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Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 2. Berlin, 1791.

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ten. Wie mag es wohl möglich seyn, die
Vorliebe für ein Modell so weit zu treiben?
Wenn die Reize des Körpers blind machen
können gegen die Missgestalt des Gesichts,
darf man denn nicht wenigstens vom Künst¬
ler fordern, dass er den Augenblick seiner
Illusion nicht zum Augenblick der Beurthei¬
lung mache? Doch die wahre Ursache die¬
ses Gebrechens liegt wohl darin, dass Tizians
Phantasie mit seiner Darstellungsgabe in um¬
gekehrtem Verhältnisse stand.

In der reichen Prämonstratenserabtei St.
Michael, wo wir das Thor zum Zeichen des
Hohns über den verstorbenen Kaiser, der sie
hatte einziehen wollen, mit den drei Braban¬
tischen Revolutionsfarben neu angestrichen
fanden, zeigte man uns eine Menge Gemälde,
die ich Dir nicht alle herzählen mag. In
den Wohnzimmern des Abts hangen die klei¬
neren Stücke; doch hat der Segen Melchise¬

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ten. Wie mag es wohl möglich seyn, die
Vorliebe für ein Modell so weit zu treiben?
Wenn die Reize des Körpers blind machen
können gegen die Miſsgestalt des Gesichts,
darf man denn nicht wenigstens vom Künst¬
ler fordern, daſs er den Augenblick seiner
Illusion nicht zum Augenblick der Beurthei¬
lung mache? Doch die wahre Ursache die¬
ses Gebrechens liegt wohl darin, daſs Tizians
Phantasie mit seiner Darstellungsgabe in um¬
gekehrtem Verhältnisse stand.

In der reichen Prämonstratenserabtei St.
Michael, wo wir das Thor zum Zeichen des
Hohns über den verstorbenen Kaiser, der sie
hatte einziehen wollen, mit den drei Braban¬
tischen Revolutionsfarben neu angestrichen
fanden, zeigte man uns eine Menge Gemälde,
die ich Dir nicht alle herzählen mag. In
den Wohnzimmern des Abts hangen die klei¬
neren Stücke; doch hat der Segen Melchise¬

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[329/0335] ten. Wie mag es wohl möglich seyn, die Vorliebe für ein Modell so weit zu treiben? Wenn die Reize des Körpers blind machen können gegen die Miſsgestalt des Gesichts, darf man denn nicht wenigstens vom Künst¬ ler fordern, daſs er den Augenblick seiner Illusion nicht zum Augenblick der Beurthei¬ lung mache? Doch die wahre Ursache die¬ ses Gebrechens liegt wohl darin, daſs Tizians Phantasie mit seiner Darstellungsgabe in um¬ gekehrtem Verhältnisse stand. In der reichen Prämonstratenserabtei St. Michael, wo wir das Thor zum Zeichen des Hohns über den verstorbenen Kaiser, der sie hatte einziehen wollen, mit den drei Braban¬ tischen Revolutionsfarben neu angestrichen fanden, zeigte man uns eine Menge Gemälde, die ich Dir nicht alle herzählen mag. In den Wohnzimmern des Abts hangen die klei¬ neren Stücke; doch hat der Segen Melchise¬ X 5

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 2. Berlin, 1791, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein02_1791/335>, abgerufen am 22.11.2024.