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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Forster's Reise um die Welt
1773.
Novem-
ber.
bey Tausenden die Hälse zu brechen, ohne einen andern Bewegungsgrund als um
den Ehrgeiz eines Fürsten, oder die Grillen seiner Maitresse zu befriedigen. Ist es
aber nicht Vorurtheil, daß wir vor dem Fleische eines Erschlagnen Abscheu haben,
da wir uns doch kein Gewissen daraus machen ihm das Leben zu nehmen? Ohne
Zweifel wird man sagen, daß ersteres den Menschen brutal und fühllos machen
würde: Allein, es giebt ja leyder Beyspiele genug, daß Leute von civilisirten
Nationen, (so wie einige unsrer Matrosen,) bey dem bloßen Gedanken von
Menschenfleisch-Essen Ekel empfinden, und gleichwohl Barbareyen begehen
können, die selbst unter Cannibalen nicht erhört sind! Was ist der Neu-
Seeländer, der seinen Feind im Kriege umbringt und frißt, gegen den Europäer,
der, zum Zeitvertreib, einer Mutter den Säugling, mit kaltem Blut, von der
Brust reißen und seinen Hunden vorwerfen kann?*)


Neque hic lupis mos nec fuit leonibus,
Nunquam nisi in dispar feris.

Horat.

Die Neu-Seeländer fressen ihre Feinde nicht anders als wenn sie solche im
Gefecht und in der größten Wuth erlegt haben. Sie machen nicht Gefangne,
um sie zu mästen und denn abzuschlachten, noch weniger bringen sie ihre Ver-
wandten in der Absicht um, sie zu fressen: denn sie essen solche nicht einmal,
wenn sie natürlichen Todes gestorben sind, **) ob gleich alles das mit mehrerer
oder minderer Glaubwürdigkeit von gewissen americanischen Nationen erzählt wor-
den ist. Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß in der Folge der Zeit dieser Ge-
brauch bey ihnen gänzlich abkommen wird. Die Einführung von neuem zahmen
Schlacht-Vieh kann diese glückliche Veränderung vielleicht befördern, in so fern
nemlich größerer Ueberfluß, mehr Viehzucht und Ackerbau, das Volk näher zusam-
menbringen und es geselliger machen wird. Auch von Seiten ihrer Religion stehet
jener Hoffnung kein Hindernis im Wege, denn, so viel wir bemerken konnten, sind sie
nicht sonderlich abergläubisch und nur unter sehr abergläubischen Völkern hat man,

*) Der Bischof Las Casas sahe diese Abscheulichkeit unter den ersten spanischen Eroberern
von Amerika.
**) S. Hawkesworths Gesch. zweyter Band, in 4. p. 386. u. f.

Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
bey Tauſenden die Haͤlſe zu brechen, ohne einen andern Bewegungsgrund als um
den Ehrgeiz eines Fuͤrſten, oder die Grillen ſeiner Maitreſſe zu befriedigen. Iſt es
aber nicht Vorurtheil, daß wir vor dem Fleiſche eines Erſchlagnen Abſcheu haben,
da wir uns doch kein Gewiſſen daraus machen ihm das Leben zu nehmen? Ohne
Zweifel wird man ſagen, daß erſteres den Menſchen brutal und fuͤhllos machen
wuͤrde: Allein, es giebt ja leyder Beyſpiele genug, daß Leute von civiliſirten
Nationen, (ſo wie einige unſrer Matroſen,) bey dem bloßen Gedanken von
Menſchenfleiſch-Eſſen Ekel empfinden, und gleichwohl Barbareyen begehen
koͤnnen, die ſelbſt unter Cannibalen nicht erhoͤrt ſind! Was iſt der Neu-
Seelaͤnder, der ſeinen Feind im Kriege umbringt und frißt, gegen den Europaͤer,
der, zum Zeitvertreib, einer Mutter den Saͤugling, mit kaltem Blut, von der
Bruſt reißen und ſeinen Hunden vorwerfen kann?*)


Neque hic lupis mos nec fuit leonibus,
Nunquam niſi in diſpar feris.

Horat.

Die Neu-Seelaͤnder freſſen ihre Feinde nicht anders als wenn ſie ſolche im
Gefecht und in der groͤßten Wuth erlegt haben. Sie machen nicht Gefangne,
um ſie zu maͤſten und denn abzuſchlachten, noch weniger bringen ſie ihre Ver-
wandten in der Abſicht um, ſie zu freſſen: denn ſie eſſen ſolche nicht einmal,
wenn ſie natuͤrlichen Todes geſtorben ſind, **) ob gleich alles das mit mehrerer
oder minderer Glaubwuͤrdigkeit von gewiſſen americaniſchen Nationen erzaͤhlt wor-
den iſt. Es iſt alſo nicht unwahrſcheinlich, daß in der Folge der Zeit dieſer Ge-
brauch bey ihnen gaͤnzlich abkommen wird. Die Einfuͤhrung von neuem zahmen
Schlacht-Vieh kann dieſe gluͤckliche Veraͤnderung vielleicht befoͤrdern, in ſo fern
nemlich groͤßerer Ueberfluß, mehr Viehzucht und Ackerbau, das Volk naͤher zuſam-
menbringen und es geſelliger machen wird. Auch von Seiten ihrer Religion ſtehet
jener Hoffnung kein Hindernis im Wege, denn, ſo viel wir bemerken konnten, ſind ſie
nicht ſonderlich aberglaͤubiſch und nur unter ſehr aberglaͤubiſchen Voͤlkern hat man,

*) Der Biſchof Las Caſas ſahe dieſe Abſcheulichkeit unter den erſten ſpaniſchen Eroberern
von Amerika.
**) S. Hawkesworths Geſch. zweyter Band, in 4. p. 386. u. f.
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[390/0449] Forſter’s Reiſe um die Welt bey Tauſenden die Haͤlſe zu brechen, ohne einen andern Bewegungsgrund als um den Ehrgeiz eines Fuͤrſten, oder die Grillen ſeiner Maitreſſe zu befriedigen. Iſt es aber nicht Vorurtheil, daß wir vor dem Fleiſche eines Erſchlagnen Abſcheu haben, da wir uns doch kein Gewiſſen daraus machen ihm das Leben zu nehmen? Ohne Zweifel wird man ſagen, daß erſteres den Menſchen brutal und fuͤhllos machen wuͤrde: Allein, es giebt ja leyder Beyſpiele genug, daß Leute von civiliſirten Nationen, (ſo wie einige unſrer Matroſen,) bey dem bloßen Gedanken von Menſchenfleiſch-Eſſen Ekel empfinden, und gleichwohl Barbareyen begehen koͤnnen, die ſelbſt unter Cannibalen nicht erhoͤrt ſind! Was iſt der Neu- Seelaͤnder, der ſeinen Feind im Kriege umbringt und frißt, gegen den Europaͤer, der, zum Zeitvertreib, einer Mutter den Saͤugling, mit kaltem Blut, von der Bruſt reißen und ſeinen Hunden vorwerfen kann? *) 1773. Novem- ber. Neque hic lupis mos nec fuit leonibus, Nunquam niſi in diſpar feris. Horat. Die Neu-Seelaͤnder freſſen ihre Feinde nicht anders als wenn ſie ſolche im Gefecht und in der groͤßten Wuth erlegt haben. Sie machen nicht Gefangne, um ſie zu maͤſten und denn abzuſchlachten, noch weniger bringen ſie ihre Ver- wandten in der Abſicht um, ſie zu freſſen: denn ſie eſſen ſolche nicht einmal, wenn ſie natuͤrlichen Todes geſtorben ſind, **) ob gleich alles das mit mehrerer oder minderer Glaubwuͤrdigkeit von gewiſſen americaniſchen Nationen erzaͤhlt wor- den iſt. Es iſt alſo nicht unwahrſcheinlich, daß in der Folge der Zeit dieſer Ge- brauch bey ihnen gaͤnzlich abkommen wird. Die Einfuͤhrung von neuem zahmen Schlacht-Vieh kann dieſe gluͤckliche Veraͤnderung vielleicht befoͤrdern, in ſo fern nemlich groͤßerer Ueberfluß, mehr Viehzucht und Ackerbau, das Volk naͤher zuſam- menbringen und es geſelliger machen wird. Auch von Seiten ihrer Religion ſtehet jener Hoffnung kein Hindernis im Wege, denn, ſo viel wir bemerken konnten, ſind ſie nicht ſonderlich aberglaͤubiſch und nur unter ſehr aberglaͤubiſchen Voͤlkern hat man, *) Der Biſchof Las Caſas ſahe dieſe Abſcheulichkeit unter den erſten ſpaniſchen Eroberern von Amerika. **) S. Hawkesworths Geſch. zweyter Band, in 4. p. 386. u. f.

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/449>, abgerufen am 22.11.2024.