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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
das Stück Eis, welches wir vor uns sahen, von ganz regelmäßiger Gestalt ge-1772.
Decem-
ber.

wesen ist, welches wir einmahl annehmen wollen, so muß es 1800 Fuß tief
ins Wasser gegangen und im Ganzen 2000 Fuß hoch gewesen seyn. Rechnen
wir nun seine Breite auf obige 400 Fuß und für seine Länge 2000; so muß
dieser einzige Klumpen ein tausend sechs hundert Millionen Cubic-Fuß Eis ent-
halten haben.

Dergleichen ungeheure Eis-Massen treiben allem Anschein nach nur sehr
langsam und unmerklich; denn da der größte Theil derselben unter Wasser ist,
so kann die Gewalt des Windes und der Wellen wenig Eindruck auf sie machen.
Ströhmungen in der See sind vielleicht die Haupt-Kräfte, wodurch sie in Bewe-
gung gesetzt werden, doch mag die schnellste dieser Ströhmungen nie stark genug
seyn, sie in vier und zwanzig Stunden zwey Englische Meilen weit fort zu
führen. Was wir uns auf dieser ersten Fahrt gegen den Südpol, von dem Ur-
sprung des Treibeises vorstellten, das lief zwar damahls nur auf bloße Muth-
maßungen hinaus, die ohne weitere Erfahrung höchstens für wahrscheinlich
hätten können ausgegeben werden, nachdem wir aber unsre Reise um die Welt
ganz vollbracht haben, ohne das Südliche feste Land zu finden, dessen Wirklichkeit
man in Europa durchgehends geglaubt hat: So sind wir in unseren ehemaligen
Vermuthungen bestärkt worden, und halten es jetzt für mehr als wahrscheinlich,
daß dies Treib-Eis unmittelbar in freyer See hervorgebracht werde, zumal
da, wiederholten und entscheidenden Versuchen zufolge, ausgemacht ist, daß
Seewasser gefrieren könne
.*)


*) Herr Adanson hatte auf seiner Zurückkunst vom Senegal einige Flaschen mit Seewasser
unter verschiedenen Polhöhen angefüllt, und als er sie mitten im Winter von Brest nach
Paris mit sich genommen, so waren sie unterwegens durchaus zu Eis gefroren, und
die Flaschen gesprungen. Das Eis gab süßes Wasser; das wenige concentrirte Salz-
wasser, welches nicht zu Eis hatte verwandelt werden können, war ausgelaufen. Siehe
dessen Reise nach Senegal. S. 190. Herr Edw. Nairne, Mitglied der Londner
Academie, hat in dem harten Frost des Jahres 1776 Versuche mit Seewasser angestellt,
davon im LXVI. Theile der englischen Transactionen Nachricht zu finden ist. Sie be-
weisen unleugbar, daß Seewasser zu dichtem Eise gefrieren kann, und hernach beym Auf-
thauen süßes Wasser giebt.

in den Jahren 1772 bis 1775.
das Stuͤck Eis, welches wir vor uns ſahen, von ganz regelmaͤßiger Geſtalt ge-1772.
Decem-
ber.

weſen iſt, welches wir einmahl annehmen wollen, ſo muß es 1800 Fuß tief
ins Waſſer gegangen und im Ganzen 2000 Fuß hoch geweſen ſeyn. Rechnen
wir nun ſeine Breite auf obige 400 Fuß und fuͤr ſeine Laͤnge 2000; ſo muß
dieſer einzige Klumpen ein tauſend ſechs hundert Millionen Cubic-Fuß Eis ent-
halten haben.

Dergleichen ungeheure Eis-Maſſen treiben allem Anſchein nach nur ſehr
langſam und unmerklich; denn da der groͤßte Theil derſelben unter Waſſer iſt,
ſo kann die Gewalt des Windes und der Wellen wenig Eindruck auf ſie machen.
Stroͤhmungen in der See ſind vielleicht die Haupt-Kraͤfte, wodurch ſie in Bewe-
gung geſetzt werden, doch mag die ſchnellſte dieſer Stroͤhmungen nie ſtark genug
ſeyn, ſie in vier und zwanzig Stunden zwey Engliſche Meilen weit fort zu
fuͤhren. Was wir uns auf dieſer erſten Fahrt gegen den Suͤdpol, von dem Ur-
ſprung des Treibeiſes vorſtellten, das lief zwar damahls nur auf bloße Muth-
maßungen hinaus, die ohne weitere Erfahrung hoͤchſtens fuͤr wahrſcheinlich
haͤtten koͤnnen ausgegeben werden, nachdem wir aber unſre Reiſe um die Welt
ganz vollbracht haben, ohne das Suͤdliche feſte Land zu finden, deſſen Wirklichkeit
man in Europa durchgehends geglaubt hat: So ſind wir in unſeren ehemaligen
Vermuthungen beſtaͤrkt worden, und halten es jetzt fuͤr mehr als wahrſcheinlich,
daß dies Treib-Eis unmittelbar in freyer See hervorgebracht werde, zumal
da, wiederholten und entſcheidenden Verſuchen zufolge, ausgemacht iſt, daß
Seewaſſer gefrieren koͤnne
.*)


*) Herr Adanſon hatte auf ſeiner Zuruͤckkunſt vom Senegal einige Flaſchen mit Seewaſſer
unter verſchiedenen Polhoͤhen angefuͤllt, und als er ſie mitten im Winter von Breſt nach
Paris mit ſich genommen, ſo waren ſie unterwegens durchaus zu Eis gefroren, und
die Flaſchen geſprungen. Das Eis gab ſuͤßes Waſſer; das wenige concentrirte Salz-
waſſer, welches nicht zu Eis hatte verwandelt werden koͤnnen, war ausgelaufen. Siehe
deſſen Reiſe nach Senegal. S. 190. Herr Edw. Nairne, Mitglied der Londner
Academie, hat in dem harten Froſt des Jahres 1776 Verſuche mit Seewaſſer angeſtellt,
davon im LXVI. Theile der engliſchen Transactionen Nachricht zu finden iſt. Sie be-
weiſen unleugbar, daß Seewaſſer zu dichtem Eiſe gefrieren kann, und hernach beym Auf-
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[71/0116] in den Jahren 1772 bis 1775. das Stuͤck Eis, welches wir vor uns ſahen, von ganz regelmaͤßiger Geſtalt ge- weſen iſt, welches wir einmahl annehmen wollen, ſo muß es 1800 Fuß tief ins Waſſer gegangen und im Ganzen 2000 Fuß hoch geweſen ſeyn. Rechnen wir nun ſeine Breite auf obige 400 Fuß und fuͤr ſeine Laͤnge 2000; ſo muß dieſer einzige Klumpen ein tauſend ſechs hundert Millionen Cubic-Fuß Eis ent- halten haben. 1772. Decem- ber. Dergleichen ungeheure Eis-Maſſen treiben allem Anſchein nach nur ſehr langſam und unmerklich; denn da der groͤßte Theil derſelben unter Waſſer iſt, ſo kann die Gewalt des Windes und der Wellen wenig Eindruck auf ſie machen. Stroͤhmungen in der See ſind vielleicht die Haupt-Kraͤfte, wodurch ſie in Bewe- gung geſetzt werden, doch mag die ſchnellſte dieſer Stroͤhmungen nie ſtark genug ſeyn, ſie in vier und zwanzig Stunden zwey Engliſche Meilen weit fort zu fuͤhren. Was wir uns auf dieſer erſten Fahrt gegen den Suͤdpol, von dem Ur- ſprung des Treibeiſes vorſtellten, das lief zwar damahls nur auf bloße Muth- maßungen hinaus, die ohne weitere Erfahrung hoͤchſtens fuͤr wahrſcheinlich haͤtten koͤnnen ausgegeben werden, nachdem wir aber unſre Reiſe um die Welt ganz vollbracht haben, ohne das Suͤdliche feſte Land zu finden, deſſen Wirklichkeit man in Europa durchgehends geglaubt hat: So ſind wir in unſeren ehemaligen Vermuthungen beſtaͤrkt worden, und halten es jetzt fuͤr mehr als wahrſcheinlich, daß dies Treib-Eis unmittelbar in freyer See hervorgebracht werde, zumal da, wiederholten und entſcheidenden Verſuchen zufolge, ausgemacht iſt, daß Seewaſſer gefrieren koͤnne. *) *) Herr Adanſon hatte auf ſeiner Zuruͤckkunſt vom Senegal einige Flaſchen mit Seewaſſer unter verſchiedenen Polhoͤhen angefuͤllt, und als er ſie mitten im Winter von Breſt nach Paris mit ſich genommen, ſo waren ſie unterwegens durchaus zu Eis gefroren, und die Flaſchen geſprungen. Das Eis gab ſuͤßes Waſſer; das wenige concentrirte Salz- waſſer, welches nicht zu Eis hatte verwandelt werden koͤnnen, war ausgelaufen. Siehe deſſen Reiſe nach Senegal. S. 190. Herr Edw. Nairne, Mitglied der Londner Academie, hat in dem harten Froſt des Jahres 1776 Verſuche mit Seewaſſer angeſtellt, davon im LXVI. Theile der engliſchen Transactionen Nachricht zu finden iſt. Sie be- weiſen unleugbar, daß Seewaſſer zu dichtem Eiſe gefrieren kann, und hernach beym Auf- thauen ſuͤßes Waſſer giebt.

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/116>, abgerufen am 14.05.2024.