Mittags hatten wir den 59sten Grad südlicher Breite erreicht und noch kein Eis1773. Decem- ber. gesehen, dagegen sich vorm Jahre, (am 10ten December,) schon zwischen dem 50sten und 51sten Grade südlicher Breite welches gezeigt hatte. Die Ursach dieses Unterschiedes ist schwer zu bestimmen. Der vorjährige Winter mochte vielleicht kälter als der diesjährige gewesen, und aus dieser Ursach die See damals mit mehr Eis angefüllt seyn, als jetzt; wenigstens versicherten uns die Einwoh- ner am Cap, daß sie einen weit härtern Winter gehabt hätten als sonst. Vielleicht hatte auch ein starker Sturm das Eis um den Südpol her zertrümmert, und die einzelnen Stücke so weit gen Norden getrieben als wir sie vorgedachtermaßen fan- den. Vielleicht hatten beyde Ursachen gleich vielen Antheil daran.
Am 11ten des Nachts nahm die Kälte zu. Das Thermometer stand auf 34 Grad, und um 4 Uhr des andern Morgens zeigte sich eine große Insel von Treibeis, neben welcher wir eine Stunde nachher vorbey fuhren. Ohner- achtet uns vors erste nur dies einzige Stück zu Gesicht kam; so mußte doch in der Nachbarschaft mehr vorhanden seyn, denn die Luft war mit einemmal so viel käl- ter geworden, daß nach Verlauf weniger Stunden, nemlich um 8 Uhr, das Thermometer bereits auf 311/2 Grad gesunken war. Um Mittag befanden wir uns im 61sten Grade 46 Minuten südlicher Breite. Am folgenden Morgen war das Thermometer wieder um einen halben Grad gestiegen, und wir liefen mit einem frischen Winde gen Osten, ohne uns an das dicke Schneegestöber zu kehren, bey dem man oft kaum zehn Schritte weit vor dem Schiff hinsehen konnte. Unser Freund Maheine hatte schon an den vorhergehenden Tagen über die Schnee- und Hagelschauer große Verwundrung bezeigt, denn diese Wit- terungsarten sind in seinem Vaterlande gänzlich unbekannt. "Weiße Stei- ne" die ihm in der Hand schmolzen, waren Wunder in seinen Augen, und ob wir uns gleich bemüheten, ihm begreiflich zu machen, daß sie durch Kälte hervorgebracht würden, so glaube ich doch, daß seine Begriffe davon immer sehr dunkel geblieben seyn mögen. Das heutige dicke Schneegestöber setzte ihn in noch größere Verwundrung, und nachdem er auf seine Art die Schnee- flocken lange genug betrachtet, sagte er endlich, er wolle es, bey sei- ner Zurückkunst nach Tahiti, weißen Regen nennen. Das erste S[t]ück Eis, welches uns aufsties, hatte er nicht zu sehen bekommen, weil es am frühen
in den Jahren 1772 bis 1775.
Mittags hatten wir den 59ſten Grad ſuͤdlicher Breite erreicht und noch kein Eis1773. Decem- ber. geſehen, dagegen ſich vorm Jahre, (am 10ten December,) ſchon zwiſchen dem 50ſten und 51ſten Grade ſuͤdlicher Breite welches gezeigt hatte. Die Urſach dieſes Unterſchiedes iſt ſchwer zu beſtimmen. Der vorjaͤhrige Winter mochte vielleicht kaͤlter als der diesjaͤhrige geweſen, und aus dieſer Urſach die See damals mit mehr Eis angefuͤllt ſeyn, als jetzt; wenigſtens verſicherten uns die Einwoh- ner am Cap, daß ſie einen weit haͤrtern Winter gehabt haͤtten als ſonſt. Vielleicht hatte auch ein ſtarker Sturm das Eis um den Suͤdpol her zertruͤmmert, und die einzelnen Stuͤcke ſo weit gen Norden getrieben als wir ſie vorgedachtermaßen fan- den. Vielleicht hatten beyde Urſachen gleich vielen Antheil daran.
Am 11ten des Nachts nahm die Kaͤlte zu. Das Thermometer ſtand auf 34 Grad, und um 4 Uhr des andern Morgens zeigte ſich eine große Inſel von Treibeis, neben welcher wir eine Stunde nachher vorbey fuhren. Ohner- achtet uns vors erſte nur dies einzige Stuͤck zu Geſicht kam; ſo mußte doch in der Nachbarſchaft mehr vorhanden ſeyn, denn die Luft war mit einemmal ſo viel kaͤl- ter geworden, daß nach Verlauf weniger Stunden, nemlich um 8 Uhr, das Thermometer bereits auf 31½ Grad geſunken war. Um Mittag befanden wir uns im 61ſten Grade 46 Minuten ſuͤdlicher Breite. Am folgenden Morgen war das Thermometer wieder um einen halben Grad geſtiegen, und wir liefen mit einem friſchen Winde gen Oſten, ohne uns an das dicke Schneegeſtoͤber zu kehren, bey dem man oft kaum zehn Schritte weit vor dem Schiff hinſehen konnte. Unſer Freund Maheine hatte ſchon an den vorhergehenden Tagen uͤber die Schnee- und Hagelſchauer große Verwundrung bezeigt, denn dieſe Wit- terungsarten ſind in ſeinem Vaterlande gaͤnzlich unbekannt. “Weiße Stei- ne” die ihm in der Hand ſchmolzen, waren Wunder in ſeinen Augen, und ob wir uns gleich bemuͤheten, ihm begreiflich zu machen, daß ſie durch Kaͤlte hervorgebracht wuͤrden, ſo glaube ich doch, daß ſeine Begriffe davon immer ſehr dunkel geblieben ſeyn moͤgen. Das heutige dicke Schneegeſtoͤber ſetzte ihn in noch groͤßere Verwundrung, und nachdem er auf ſeine Art die Schnee- flocken lange genug betrachtet, ſagte er endlich, er wolle es, bey ſei- ner Zuruͤckkunſt nach Tahiti, weißen Regen nennen. Das erſte S[t]uͤck Eis, welches uns aufſties, hatte er nicht zu ſehen bekommen, weil es am fruͤhen
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in den Jahren 1772 bis 1775.
Mittags hatten wir den 59ſten Grad ſuͤdlicher Breite erreicht und noch kein Eis
geſehen, dagegen ſich vorm Jahre, (am 10ten December,) ſchon zwiſchen dem
50ſten und 51ſten Grade ſuͤdlicher Breite welches gezeigt hatte. Die Urſach
dieſes Unterſchiedes iſt ſchwer zu beſtimmen. Der vorjaͤhrige Winter mochte
vielleicht kaͤlter als der diesjaͤhrige geweſen, und aus dieſer Urſach die See damals
mit mehr Eis angefuͤllt ſeyn, als jetzt; wenigſtens verſicherten uns die Einwoh-
ner am Cap, daß ſie einen weit haͤrtern Winter gehabt haͤtten als ſonſt. Vielleicht
hatte auch ein ſtarker Sturm das Eis um den Suͤdpol her zertruͤmmert, und die
einzelnen Stuͤcke ſo weit gen Norden getrieben als wir ſie vorgedachtermaßen fan-
den. Vielleicht hatten beyde Urſachen gleich vielen Antheil daran.
1773.
Decem-
ber.
Am 11ten des Nachts nahm die Kaͤlte zu. Das Thermometer ſtand
auf 34 Grad, und um 4 Uhr des andern Morgens zeigte ſich eine große Inſel
von Treibeis, neben welcher wir eine Stunde nachher vorbey fuhren. Ohner-
achtet uns vors erſte nur dies einzige Stuͤck zu Geſicht kam; ſo mußte doch in der
Nachbarſchaft mehr vorhanden ſeyn, denn die Luft war mit einemmal ſo viel kaͤl-
ter geworden, daß nach Verlauf weniger Stunden, nemlich um 8 Uhr, das
Thermometer bereits auf 31½ Grad geſunken war. Um Mittag befanden wir uns
im 61ſten Grade 46 Minuten ſuͤdlicher Breite. Am folgenden Morgen war
das Thermometer wieder um einen halben Grad geſtiegen, und wir liefen mit
einem friſchen Winde gen Oſten, ohne uns an das dicke Schneegeſtoͤber zu kehren,
bey dem man oft kaum zehn Schritte weit vor dem Schiff hinſehen konnte.
Unſer Freund Maheine hatte ſchon an den vorhergehenden Tagen uͤber die
Schnee- und Hagelſchauer große Verwundrung bezeigt, denn dieſe Wit-
terungsarten ſind in ſeinem Vaterlande gaͤnzlich unbekannt. “Weiße Stei-
ne” die ihm in der Hand ſchmolzen, waren Wunder in ſeinen Augen, und
ob wir uns gleich bemuͤheten, ihm begreiflich zu machen, daß ſie durch Kaͤlte
hervorgebracht wuͤrden, ſo glaube ich doch, daß ſeine Begriffe davon immer
ſehr dunkel geblieben ſeyn moͤgen. Das heutige dicke Schneegeſtoͤber ſetzte ihn
in noch groͤßere Verwundrung, und nachdem er auf ſeine Art die Schnee-
flocken lange genug betrachtet, ſagte er endlich, er wolle es, bey ſei-
ner Zuruͤckkunſt nach Tahiti, weißen Regen nennen. Das erſte Stuͤck Eis,
welches uns aufſties, hatte er nicht zu ſehen bekommen, weil es am fruͤhen
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/458>, abgerufen am 16.07.2024.
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