Bey Untergang der Sonne verließen wir den Wasserplatz, und gien- gen nach der Bucht, wo unser Boot vor Anker lag. Unterwegens kamen wir über den ebnen Platz, auf welchem die vorbeschriebne Säule aufgerichtet ist. Einige Einwohner, die uns noch begleiteten, winkten uns, daß wir auf dem Grase am Fus des Piedestals, und nicht über das Mauerwerk gehen sollten; da wir uns aber nicht daran kehrten, so hatten sie auch nichts dawider. Wir erkundigten uns bey einigen die am verständigsten zu seyn schienen, was diese Steine zu bedeu- ten hätten, und so viel wir aus ihrer Antwort schließen und errathen konnten, müssen es Denkmähler ihrer Eriki's oder Könige seyn. Also ist das gemauerte Piedestal vermuthlich als der Begräbnißplatz anzusehn; und bey genauerer Un- tersuchung fanden wir würklich nicht weit davon eine Menge Menschen-Gebeine, welches denn unsre Vermuthung bestätigte. Die Länge der Knochen paßte zu Körpern mittlerer Länge, und ein Schenkelbein, das wir maaßen, kam genau mit der Maaße desselbigen Knochens an einer Person überein, die ohngefähr 5 Fus neun Zoll lang war. An der West-Seite der Bucht standen drey Säu- len, auf einem sehr breiten und erhöheten Postement, in einer Reihe aufge- richtet. Diese Reihe nannten die Einwohner Hanga-roa. Die vorerwähnte einzelne Säule aber hießen sie Obina. Nahe bey diesen Pfeilern saßen zehn oder zwölf von den Einwohnern um ein kleines Feuer, an welchem sie ein Paar Kartoffeln brateten. Dies war ihr Abendessen, und sie boten uns, als wir vorbey giengen, etwas davon an. In einen so armseligen Lande war uns diese Gastfreyheit unerwartet. Man vergleiche sie einmal mit den Gebräuchen der eivilisirten Völker, die sich fast aller Empfindungen gegen ihren Nebenmenschen zu entledigen gewußt haben! Uebrigens war es uns sehr angenehm, bey dieser Gele- genheit augenscheinlich überzeugt zu werden, daß die Vermuthung der Holländer, wegen solcher Feuer ungegründet gewesen, denn wir fanden nicht den mindesten Grund, diese Feuer für eine religiöse Ceremonie anzusehen. Mit einem kleinen Vor- rath von Kartoffeln, den wir eingekauft und ohngefähr sechs oder sieben bekannten Pflanzen, die wir gesammlet, kehrten wir nun an Bord zurück. Den scorbutischen Patienten bekam unser Spatziergang ungemein wohl und besser denn jeden andern. Ich für meine Person, der ich am Morgen noch geschwollne Beine hatte, und kaum darauf stehen konnte, befand mich heute Abend
schon
Forſter’s Reiſe um die Welt
1774. Maͤrz.
Bey Untergang der Sonne verließen wir den Waſſerplatz, und gien- gen nach der Bucht, wo unſer Boot vor Anker lag. Unterwegens kamen wir uͤber den ebnen Platz, auf welchem die vorbeſchriebne Saͤule aufgerichtet iſt. Einige Einwohner, die uns noch begleiteten, winkten uns, daß wir auf dem Graſe am Fus des Piedeſtals, und nicht uͤber das Mauerwerk gehen ſollten; da wir uns aber nicht daran kehrten, ſo hatten ſie auch nichts dawider. Wir erkundigten uns bey einigen die am verſtaͤndigſten zu ſeyn ſchienen, was dieſe Steine zu bedeu- ten haͤtten, und ſo viel wir aus ihrer Antwort ſchließen und errathen konnten, muͤſſen es Denkmaͤhler ihrer Eriki’s oder Koͤnige ſeyn. Alſo iſt das gemauerte Piedeſtal vermuthlich als der Begraͤbnißplatz anzuſehn; und bey genauerer Un- terſuchung fanden wir wuͤrklich nicht weit davon eine Menge Menſchen-Gebeine, welches denn unſre Vermuthung beſtaͤtigte. Die Laͤnge der Knochen paßte zu Koͤrpern mittlerer Laͤnge, und ein Schenkelbein, das wir maaßen, kam genau mit der Maaße deſſelbigen Knochens an einer Perſon uͤberein, die ohngefaͤhr 5 Fus neun Zoll lang war. An der Weſt-Seite der Bucht ſtanden drey Saͤu- len, auf einem ſehr breiten und erhoͤheten Poſtement, in einer Reihe aufge- richtet. Dieſe Reihe nannten die Einwohner Hanga-roa. Die vorerwaͤhnte einzelne Saͤule aber hießen ſie Obina. Nahe bey dieſen Pfeilern ſaßen zehn oder zwoͤlf von den Einwohnern um ein kleines Feuer, an welchem ſie ein Paar Kartoffeln brateten. Dies war ihr Abendeſſen, und ſie boten uns, als wir vorbey giengen, etwas davon an. In einen ſo armſeligen Lande war uns dieſe Gaſtfreyheit unerwartet. Man vergleiche ſie einmal mit den Gebraͤuchen der eiviliſirten Voͤlker, die ſich faſt aller Empfindungen gegen ihren Nebenmenſchen zu entledigen gewußt haben! Uebrigens war es uns ſehr angenehm, bey dieſer Gele- genheit augenſcheinlich uͤberzeugt zu werden, daß die Vermuthung der Hollaͤnder, wegen ſolcher Feuer ungegruͤndet geweſen, denn wir fanden nicht den mindeſten Grund, dieſe Feuer fuͤr eine religioͤſe Ceremonie anzuſehen. Mit einem kleinen Vor- rath von Kartoffeln, den wir eingekauft und ohngefaͤhr ſechs oder ſieben bekannten Pflanzen, die wir geſammlet, kehrten wir nun an Bord zuruͤck. Den ſcorbutiſchen Patienten bekam unſer Spatziergang ungemein wohl und beſſer denn jeden andern. Ich fuͤr meine Perſon, der ich am Morgen noch geſchwollne Beine hatte, und kaum darauf ſtehen konnte, befand mich heute Abend
ſchon
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Forſter’s Reiſe um die Welt
Bey Untergang der Sonne verließen wir den Waſſerplatz, und gien-
gen nach der Bucht, wo unſer Boot vor Anker lag. Unterwegens kamen wir
uͤber den ebnen Platz, auf welchem die vorbeſchriebne Saͤule aufgerichtet iſt. Einige
Einwohner, die uns noch begleiteten, winkten uns, daß wir auf dem Graſe am
Fus des Piedeſtals, und nicht uͤber das Mauerwerk gehen ſollten; da wir uns aber
nicht daran kehrten, ſo hatten ſie auch nichts dawider. Wir erkundigten uns
bey einigen die am verſtaͤndigſten zu ſeyn ſchienen, was dieſe Steine zu bedeu-
ten haͤtten, und ſo viel wir aus ihrer Antwort ſchließen und errathen konnten,
muͤſſen es Denkmaͤhler ihrer Eriki’s oder Koͤnige ſeyn. Alſo iſt das gemauerte
Piedeſtal vermuthlich als der Begraͤbnißplatz anzuſehn; und bey genauerer Un-
terſuchung fanden wir wuͤrklich nicht weit davon eine Menge Menſchen-Gebeine,
welches denn unſre Vermuthung beſtaͤtigte. Die Laͤnge der Knochen paßte zu
Koͤrpern mittlerer Laͤnge, und ein Schenkelbein, das wir maaßen, kam genau
mit der Maaße deſſelbigen Knochens an einer Perſon uͤberein, die ohngefaͤhr
5 Fus neun Zoll lang war. An der Weſt-Seite der Bucht ſtanden drey Saͤu-
len, auf einem ſehr breiten und erhoͤheten Poſtement, in einer Reihe aufge-
richtet. Dieſe Reihe nannten die Einwohner Hanga-roa. Die vorerwaͤhnte
einzelne Saͤule aber hießen ſie Obina. Nahe bey dieſen Pfeilern ſaßen zehn
oder zwoͤlf von den Einwohnern um ein kleines Feuer, an welchem ſie ein Paar
Kartoffeln brateten. Dies war ihr Abendeſſen, und ſie boten uns, als wir
vorbey giengen, etwas davon an. In einen ſo armſeligen Lande war uns dieſe
Gaſtfreyheit unerwartet. Man vergleiche ſie einmal mit den Gebraͤuchen der
eiviliſirten Voͤlker, die ſich faſt aller Empfindungen gegen ihren Nebenmenſchen
zu entledigen gewußt haben! Uebrigens war es uns ſehr angenehm, bey dieſer Gele-
genheit augenſcheinlich uͤberzeugt zu werden, daß die Vermuthung der Hollaͤnder,
wegen ſolcher Feuer ungegruͤndet geweſen, denn wir fanden nicht den mindeſten
Grund, dieſe Feuer fuͤr eine religioͤſe Ceremonie anzuſehen. Mit einem kleinen Vor-
rath von Kartoffeln, den wir eingekauft und ohngefaͤhr ſechs oder ſieben bekannten
Pflanzen, die wir geſammlet, kehrten wir nun an Bord zuruͤck. Den
ſcorbutiſchen Patienten bekam unſer Spatziergang ungemein wohl und beſſer
denn jeden andern. Ich fuͤr meine Perſon, der ich am Morgen noch geſchwollne
Beine hatte, und kaum darauf ſtehen konnte, befand mich heute Abend
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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