1773. April.Geschichte findet man diese kleine Familie nebst der Gegend, in welcher sich die vorgedachte Scene zutrug, schön und richtig abgebildet.
Am folgenden Morgen kehrten wir zu den Indianern zurück und brachten ihnen allerhand Sachen, die wir zu Geschenken, vom Schiffe aus, mit uns genommen hatten. Der Mann bewieß bey dieser Gelegenheit ungleich mehr Ver- stand und Beurtheilungskraft als man bisher unter seinen übrigen Landsleuten und unter den mehresten Einwohnern der Süd-See-Inseln angetroffen hat- te, *) denn er begrif nicht nur, gleich beym ersten Anblick, den vorzüglichen Werth und Gebrauch der Beile und großen Nägel, sondern er [s]ahe auch über- haupt alles mit Gleichgültigkeit an, was ihm keinen wahren Nutzen zu haben schien. Bey diesem Besuch machte er uns mit seiner ganzen Familie bekannt. Sie bestand aus zwo Frauenspersonen, die wir für seine Weiber hielten; dem ob- gedachten jungen Mädchen; einem Knaben von ohngefähr funfzehen Jahren und drey kleinen Kindern, wovon das jüngste noch an der Brust lag. Man konnte es sehr deutlich merken, daß der Mann die Frau mit dem Gewächs an der Oberlippe gar nicht achtete, welches vermuthlich wegen ihrer unangenehmen Gestalt ge- schahe. Sie führten uns bald darauf nach ihrer Wohnung, welche nur wenige Schritt weit im Walde, auf einem kleinen Hügel lag und in zwo schlechten Hüt- ten bestand, die aus etlichen an einander gelehnten Stangen aufgebauet und mit trocknen Blättern der Flachspflanze gedeckt waren, über welche sie Baum-Rin- den hergelegt hatten. Um uns Gegengeschenke zu machen, ließen sie es sich verschiedne Zierrathen und Waffen, vornemlich einige Streit-Aexte kosten, doch erstreckte sich ihre Freygebigkeit nicht bis auf die Speere, die ihnen folglich wohl das liebste und kostbarste seyn müssen. Als wir abfahren wollten, kam der Mann an den Strand herab und schenkte dem Capitain Cook eine Kleidung von Matten, aus Flachs gewebt, einen Gürtel, der von Gras geflochten war, ei- nige aufgereihete corallenförmige Kügelchen, die aus kleinen Vogelknochen ge- macht waren, und verschiedne Albatros-Häute. Wir glaubten anfänglich, daß dies alles noch Gegengeschenke seyn sollten, allein, er zog uns bald aus dem Irrthum, indem er ein großes Verlangen äußerte, einen von unsern Boot
*) G. vielfältig in Hawkesworths Gesch. der engl. See Reisen.
Forſter’s Reiſe um die Welt
1773. April.Geſchichte findet man dieſe kleine Familie nebſt der Gegend, in welcher ſich die vorgedachte Scene zutrug, ſchoͤn und richtig abgebildet.
Am folgenden Morgen kehrten wir zu den Indianern zuruͤck und brachten ihnen allerhand Sachen, die wir zu Geſchenken, vom Schiffe aus, mit uns genommen hatten. Der Mann bewieß bey dieſer Gelegenheit ungleich mehr Ver- ſtand und Beurtheilungskraft als man bisher unter ſeinen uͤbrigen Landsleuten und unter den mehreſten Einwohnern der Suͤd-See-Inſeln angetroffen hat- te, *) denn er begrif nicht nur, gleich beym erſten Anblick, den vorzuͤglichen Werth und Gebrauch der Beile und großen Naͤgel, ſondern er [ſ]ahe auch uͤber- haupt alles mit Gleichguͤltigkeit an, was ihm keinen wahren Nutzen zu haben ſchien. Bey dieſem Beſuch machte er uns mit ſeiner ganzen Familie bekannt. Sie beſtand aus zwo Frauensperſonen, die wir fuͤr ſeine Weiber hielten; dem ob- gedachten jungen Maͤdchen; einem Knaben von ohngefaͤhr funfzehen Jahren und drey kleinen Kindern, wovon das juͤngſte noch an der Bruſt lag. Man konnte es ſehr deutlich merken, daß der Mann die Frau mit dem Gewaͤchs an der Oberlippe gar nicht achtete, welches vermuthlich wegen ihrer unangenehmen Geſtalt ge- ſchahe. Sie fuͤhrten uns bald darauf nach ihrer Wohnung, welche nur wenige Schritt weit im Walde, auf einem kleinen Huͤgel lag und in zwo ſchlechten Huͤt- ten beſtand, die aus etlichen an einander gelehnten Stangen aufgebauet und mit trocknen Blaͤttern der Flachspflanze gedeckt waren, uͤber welche ſie Baum-Rin- den hergelegt hatten. Um uns Gegengeſchenke zu machen, ließen ſie es ſich verſchiedne Zierrathen und Waffen, vornemlich einige Streit-Aexte koſten, doch erſtreckte ſich ihre Freygebigkeit nicht bis auf die Speere, die ihnen folglich wohl das liebſte und koſtbarſte ſeyn muͤſſen. Als wir abfahren wollten, kam der Mann an den Strand herab und ſchenkte dem Capitain Cook eine Kleidung von Matten, aus Flachs gewebt, einen Guͤrtel, der von Gras geflochten war, ei- nige aufgereihete corallenfoͤrmige Kuͤgelchen, die aus kleinen Vogelknochen ge- macht waren, und verſchiedne Albatros-Haͤute. Wir glaubten anfaͤnglich, daß dies alles noch Gegengeſchenke ſeyn ſollten, allein, er zog uns bald aus dem Irrthum, indem er ein großes Verlangen aͤußerte, einen von unſern Boot
*) G. vielfaͤltig in Hawkesworths Geſch. der engl. See Reiſen.
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Forſter’s Reiſe um die Welt
Geſchichte findet man dieſe kleine Familie nebſt der Gegend, in welcher ſich die
vorgedachte Scene zutrug, ſchoͤn und richtig abgebildet.
1773.
April.
Am folgenden Morgen kehrten wir zu den Indianern zuruͤck und brachten
ihnen allerhand Sachen, die wir zu Geſchenken, vom Schiffe aus, mit uns
genommen hatten. Der Mann bewieß bey dieſer Gelegenheit ungleich mehr Ver-
ſtand und Beurtheilungskraft als man bisher unter ſeinen uͤbrigen Landsleuten
und unter den mehreſten Einwohnern der Suͤd-See-Inſeln angetroffen hat-
te, *) denn er begrif nicht nur, gleich beym erſten Anblick, den vorzuͤglichen
Werth und Gebrauch der Beile und großen Naͤgel, ſondern er ſahe auch uͤber-
haupt alles mit Gleichguͤltigkeit an, was ihm keinen wahren Nutzen zu haben
ſchien. Bey dieſem Beſuch machte er uns mit ſeiner ganzen Familie bekannt.
Sie beſtand aus zwo Frauensperſonen, die wir fuͤr ſeine Weiber hielten; dem ob-
gedachten jungen Maͤdchen; einem Knaben von ohngefaͤhr funfzehen Jahren und
drey kleinen Kindern, wovon das juͤngſte noch an der Bruſt lag. Man konnte es
ſehr deutlich merken, daß der Mann die Frau mit dem Gewaͤchs an der Oberlippe
gar nicht achtete, welches vermuthlich wegen ihrer unangenehmen Geſtalt ge-
ſchahe. Sie fuͤhrten uns bald darauf nach ihrer Wohnung, welche nur wenige
Schritt weit im Walde, auf einem kleinen Huͤgel lag und in zwo ſchlechten Huͤt-
ten beſtand, die aus etlichen an einander gelehnten Stangen aufgebauet und mit
trocknen Blaͤttern der Flachspflanze gedeckt waren, uͤber welche ſie Baum-Rin-
den hergelegt hatten. Um uns Gegengeſchenke zu machen, ließen ſie es ſich
verſchiedne Zierrathen und Waffen, vornemlich einige Streit-Aexte koſten, doch
erſtreckte ſich ihre Freygebigkeit nicht bis auf die Speere, die ihnen folglich wohl
das liebſte und koſtbarſte ſeyn muͤſſen. Als wir abfahren wollten, kam der
Mann an den Strand herab und ſchenkte dem Capitain Cook eine Kleidung von
Matten, aus Flachs gewebt, einen Guͤrtel, der von Gras geflochten war, ei-
nige aufgereihete corallenfoͤrmige Kuͤgelchen, die aus kleinen Vogelknochen ge-
macht waren, und verſchiedne Albatros-Haͤute. Wir glaubten anfaͤnglich, daß
dies alles noch Gegengeſchenke ſeyn ſollten, allein, er zog uns bald aus dem
Irrthum, indem er ein großes Verlangen aͤußerte, einen von unſern Boot
*) G. vielfaͤltig in Hawkesworths Geſch. der engl. See Reiſen.
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/157>, abgerufen am 21.11.2024.
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