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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
allen Mitgliedern des Ordens gemeinschaftlich zugehörten: *) Allein, nicht zu1774.
May.

gedenken, daß eine solche Einrichtung, an und für sich schon, dem Character
dieser Nation widerstreitet, so ist uns auch, bey genauerer Nachfrage, ausdrück-
lich das Gegentheil davon versichert worden. Man muß also diese Erzählung für
eine bloße Grille von gewissen, lustigen und kurzsichtigen Reisenden oder Reise-
beschreibern ansehen, die das liebe Publicum wohl mit noch andern aben-
theuerlichen Mährchen unterhalten haben.

Die Errioys sind zum Theil eben so verheyrathet, als Maheine sich
mit Topiri **) verehligt hatte; andre pflegen sich Beyschläferinnen zu halten.
Manche mögen sich freylich auch mit gemeinen Huren abgeben, deren auf allen
diesen Inseln, so viele vorhanden sind: Diese Art von Ausschweifung ist aber
nichts so unerhörtes, sondern vielmehr unter den civilisirtern Europäern, weit
herrschender als hier. Sollte man also, blos daher Anlaß genommen haben,
die Errioys zu beschuldigen, daß sie einander ihre Weiber wechselsweise Preiß
gäben; so würde das ohngefähr eben so herauskommen, als wenn man, we-
gen der lüderlichen Lebensart einzelner Europäer, behaupten wollte, daß es in Europa
eine Classe von Leuten beyderley Geschlechts gäbe, die ihre Tage in einer steten
Befriedigung sinnlicher Lüste zubrächte!

Von dem Vorwurf des Kindermordes hingegen sind die Tahitier nicht
freyzusprechen, so unerklärbar es auch beym ersten Anblick scheinen mag, daß eine
Nation von so sanftem, mitleidigem, und zur Freundschaft gestimmten Herzen, zu-
gleich der äußersten Grausamkeit fähig seyn soll. Wenn die Unmenschlichkeit der
Väter hier schon Schaudern erregt, was soll man von den Müttern sagen, deren
Herzen von Natur und durch Instinct sonst überall so zärtlich sorgsam und zum
Erbarmen geneigt sind? Die Wege und Stimme der Tugend sind freylich nur gar zu
leicht zu verfehlen; Aber bey alle dem bleibt es immer noch unbegreiflich, wie ein
Volk, das in den übrigen Stücken so sehr der Natur getreu blieb, gerade dem ersten

*) S. Hawkesworths Gesch. der engl. See-Reisen in 4. zweyter Theil, Seite 205.
**) Durch einen Druckfehler, heißt der Name dieses Mädchens, oder vielmehr ihres Vaters,
weiter oben, Seite 68 irrigerweise Toparre, wofür der Leser Topiri setzen wolle.

in den Jahren 1772 bis 1775.
allen Mitgliedern des Ordens gemeinſchaftlich zugehoͤrten: *) Allein, nicht zu1774.
May.

gedenken, daß eine ſolche Einrichtung, an und fuͤr ſich ſchon, dem Character
dieſer Nation widerſtreitet, ſo iſt uns auch, bey genauerer Nachfrage, ausdruͤck-
lich das Gegentheil davon verſichert worden. Man muß alſo dieſe Erzaͤhlung fuͤr
eine bloße Grille von gewiſſen, luſtigen und kurzſichtigen Reiſenden oder Reiſe-
beſchreibern anſehen, die das liebe Publicum wohl mit noch andern aben-
theuerlichen Maͤhrchen unterhalten haben.

Die Errioys ſind zum Theil eben ſo verheyrathet, als Maheine ſich
mit Topiri **) verehligt hatte; andre pflegen ſich Beyſchlaͤferinnen zu halten.
Manche moͤgen ſich freylich auch mit gemeinen Huren abgeben, deren auf allen
dieſen Inſeln, ſo viele vorhanden ſind: Dieſe Art von Ausſchweifung iſt aber
nichts ſo unerhoͤrtes, ſondern vielmehr unter den civiliſirtern Europaͤern, weit
herrſchender als hier. Sollte man alſo, blos daher Anlaß genommen haben,
die Errioys zu beſchuldigen, daß ſie einander ihre Weiber wechſelsweiſe Preiß
gaͤben; ſo wuͤrde das ohngefaͤhr eben ſo herauskommen, als wenn man, we-
gen der luͤderlichen Lebensart einzelner Europaͤer, behaupten wollte, daß es in Europa
eine Claſſe von Leuten beyderley Geſchlechts gaͤbe, die ihre Tage in einer ſteten
Befriedigung ſinnlicher Luͤſte zubraͤchte!

Von dem Vorwurf des Kindermordes hingegen ſind die Tahitier nicht
freyzuſprechen, ſo unerklaͤrbar es auch beym erſten Anblick ſcheinen mag, daß eine
Nation von ſo ſanftem, mitleidigem, und zur Freundſchaft geſtimmten Herzen, zu-
gleich der aͤußerſten Grauſamkeit faͤhig ſeyn ſoll. Wenn die Unmenſchlichkeit der
Vaͤter hier ſchon Schaudern erregt, was ſoll man von den Muͤttern ſagen, deren
Herzen von Natur und durch Inſtinct ſonſt uͤberall ſo zaͤrtlich ſorgſam und zum
Erbarmen geneigt ſind? Die Wege und Stimme der Tugend ſind freylich nur gar zu
leicht zu verfehlen; Aber bey alle dem bleibt es immer noch unbegreiflich, wie ein
Volk, das in den uͤbrigen Stuͤcken ſo ſehr der Natur getreu blieb, gerade dem erſten

*) S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Theil, Seite 205.
**) Durch einen Druckfehler, heißt der Name dieſes Maͤdchens, oder vielmehr ihres Vaters,
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[103/0115] in den Jahren 1772 bis 1775. allen Mitgliedern des Ordens gemeinſchaftlich zugehoͤrten: *) Allein, nicht zu gedenken, daß eine ſolche Einrichtung, an und fuͤr ſich ſchon, dem Character dieſer Nation widerſtreitet, ſo iſt uns auch, bey genauerer Nachfrage, ausdruͤck- lich das Gegentheil davon verſichert worden. Man muß alſo dieſe Erzaͤhlung fuͤr eine bloße Grille von gewiſſen, luſtigen und kurzſichtigen Reiſenden oder Reiſe- beſchreibern anſehen, die das liebe Publicum wohl mit noch andern aben- theuerlichen Maͤhrchen unterhalten haben. 1774. May. Die Errioys ſind zum Theil eben ſo verheyrathet, als Maheine ſich mit Topiri **) verehligt hatte; andre pflegen ſich Beyſchlaͤferinnen zu halten. Manche moͤgen ſich freylich auch mit gemeinen Huren abgeben, deren auf allen dieſen Inſeln, ſo viele vorhanden ſind: Dieſe Art von Ausſchweifung iſt aber nichts ſo unerhoͤrtes, ſondern vielmehr unter den civiliſirtern Europaͤern, weit herrſchender als hier. Sollte man alſo, blos daher Anlaß genommen haben, die Errioys zu beſchuldigen, daß ſie einander ihre Weiber wechſelsweiſe Preiß gaͤben; ſo wuͤrde das ohngefaͤhr eben ſo herauskommen, als wenn man, we- gen der luͤderlichen Lebensart einzelner Europaͤer, behaupten wollte, daß es in Europa eine Claſſe von Leuten beyderley Geſchlechts gaͤbe, die ihre Tage in einer ſteten Befriedigung ſinnlicher Luͤſte zubraͤchte! Von dem Vorwurf des Kindermordes hingegen ſind die Tahitier nicht freyzuſprechen, ſo unerklaͤrbar es auch beym erſten Anblick ſcheinen mag, daß eine Nation von ſo ſanftem, mitleidigem, und zur Freundſchaft geſtimmten Herzen, zu- gleich der aͤußerſten Grauſamkeit faͤhig ſeyn ſoll. Wenn die Unmenſchlichkeit der Vaͤter hier ſchon Schaudern erregt, was ſoll man von den Muͤttern ſagen, deren Herzen von Natur und durch Inſtinct ſonſt uͤberall ſo zaͤrtlich ſorgſam und zum Erbarmen geneigt ſind? Die Wege und Stimme der Tugend ſind freylich nur gar zu leicht zu verfehlen; Aber bey alle dem bleibt es immer noch unbegreiflich, wie ein Volk, das in den uͤbrigen Stuͤcken ſo ſehr der Natur getreu blieb, gerade dem erſten *) S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Theil, Seite 205. **) Durch einen Druckfehler, heißt der Name dieſes Maͤdchens, oder vielmehr ihres Vaters, weiter oben, Seite 68 irrigerweiſe Toparre, wofuͤr der Leſer Topiri ſetzen wolle.

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/115>, abgerufen am 25.11.2024.