seiner Wissenschaft; er benenne alle ihre kleinsten Theile, bestimme deren verhältniss¬ mässige Grösse, Gestalt, Zusammenfügung, Substanz, Oberfläche, Farbenmischung; kurz, er liefere Dir eine so pünktlich genaue Be¬ schreibung, dass sie, mit dem Gegenstande selbst zusammengehalten, nichts zu wünschen übrig lässt: so wird es Dir, wenn Du noch keine Rose sahst, doch unmöglich seyn, ein Bild daraus zu schöpfen, das dem Urbild entspräche; auch wirst Du keinen Künstler finden, der es wagte, nach einer Beschrei¬ bung die nie gesehene Blume zu zeichnen. Ein Blick hingegen, eine einzige Berührung durch die Sinnesorgane; und das Bild ist auf immer seiner Phantasie unauslöschlich eingeprägt. Was ich hier sage, gilt in einem noch höheren Grade von Dingen, die man vergebens in Worte zu kleiden versucht. Das Leben ist ein Proteus, der sich tausendfältig
H 3
seiner Wissenschaft; er benenne alle ihre kleinsten Theile, bestimme deren verhältniſs¬ mäſsige Gröſse, Gestalt, Zusammenfügung, Substanz, Oberfläche, Farbenmischung; kurz, er liefere Dir eine so pünktlich genaue Be¬ schreibung, daſs sie, mit dem Gegenstande selbst zusammengehalten, nichts zu wünschen übrig läſst: so wird es Dir, wenn Du noch keine Rose sahst, doch unmöglich seyn, ein Bild daraus zu schöpfen, das dem Urbild entspräche; auch wirst Du keinen Künstler finden, der es wagte, nach einer Beschrei¬ bung die nie gesehene Blume zu zeichnen. Ein Blick hingegen, eine einzige Berührung durch die Sinnesorgane; und das Bild ist auf immer seiner Phantasie unauslöschlich eingeprägt. Was ich hier sage, gilt in einem noch höheren Grade von Dingen, die man vergebens in Worte zu kleiden versucht. Das Leben ist ein Proteus, der sich tausendfältig
H 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0129"n="117"/>
seiner Wissenschaft; er benenne alle ihre<lb/>
kleinsten Theile, bestimme deren verhältniſs¬<lb/>
mäſsige Gröſse, Gestalt, Zusammenfügung,<lb/>
Substanz, Oberfläche, Farbenmischung; kurz,<lb/>
er liefere Dir eine so pünktlich genaue Be¬<lb/>
schreibung, daſs sie, mit dem Gegenstande<lb/>
selbst zusammengehalten, nichts zu wünschen<lb/>
übrig läſst: so wird es Dir, wenn Du noch<lb/>
keine Rose sahst, doch unmöglich seyn, ein<lb/>
Bild daraus zu schöpfen, das dem Urbild<lb/>
entspräche; auch wirst Du keinen Künstler<lb/>
finden, der es wagte, nach einer Beschrei¬<lb/>
bung die nie gesehene Blume zu zeichnen.<lb/>
Ein Blick hingegen, eine einzige Berührung<lb/>
durch die Sinnesorgane; und das Bild ist<lb/>
auf immer seiner Phantasie unauslöschlich<lb/>
eingeprägt. Was ich hier sage, gilt in einem<lb/>
noch höheren Grade von Dingen, die man<lb/>
vergebens in Worte zu kleiden versucht. Das<lb/>
Leben ist ein Proteus, der sich tausendfältig<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 3<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[117/0129]
seiner Wissenschaft; er benenne alle ihre
kleinsten Theile, bestimme deren verhältniſs¬
mäſsige Gröſse, Gestalt, Zusammenfügung,
Substanz, Oberfläche, Farbenmischung; kurz,
er liefere Dir eine so pünktlich genaue Be¬
schreibung, daſs sie, mit dem Gegenstande
selbst zusammengehalten, nichts zu wünschen
übrig läſst: so wird es Dir, wenn Du noch
keine Rose sahst, doch unmöglich seyn, ein
Bild daraus zu schöpfen, das dem Urbild
entspräche; auch wirst Du keinen Künstler
finden, der es wagte, nach einer Beschrei¬
bung die nie gesehene Blume zu zeichnen.
Ein Blick hingegen, eine einzige Berührung
durch die Sinnesorgane; und das Bild ist
auf immer seiner Phantasie unauslöschlich
eingeprägt. Was ich hier sage, gilt in einem
noch höheren Grade von Dingen, die man
vergebens in Worte zu kleiden versucht. Das
Leben ist ein Proteus, der sich tausendfältig
H 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/129>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.