Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.Forster's Reise um die Welt 1773.Septem- ber.war aber so leichtfertig es ihr ins Ohr zu hängen mit der Versicherung, daß es dahin gehöre und daran getragen werden müsse. Eine Zeitlang wußte sie sich was rechts damit, und war von diesem neuen Putz ungemein zufrieden: Allein bald darauf, da es ihr zu schwer und zu schmerzhaft fiel, verlangte sie desselben los zu seyn. Nun warf er den Schlüssel weg, und gab ihr zu verstehen, sie habe es ausdrücklich von ihm begehrt, und wenn sie es beschwerlich finde, so mögte sie es immerhin zur Strafe ihres ungestümen Bettlens im Ohre behalten. Darüber war sie untröstlich, weinte ihre bit- tersten Thränen, und bat einen nach dem andern ihr von dem Schlosse zu helfen; allein, so gern auch mancher gewollt hätte, so gieng es doch nicht an, weil kein Schlüssel dazu vorhanden war. Sie wandte sich also an den Befehlshaber, und die- ser legte, nebst seiner Frau, Sohn und Tochter, ein Vorwort für das Mädchen ein; ja sie boten sogar Zeug, Räucherholz und Schweine zum Lösegeld; aber alles umsonst. Endlich fand man doch einen Schlüssel, der zum Schlosse paßte, und damit ward dem Wehklagen des armen Mädchens ein Ende gemacht, und Ruhe und Freude unter ihren Gespielen wieder hergestellt. Dieser Zufall hatte indessen die gute Würkung, daß sie und andre ihrer Landsmänninnen von der Gewohnheit zu Betteln abließen. Nachdem nun auf die Art bey der gastfreyen Auf- nahme unsers Wirthes und dem guten Betragen des übrigen Volks dieser Tag ganz vergnügt vergangen war; so kehrten wir gegen Abend sehr zufrieden an Bord zu- rück. Desto mehr befremdete es uns aber, daß sich am folgenden Morgen, ganz wieder die Gewohnheit der Insulaner, nicht ein einziges Canot bey dem Schiffe sehen ließ. Um die Ursach einer so schleunigen Veränderung zu erfahren, eil- ten wir nach Orea's Hause, fanden es aber zu unserer noch größeren Verwun- derung von ihm und seiner ganzen Familie verlassen. Endlich erfuhren wir durch etliche Indianer, die auch ihrer Seits überaus schüchtern thaten, Orea habe sich nach dem Nord-Ende der Insel begeben, aus Furcht wir würden ihn gefangen nehmen. Je weniger wir begreifen konnten, was diese ungegründete Be- sorgniß mögte veranlaßt haben, desto mehr eilten wir, ihm solche zu benehmen und unsrer Freundschaft aufs neue zu versichern. In dieser Absicht fuhren wir einige Meilen längst der Küste bis nach dem Orte hin, wohin er geflüchtet war. Hier fanden wir alles um ihn her in Thränen und mußten allerhand Schmeiche- Forſter’s Reiſe um die Welt 1773.Septem- ber.war aber ſo leichtfertig es ihr ins Ohr zu haͤngen mit der Verſicherung, daß es dahin gehoͤre und daran getragen werden muͤſſe. Eine Zeitlang wußte ſie ſich was rechts damit, und war von dieſem neuen Putz ungemein zufrieden: Allein bald darauf, da es ihr zu ſchwer und zu ſchmerzhaft fiel, verlangte ſie deſſelben los zu ſeyn. Nun warf er den Schluͤſſel weg, und gab ihr zu verſtehen, ſie habe es ausdruͤcklich von ihm begehrt, und wenn ſie es beſchwerlich finde, ſo moͤgte ſie es immerhin zur Strafe ihres ungeſtuͤmen Bettlens im Ohre behalten. Daruͤber war ſie untroͤſtlich, weinte ihre bit- terſten Thraͤnen, und bat einen nach dem andern ihr von dem Schloſſe zu helfen; allein, ſo gern auch mancher gewollt haͤtte, ſo gieng es doch nicht an, weil kein Schluͤſſel dazu vorhanden war. Sie wandte ſich alſo an den Befehlshaber, und die- ſer legte, nebſt ſeiner Frau, Sohn und Tochter, ein Vorwort fuͤr das Maͤdchen ein; ja ſie boten ſogar Zeug, Raͤucherholz und Schweine zum Loͤſegeld; aber alles umſonſt. Endlich fand man doch einen Schluͤſſel, der zum Schloſſe paßte, und damit ward dem Wehklagen des armen Maͤdchens ein Ende gemacht, und Ruhe und Freude unter ihren Geſpielen wieder hergeſtellt. Dieſer Zufall hatte indeſſen die gute Wuͤrkung, daß ſie und andre ihrer Landsmaͤnninnen von der Gewohnheit zu Betteln abließen. Nachdem nun auf die Art bey der gaſtfreyen Auf- nahme unſers Wirthes und dem guten Betragen des uͤbrigen Volks dieſer Tag ganz vergnuͤgt vergangen war; ſo kehrten wir gegen Abend ſehr zufrieden an Bord zu- ruͤck. Deſto mehr befremdete es uns aber, daß ſich am folgenden Morgen, ganz wieder die Gewohnheit der Inſulaner, nicht ein einziges Canot bey dem Schiffe ſehen ließ. Um die Urſach einer ſo ſchleunigen Veraͤnderung zu erfahren, eil- ten wir nach Orea’s Hauſe, fanden es aber zu unſerer noch groͤßeren Verwun- derung von ihm und ſeiner ganzen Familie verlaſſen. Endlich erfuhren wir durch etliche Indianer, die auch ihrer Seits uͤberaus ſchuͤchtern thaten, Orea habe ſich nach dem Nord-Ende der Inſel begeben, aus Furcht wir wuͤrden ihn gefangen nehmen. Je weniger wir begreifen konnten, was dieſe ungegruͤndete Be- ſorgniß moͤgte veranlaßt haben, deſto mehr eilten wir, ihm ſolche zu benehmen und unſrer Freundſchaft aufs neue zu verſichern. In dieſer Abſicht fuhren wir einige Meilen laͤngſt der Kuͤſte bis nach dem Orte hin, wohin er gefluͤchtet war. Hier fanden wir alles um ihn her in Thraͤnen und mußten allerhand Schmeiche- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0363" n="308"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>Forſter’s</persName> Reiſe um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1773.<lb/> Septem-<lb/> ber.</note>war aber ſo leichtfertig es ihr ins Ohr zu haͤngen mit der Verſicherung, daß es<lb/> dahin gehoͤre und daran getragen werden muͤſſe. 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Forſter’s Reiſe um die Welt
war aber ſo leichtfertig es ihr ins Ohr zu haͤngen mit der Verſicherung, daß es
dahin gehoͤre und daran getragen werden muͤſſe. Eine Zeitlang wußte ſie ſich
was rechts damit, und war von dieſem neuen Putz ungemein zufrieden: Allein
bald darauf, da es ihr zu ſchwer und zu ſchmerzhaft fiel, verlangte ſie
deſſelben los zu ſeyn. Nun warf er den Schluͤſſel weg, und gab ihr
zu verſtehen, ſie habe es ausdruͤcklich von ihm begehrt, und wenn ſie
es beſchwerlich finde, ſo moͤgte ſie es immerhin zur Strafe ihres ungeſtuͤmen
Bettlens im Ohre behalten. Daruͤber war ſie untroͤſtlich, weinte ihre bit-
terſten Thraͤnen, und bat einen nach dem andern ihr von dem Schloſſe zu helfen;
allein, ſo gern auch mancher gewollt haͤtte, ſo gieng es doch nicht an, weil kein
Schluͤſſel dazu vorhanden war. Sie wandte ſich alſo an den Befehlshaber, und die-
ſer legte, nebſt ſeiner Frau, Sohn und Tochter, ein Vorwort fuͤr das Maͤdchen
ein; ja ſie boten ſogar Zeug, Raͤucherholz und Schweine zum Loͤſegeld; aber
alles umſonſt. Endlich fand man doch einen Schluͤſſel, der zum Schloſſe
paßte, und damit ward dem Wehklagen des armen Maͤdchens ein Ende gemacht,
und Ruhe und Freude unter ihren Geſpielen wieder hergeſtellt. Dieſer Zufall
hatte indeſſen die gute Wuͤrkung, daß ſie und andre ihrer Landsmaͤnninnen von der
Gewohnheit zu Betteln abließen. Nachdem nun auf die Art bey der gaſtfreyen Auf-
nahme unſers Wirthes und dem guten Betragen des uͤbrigen Volks dieſer Tag ganz
vergnuͤgt vergangen war; ſo kehrten wir gegen Abend ſehr zufrieden an Bord zu-
ruͤck. Deſto mehr befremdete es uns aber, daß ſich am folgenden Morgen, ganz
wieder die Gewohnheit der Inſulaner, nicht ein einziges Canot bey dem Schiffe
ſehen ließ. Um die Urſach einer ſo ſchleunigen Veraͤnderung zu erfahren, eil-
ten wir nach Orea’s Hauſe, fanden es aber zu unſerer noch groͤßeren Verwun-
derung von ihm und ſeiner ganzen Familie verlaſſen. Endlich erfuhren wir
durch etliche Indianer, die auch ihrer Seits uͤberaus ſchuͤchtern thaten, Orea
habe ſich nach dem Nord-Ende der Inſel begeben, aus Furcht wir wuͤrden ihn
gefangen nehmen. Je weniger wir begreifen konnten, was dieſe ungegruͤndete Be-
ſorgniß moͤgte veranlaßt haben, deſto mehr eilten wir, ihm ſolche zu benehmen
und unſrer Freundſchaft aufs neue zu verſichern. In dieſer Abſicht fuhren wir
einige Meilen laͤngſt der Kuͤſte bis nach dem Orte hin, wohin er gefluͤchtet war.
Hier fanden wir alles um ihn her in Thraͤnen und mußten allerhand Schmeiche-
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