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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Forster's Reise um die Welt
1773.
Novem-
ber.
einander zu fressen. *) Dagegen aber lassen sich sehr wichtige Einwürfe
machen, und folgender ist einer der stärksten: Wenig Winkel der Erde sind
dermaßen unfruchtbar, daß sie ihren Bewohnern nicht so viel Nahrungsmit-
tel liefern sollten als diese zu ihrer Erhaltung bedürfen; und diejenigen Länder,
wo es noch jetzt Menschenfresser giebt, können gerade am wenigsten für so elend
ausgegeben werden. Die nördliche Insel von Neu-Seeland, die beynahe
400 See-Meilen im Umfange haben mag, enthält, so viel sichs berechnen läßt,
kaum einhundert Tausend Einwohner; welches für ein so großes Land, selbst
alsdann noch, eine sehr geringe Anzahl ist, wenn auch nur allein die Küsten, und
nicht die innern Gegenden des Landes durchaus bewohnt seyn sollten. Gesetzt aber
daß ihrer auch noch weit mehrere wären; so würden sie sich doch alle von dem Ueber-
fluß an Fischen und vermittelst des Landbaues der in der Bay of Plenty und
andrer Orten angefangen ist, zur Genüge ernähren, ja sogar den Fremden noch
davon mittheilen können, welches sie auch würklich gethan haben. Zwar mag
vor Einführung der Künste, ehe sie Netze hatten und Cartoffeln pflanzten, der
Unterhalt sparsamer und mühseliger gewesen seyn; aber damals war auch die An-
zahl der Bewohner gewiß weit unbeträchtlicher. Bey alle dem läugne ich kei-
nesweges, daß es nicht Fälle gegeben hätte, wo ein Mensch den andern wirk-
lich aus Noth gefressen hat: Allein, davon sind doch nur einzelne Beyspiele
vorhanden, und aus einzelnen Beyspielen läßt sich, für die Gewohnheit des Men-
schenfressens im Ganzen genommen, durchaus nichts beweisen. Nur so viel kann
man daraus abnehmen, daß der Mensch, in manchen Fällen, durch Hunger
und Elend zur Wahl außerordentlicher Mittel gebracht werden könne. Im Jahr
1772. da Deutschland Mißwachs hatte und viele Provinzen Hunger lei-
den mußten, ward auf den Boineburgischen Gütern, an der Gränze von Thü-
ringen
, ein Hirte eingezogen, und, wo ich nicht irre, am Leben bestraft, weil
er, durch Hunger gezwungen, einen jungen Burschen erschlagen und gefressen,
auch verschiedne Monathe lang, in gleicher Absicht, bloß des Wolschmacks we-

*) Seine Gedanken hierüber hat D. Hawkesworth sich zugeeignet, ohne Herrn Pauw zu
nennen. S. Hawkesworth. III. B. in 4. p. 36. u. f. Sic itur ad astra in einem Lande, das
nach Voltaire's Aussage und nach dem Vorurtheil der Deutschen noch jetzt für das
Vaterland der Original-Denker gehalten wird.

Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
einander zu freſſen. *) Dagegen aber laſſen ſich ſehr wichtige Einwuͤrfe
machen, und folgender iſt einer der ſtaͤrkſten: Wenig Winkel der Erde ſind
dermaßen unfruchtbar, daß ſie ihren Bewohnern nicht ſo viel Nahrungsmit-
tel liefern ſollten als dieſe zu ihrer Erhaltung beduͤrfen; und diejenigen Laͤnder,
wo es noch jetzt Menſchenfreſſer giebt, koͤnnen gerade am wenigſten fuͤr ſo elend
ausgegeben werden. Die noͤrdliche Inſel von Neu-Seeland, die beynahe
400 See-Meilen im Umfange haben mag, enthaͤlt, ſo viel ſichs berechnen laͤßt,
kaum einhundert Tauſend Einwohner; welches fuͤr ein ſo großes Land, ſelbſt
alsdann noch, eine ſehr geringe Anzahl iſt, wenn auch nur allein die Kuͤſten, und
nicht die innern Gegenden des Landes durchaus bewohnt ſeyn ſollten. Geſetzt aber
daß ihrer auch noch weit mehrere waͤren; ſo wuͤrden ſie ſich doch alle von dem Ueber-
fluß an Fiſchen und vermittelſt des Landbaues der in der Bay of Plenty und
andrer Orten angefangen iſt, zur Genuͤge ernaͤhren, ja ſogar den Fremden noch
davon mittheilen koͤnnen, welches ſie auch wuͤrklich gethan haben. Zwar mag
vor Einfuͤhrung der Kuͤnſte, ehe ſie Netze hatten und Cartoffeln pflanzten, der
Unterhalt ſparſamer und muͤhſeliger geweſen ſeyn; aber damals war auch die An-
zahl der Bewohner gewiß weit unbetraͤchtlicher. Bey alle dem laͤugne ich kei-
nesweges, daß es nicht Faͤlle gegeben haͤtte, wo ein Menſch den andern wirk-
lich aus Noth gefreſſen hat: Allein, davon ſind doch nur einzelne Beyſpiele
vorhanden, und aus einzelnen Beyſpielen laͤßt ſich, fuͤr die Gewohnheit des Men-
ſchenfreſſens im Ganzen genommen, durchaus nichts beweiſen. Nur ſo viel kann
man daraus abnehmen, daß der Menſch, in manchen Faͤllen, durch Hunger
und Elend zur Wahl außerordentlicher Mittel gebracht werden koͤnne. Im Jahr
1772. da Deutſchland Mißwachs hatte und viele Provinzen Hunger lei-
den mußten, ward auf den Boineburgiſchen Guͤtern, an der Graͤnze von Thuͤ-
ringen
, ein Hirte eingezogen, und, wo ich nicht irre, am Leben beſtraft, weil
er, durch Hunger gezwungen, einen jungen Burſchen erſchlagen und gefreſſen,
auch verſchiedne Monathe lang, in gleicher Abſicht, bloß des Wolſchmacks we-

*) Seine Gedanken hieruͤber hat D. Hawkesworth ſich zugeeignet, ohne Herrn Pauw zu
nennen. S. Hawkesworth. III. B. in 4. p. 36. u. f. Sic itur ad aſtra in einem Lande, das
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Vaterland der Original-Denker gehalten wird.
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[388/0447] Forſter’s Reiſe um die Welt einander zu freſſen. *) Dagegen aber laſſen ſich ſehr wichtige Einwuͤrfe machen, und folgender iſt einer der ſtaͤrkſten: Wenig Winkel der Erde ſind dermaßen unfruchtbar, daß ſie ihren Bewohnern nicht ſo viel Nahrungsmit- tel liefern ſollten als dieſe zu ihrer Erhaltung beduͤrfen; und diejenigen Laͤnder, wo es noch jetzt Menſchenfreſſer giebt, koͤnnen gerade am wenigſten fuͤr ſo elend ausgegeben werden. Die noͤrdliche Inſel von Neu-Seeland, die beynahe 400 See-Meilen im Umfange haben mag, enthaͤlt, ſo viel ſichs berechnen laͤßt, kaum einhundert Tauſend Einwohner; welches fuͤr ein ſo großes Land, ſelbſt alsdann noch, eine ſehr geringe Anzahl iſt, wenn auch nur allein die Kuͤſten, und nicht die innern Gegenden des Landes durchaus bewohnt ſeyn ſollten. Geſetzt aber daß ihrer auch noch weit mehrere waͤren; ſo wuͤrden ſie ſich doch alle von dem Ueber- fluß an Fiſchen und vermittelſt des Landbaues der in der Bay of Plenty und andrer Orten angefangen iſt, zur Genuͤge ernaͤhren, ja ſogar den Fremden noch davon mittheilen koͤnnen, welches ſie auch wuͤrklich gethan haben. Zwar mag vor Einfuͤhrung der Kuͤnſte, ehe ſie Netze hatten und Cartoffeln pflanzten, der Unterhalt ſparſamer und muͤhſeliger geweſen ſeyn; aber damals war auch die An- zahl der Bewohner gewiß weit unbetraͤchtlicher. Bey alle dem laͤugne ich kei- nesweges, daß es nicht Faͤlle gegeben haͤtte, wo ein Menſch den andern wirk- lich aus Noth gefreſſen hat: Allein, davon ſind doch nur einzelne Beyſpiele vorhanden, und aus einzelnen Beyſpielen laͤßt ſich, fuͤr die Gewohnheit des Men- ſchenfreſſens im Ganzen genommen, durchaus nichts beweiſen. Nur ſo viel kann man daraus abnehmen, daß der Menſch, in manchen Faͤllen, durch Hunger und Elend zur Wahl außerordentlicher Mittel gebracht werden koͤnne. Im Jahr 1772. da Deutſchland Mißwachs hatte und viele Provinzen Hunger lei- den mußten, ward auf den Boineburgiſchen Guͤtern, an der Graͤnze von Thuͤ- ringen, ein Hirte eingezogen, und, wo ich nicht irre, am Leben beſtraft, weil er, durch Hunger gezwungen, einen jungen Burſchen erſchlagen und gefreſſen, auch verſchiedne Monathe lang, in gleicher Abſicht, bloß des Wolſchmacks we- 1773. Novem- ber. *) Seine Gedanken hieruͤber hat D. Hawkesworth ſich zugeeignet, ohne Herrn Pauw zu nennen. S. Hawkesworth. III. B. in 4. p. 36. u. f. Sic itur ad aſtra in einem Lande, das nach Voltaire’s Ausſage und nach dem Vorurtheil der Deutſchen noch jetzt fuͤr das Vaterland der Original-Denker gehalten wird.

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/447>, abgerufen am 23.11.2024.