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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
leicht erachten! In einem kleinen Boote in welchem sie zum Unglück weder Mast1772.
Decem-
ber.

noch Seegel, sondern nur zwey Ruder hatten, befanden sie sich auf dem uner-
meßlichen Ocean, fern von irgend einer bewohnten Küste, überall mit Eis um-
geben und ohne Lebensmittel! mithin in einer Lage, die an sich erschrecklich war,
und durch den Gedanken an die Zukunft noch fürchterlicher gemacht wurde. Un-
ter beständigem Rufen ruderten sie eine Weile bald hier bald dorthin, aber um-
sonst; alles war todt still um sie her, und sie konnten keine Boots-Länge weit
vor Nebel sehen. In dieser Ungewißheit hielten sie es für das beste, still zu lie-
gen, und hofften, daß wenn sie auf einer Stelle blieben, die Schiffe wegen der
Meeres-Stille nicht würden aus dem Gesicht getrieben werden. Endlich hörten
sie in großer Entfernung eine Glocke läuten. Das war ihren Ohren himmlische
Musik. Sie ruderten also gleich darnach zu, und erhielten auf stetes Rufen end-
lich von der Adventure aus Antwort. Nunmehro eilten sie an Bord derselben,
höchsterfreut der augenscheinlichen Gefahr eines langsamen und fürchterlichen To-
des so glücklich entkommen zu seyn. Nachdem sie eine Weile am Bord gewe-
sen, ließen sie zum Signal eine Canone abfeuern, und als sich bey dem Ant-
wort-Schusse fand, die Resolution sey so nahe, daß sich beyde Schiffe
abrufen konnten, so kehrten sie in dem Boote wieder nach ihren feuchten Bet-
ten und baufälligen Cajütten zurück, die ihnen nun noch einmal so viel werth wa-
ren, als zuvor. Man siehet bey dieser Gelegenheit, einerseits, wie unzählig vielen
Unfällen der Seefahrer ausgesetzt ist, und wie oft selbst da Gefahren entstehen,
wo man sie am wenigsten besorgt; andrerseits aber auch, wie die alles lenkende
Vorsehung stets über unser Schicksal wacht. Sie ist nicht nur im Sturm sicht-
bar, wenn sie uns zwischen verborgene Klippen und Sandbänke glücklich hindurch
führt, oder wenn sie uns von der Wuth der Wellen und des Feuers rettet, son-
dern auch bey jenen kleinen, weniger auffallenden Begebenheiten müssen wir sie
erkennen und verehren, welche Reisende und Leser gemeiniglich nicht zu bemerken
oder wenigstens schnell zu vergessen pflegen, so bald sie übrigens nur glücklich
abgelaufen sind.

Da wir nunmehro gegen Süden hin lauter feste, große Eisfelder vor uns
fanden, so konnten wir auf diesem Striche nicht weiter vordringen, und nachdem
wir zu verschiedenen mahlen, aber immer fruchtlos, versucht hatten, uns durch das

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in den Jahren 1772 bis 1775.
leicht erachten! In einem kleinen Boote in welchem ſie zum Ungluͤck weder Maſt1772.
Decem-
ber.

noch Seegel, ſondern nur zwey Ruder hatten, befanden ſie ſich auf dem uner-
meßlichen Ocean, fern von irgend einer bewohnten Kuͤſte, uͤberall mit Eis um-
geben und ohne Lebensmittel! mithin in einer Lage, die an ſich erſchrecklich war,
und durch den Gedanken an die Zukunft noch fuͤrchterlicher gemacht wurde. Un-
ter beſtaͤndigem Rufen ruderten ſie eine Weile bald hier bald dorthin, aber um-
ſonſt; alles war todt ſtill um ſie her, und ſie konnten keine Boots-Laͤnge weit
vor Nebel ſehen. In dieſer Ungewißheit hielten ſie es fuͤr das beſte, ſtill zu lie-
gen, und hofften, daß wenn ſie auf einer Stelle blieben, die Schiffe wegen der
Meeres-Stille nicht wuͤrden aus dem Geſicht getrieben werden. Endlich hoͤrten
ſie in großer Entfernung eine Glocke laͤuten. Das war ihren Ohren himmliſche
Muſik. Sie ruderten alſo gleich darnach zu, und erhielten auf ſtetes Rufen end-
lich von der Adventure aus Antwort. Nunmehro eilten ſie an Bord derſelben,
hoͤchſterfreut der augenſcheinlichen Gefahr eines langſamen und fuͤrchterlichen To-
des ſo gluͤcklich entkommen zu ſeyn. Nachdem ſie eine Weile am Bord gewe-
ſen, ließen ſie zum Signal eine Canone abfeuern, und als ſich bey dem Ant-
wort-Schuſſe fand, die Reſolution ſey ſo nahe, daß ſich beyde Schiffe
abrufen konnten, ſo kehrten ſie in dem Boote wieder nach ihren feuchten Bet-
ten und baufaͤlligen Cajuͤtten zuruͤck, die ihnen nun noch einmal ſo viel werth wa-
ren, als zuvor. Man ſiehet bey dieſer Gelegenheit, einerſeits, wie unzaͤhlig vielen
Unfaͤllen der Seefahrer ausgeſetzt iſt, und wie oft ſelbſt da Gefahren entſtehen,
wo man ſie am wenigſten beſorgt; andrerſeits aber auch, wie die alles lenkende
Vorſehung ſtets uͤber unſer Schickſal wacht. Sie iſt nicht nur im Sturm ſicht-
bar, wenn ſie uns zwiſchen verborgene Klippen und Sandbaͤnke gluͤcklich hindurch
fuͤhrt, oder wenn ſie uns von der Wuth der Wellen und des Feuers rettet, ſon-
dern auch bey jenen kleinen, weniger auffallenden Begebenheiten muͤſſen wir ſie
erkennen und verehren, welche Reiſende und Leſer gemeiniglich nicht zu bemerken
oder wenigſtens ſchnell zu vergeſſen pflegen, ſo bald ſie uͤbrigens nur gluͤcklich
abgelaufen ſind.

Da wir nunmehro gegen Suͤden hin lauter feſte, große Eisfelder vor uns
fanden, ſo konnten wir auf dieſem Striche nicht weiter vordringen, und nachdem
wir zu verſchiedenen mahlen, aber immer fruchtlos, verſucht hatten, uns durch das

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[75/0120] in den Jahren 1772 bis 1775. leicht erachten! In einem kleinen Boote in welchem ſie zum Ungluͤck weder Maſt noch Seegel, ſondern nur zwey Ruder hatten, befanden ſie ſich auf dem uner- meßlichen Ocean, fern von irgend einer bewohnten Kuͤſte, uͤberall mit Eis um- geben und ohne Lebensmittel! mithin in einer Lage, die an ſich erſchrecklich war, und durch den Gedanken an die Zukunft noch fuͤrchterlicher gemacht wurde. Un- ter beſtaͤndigem Rufen ruderten ſie eine Weile bald hier bald dorthin, aber um- ſonſt; alles war todt ſtill um ſie her, und ſie konnten keine Boots-Laͤnge weit vor Nebel ſehen. In dieſer Ungewißheit hielten ſie es fuͤr das beſte, ſtill zu lie- gen, und hofften, daß wenn ſie auf einer Stelle blieben, die Schiffe wegen der Meeres-Stille nicht wuͤrden aus dem Geſicht getrieben werden. Endlich hoͤrten ſie in großer Entfernung eine Glocke laͤuten. Das war ihren Ohren himmliſche Muſik. Sie ruderten alſo gleich darnach zu, und erhielten auf ſtetes Rufen end- lich von der Adventure aus Antwort. Nunmehro eilten ſie an Bord derſelben, hoͤchſterfreut der augenſcheinlichen Gefahr eines langſamen und fuͤrchterlichen To- des ſo gluͤcklich entkommen zu ſeyn. Nachdem ſie eine Weile am Bord gewe- ſen, ließen ſie zum Signal eine Canone abfeuern, und als ſich bey dem Ant- wort-Schuſſe fand, die Reſolution ſey ſo nahe, daß ſich beyde Schiffe abrufen konnten, ſo kehrten ſie in dem Boote wieder nach ihren feuchten Bet- ten und baufaͤlligen Cajuͤtten zuruͤck, die ihnen nun noch einmal ſo viel werth wa- ren, als zuvor. Man ſiehet bey dieſer Gelegenheit, einerſeits, wie unzaͤhlig vielen Unfaͤllen der Seefahrer ausgeſetzt iſt, und wie oft ſelbſt da Gefahren entſtehen, wo man ſie am wenigſten beſorgt; andrerſeits aber auch, wie die alles lenkende Vorſehung ſtets uͤber unſer Schickſal wacht. Sie iſt nicht nur im Sturm ſicht- bar, wenn ſie uns zwiſchen verborgene Klippen und Sandbaͤnke gluͤcklich hindurch fuͤhrt, oder wenn ſie uns von der Wuth der Wellen und des Feuers rettet, ſon- dern auch bey jenen kleinen, weniger auffallenden Begebenheiten muͤſſen wir ſie erkennen und verehren, welche Reiſende und Leſer gemeiniglich nicht zu bemerken oder wenigſtens ſchnell zu vergeſſen pflegen, ſo bald ſie uͤbrigens nur gluͤcklich abgelaufen ſind. 1772. Decem- ber. Da wir nunmehro gegen Suͤden hin lauter feſte, große Eisfelder vor uns fanden, ſo konnten wir auf dieſem Striche nicht weiter vordringen, und nachdem wir zu verſchiedenen mahlen, aber immer fruchtlos, verſucht hatten, uns durch das K 2

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/120>, abgerufen am 25.11.2024.