gegossene Denkmäler, wovon das eine den Wolf, das andere aber seine verdammte Wolfsseele, in Gestalt eines ungeheuren Tannzapfens, vorstellt. Um übrigens von der Wirkung auf die Ursache zu schliessen, müsste man nur wie ich, heute die Char¬ freitags-Prozession gesehen haben. -- Bei einem schneidenden Nordwinde gingen die frommen Büssenden, mehr als dreihundert an der Zahl, und schleppten baarfuss und unter ihren dünnen Kitteln fast nackend, hölzerne Kreuze von gewaltigem Gewichte den Laufsberg hinan. Ihr werdet freilich schreien: besser, etwas weniger Büssung, und keine Wolle gestohlen! Allein, es ist doch immer ein bewundernswürdiges Schauspiel, wie viel die Religion über unsere phlegma¬ tische Natur vermag. Weise und tugend¬ hafte Lehrer hätten ein solches Volk eben so leicht ehrlich als andächtig gemacht.
X 3
gegossene Denkmäler, wovon das eine den Wolf, das andere aber seine verdammte Wolfsseele, in Gestalt eines ungeheuren Tannzapfens, vorstellt. Um übrigens von der Wirkung auf die Ursache zu schlieſsen, müſste man nur wie ich, heute die Char¬ freitags-Prozession gesehen haben. — Bei einem schneidenden Nordwinde gingen die frommen Büſsenden, mehr als dreihundert an der Zahl, und schleppten baarfuſs und unter ihren dünnen Kitteln fast nackend, hölzerne Kreuze von gewaltigem Gewichte den Laufsberg hinan. Ihr werdet freilich schreien: besser, etwas weniger Büſsung, und keine Wolle gestohlen! Allein, es ist doch immer ein bewundernswürdiges Schauspiel, wie viel die Religion über unsere phlegma¬ tische Natur vermag. Weise und tugend¬ hafte Lehrer hätten ein solches Volk eben so leicht ehrlich als andächtig gemacht.
X 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0337"n="325"/>
gegossene Denkmäler, wovon das eine den<lb/>
Wolf, das andere aber seine verdammte<lb/>
Wolfsseele, in Gestalt eines ungeheuren<lb/>
Tannzapfens, vorstellt. Um übrigens von<lb/>
der Wirkung auf die Ursache zu schlieſsen,<lb/>
müſste man nur wie ich, heute die Char¬<lb/>
freitags-Prozession gesehen haben. — Bei<lb/>
einem schneidenden Nordwinde gingen die<lb/>
frommen Büſsenden, mehr als dreihundert<lb/>
an der Zahl, und schleppten baarfuſs und<lb/>
unter ihren dünnen Kitteln fast nackend,<lb/>
hölzerne Kreuze von gewaltigem Gewichte<lb/>
den Laufsberg hinan. Ihr werdet freilich<lb/>
schreien: besser, etwas weniger Büſsung, und<lb/>
keine Wolle gestohlen! Allein, es ist doch<lb/>
immer ein bewundernswürdiges Schauspiel,<lb/>
wie viel die Religion über unsere phlegma¬<lb/>
tische Natur vermag. Weise und tugend¬<lb/>
hafte Lehrer hätten ein solches Volk eben<lb/>
so leicht <hirendition="#i">ehrlich</hi> als <hirendition="#i">andächtig</hi> gemacht.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">X 3<lb/></fw></div></div></body></text></TEI>
[325/0337]
gegossene Denkmäler, wovon das eine den
Wolf, das andere aber seine verdammte
Wolfsseele, in Gestalt eines ungeheuren
Tannzapfens, vorstellt. Um übrigens von
der Wirkung auf die Ursache zu schlieſsen,
müſste man nur wie ich, heute die Char¬
freitags-Prozession gesehen haben. — Bei
einem schneidenden Nordwinde gingen die
frommen Büſsenden, mehr als dreihundert
an der Zahl, und schleppten baarfuſs und
unter ihren dünnen Kitteln fast nackend,
hölzerne Kreuze von gewaltigem Gewichte
den Laufsberg hinan. Ihr werdet freilich
schreien: besser, etwas weniger Büſsung, und
keine Wolle gestohlen! Allein, es ist doch
immer ein bewundernswürdiges Schauspiel,
wie viel die Religion über unsere phlegma¬
tische Natur vermag. Weise und tugend¬
hafte Lehrer hätten ein solches Volk eben
so leicht ehrlich als andächtig gemacht.
X 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/337>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.