großer, überwältigender. Drei Tage später hatte ich die Gedichte. Das damals erstandene Exemplar hat mich durch's Leben hin begleitet und ich lese noch darin. Ich würde das noch öfter thun, wenn ich die vorgenannten Stücke nicht auswendig wüßte. Sie sind meine Lieblinge geblieben. Der Mehrzahl haftet etwas Schmerzrenommistisches an, aber trotzdem finde ich sie schön bis diesen Tag. Im Herbst 1840 verließ ich Berlin und kam, „Die Schilflieder?“ „Ja. Und ich freue mich, daß Sie sie noch nicht kennen, denn ich komme dadurch zu dem Vergnügen, Ihnen diese wundervollen Sachen vorlesen zu können.“ Und nun begann er. Ich war hingerissen, was ihn sichtlich freute. „Ja, Freund“, nahm er wieder das Wort, „da kommt nun freilich unser Maron nicht gegen an, trotzdem er sich’s beinah einbildet. Aber diese Schilflieder, das ist noch gar nichts; hören Sie weiter.“ Und nun las er mir aus der ersten Abteilung – nur etwa dreißig Seiten, die aber das Beste enthalten, was Lenau geschrieben hat – noch etliche Sachen vor: Nach Süden, Dein Bild, Das Mondlicht, Nächtliche Wandrung, Bitte, Das Posthorn. Der Eindruck auf mich war ein großer, überwältigender. Drei Tage später hatte ich die Gedichte. Das damals erstandene Exemplar hat mich durch’s Leben hin begleitet und ich lese noch darin. Ich würde das noch öfter thun, wenn ich die vorgenannten Stücke nicht auswendig wüßte. Sie sind meine Lieblinge geblieben. Der Mehrzahl haftet etwas Schmerzrenommistisches an, aber trotzdem finde ich sie schön bis diesen Tag. Im Herbst 1840 verließ ich Berlin und kam, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0061" n="52"/> <p>„Die Schilflieder?“</p><lb/> <p>„Ja. Und ich freue mich, daß <hi rendition="#g">Sie</hi> sie noch nicht kennen, denn ich komme dadurch zu dem Vergnügen, Ihnen diese wundervollen Sachen vorlesen zu können.“</p><lb/> <p>Und nun begann er. Ich war hingerissen, was ihn sichtlich freute. „Ja, Freund“, nahm er wieder das Wort, „da kommt nun freilich unser Maron nicht gegen an, trotzdem er sich’s beinah einbildet. Aber diese Schilflieder, das ist noch gar nichts; hören <choice><sic>sie</sic><corr>Sie</corr></choice> weiter.“</p><lb/> <p>Und nun las er mir aus der ersten Abteilung – nur etwa dreißig Seiten, die aber das Beste enthalten, was Lenau geschrieben hat – noch etliche Sachen vor: Nach Süden, Dein Bild, Das Mondlicht, Nächtliche Wandrung, Bitte, Das Posthorn.</p><lb/> <p>Der Eindruck auf mich war ein großer, überwältigender. Drei Tage später hatte ich die Gedichte. Das damals erstandene Exemplar hat mich durch’s Leben hin begleitet und ich lese noch darin. Ich würde das noch öfter thun, wenn ich die vorgenannten Stücke nicht auswendig wüßte. Sie sind meine Lieblinge geblieben. Der Mehrzahl haftet etwas Schmerzrenommistisches an, aber trotzdem finde ich sie schön bis diesen Tag.</p><lb/> <p>Im Herbst 1840 verließ ich Berlin und kam,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0061]
„Die Schilflieder?“
„Ja. Und ich freue mich, daß Sie sie noch nicht kennen, denn ich komme dadurch zu dem Vergnügen, Ihnen diese wundervollen Sachen vorlesen zu können.“
Und nun begann er. Ich war hingerissen, was ihn sichtlich freute. „Ja, Freund“, nahm er wieder das Wort, „da kommt nun freilich unser Maron nicht gegen an, trotzdem er sich’s beinah einbildet. Aber diese Schilflieder, das ist noch gar nichts; hören Sie weiter.“
Und nun las er mir aus der ersten Abteilung – nur etwa dreißig Seiten, die aber das Beste enthalten, was Lenau geschrieben hat – noch etliche Sachen vor: Nach Süden, Dein Bild, Das Mondlicht, Nächtliche Wandrung, Bitte, Das Posthorn.
Der Eindruck auf mich war ein großer, überwältigender. Drei Tage später hatte ich die Gedichte. Das damals erstandene Exemplar hat mich durch’s Leben hin begleitet und ich lese noch darin. Ich würde das noch öfter thun, wenn ich die vorgenannten Stücke nicht auswendig wüßte. Sie sind meine Lieblinge geblieben. Der Mehrzahl haftet etwas Schmerzrenommistisches an, aber trotzdem finde ich sie schön bis diesen Tag.
Im Herbst 1840 verließ ich Berlin und kam,
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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