Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.Forster's Reise um die Welt 1774.August.derhohlten sie ihre Bitte, und gaben endlich durch allerhand Gebehrden zu verstehen, daß ihre Landsleute uns ohnfehlbar todtschlagen und fressen würden, wenn wir noch weiter vordringen wollten. Es befremdete uns, daß diese Insulaner, die wir nimmermehr für Menschenfresser gehalten hätten, sich auf solche Art selbst dafür ausgaben. Zwar hatten sie sich schon bey andern Gele- genheiten etwas ähnliches merken lassen; da es aber lieblos gewesen wäre sie auf eine bloße Vermuthung einer solchen Barbarey zu beschuldigen, so stellten wir uns, als hätten wir ihre Zeichen dahin verstanden, daß sie uns etwas zu essen anböten, giengen also immer weiter fort und winkten ihnen zu, daß wir's uns recht gut würden schmecken lassen. Nun gaben sie sich alle Mühe uns aus dem Irrthum zu reißen, und deuteten uns durch Zeichen sehr verständlich an, daß sie einen Menschen zuerst todtschlügen, hierauf die Glieder einzeln ablöse- ten, und dann das Fleisch von den Knochen schabten. Endlich setzten sie die Zähne an den Arm, damit uns gar kein Zweifel übrig bleiben sollte, daß sie würklich Menschenfleisch äßen. Auf diese Warnung kehrten wir von der Land- spitze zurück, und giengen nach einer Wohnhütte hin, die, ohngefähr funfzig Schritt davon, auf einer Anhöhe lag. Sobald uns die Bewohner derselben herauf kommen sahen, liefen sie hinein und hohlten sich Waffen heraus, vermuthlich um uns zurück zu treiben, weil sie glauben mochten, daß wir, als Feinde, ihnen das ihrige rauben wollten. Zu Steurung dieses Argwohns, mußten wir einer Wißbegierde Schranken setzen, die uns sonst gewiß nachtheilig geworden seyn würde. Gleichwohl lief sie keineswe- ges auf eine Kleinigkeit heraus: Es pflegten nehmlich die Indianer auf die- ser Landspitze an jedem Morgen, bey Tages Anbruch, einen langsamen feyerli- chen Gesang anzustimmen, der gemeiniglich über eine Viertelstunde dauerte, und wie ein Todtenlied klang. Dies dünkte uns eine religiöse Ceremonie zu seyn, und ließ vermuthen, daß dort irgendwo ein geheiligter Ort verborgen seyn müsse, zumahl da die Einwohner uns auch immer so geflissentlich von dieser Gegend abzuleiten suchten. Nachdem wir einige Schritte zurückgegangen, stiegen wir auf die hohe Forſter’s Reiſe um die Welt 1774.Auguſt.derhohlten ſie ihre Bitte, und gaben endlich durch allerhand Gebehrden zu verſtehen, daß ihre Landsleute uns ohnfehlbar todtſchlagen und freſſen wuͤrden, wenn wir noch weiter vordringen wollten. Es befremdete uns, daß dieſe Inſulaner, die wir nimmermehr fuͤr Menſchenfreſſer gehalten haͤtten, ſich auf ſolche Art ſelbſt dafuͤr ausgaben. Zwar hatten ſie ſich ſchon bey andern Gele- genheiten etwas aͤhnliches merken laſſen; da es aber lieblos geweſen waͤre ſie auf eine bloße Vermuthung einer ſolchen Barbarey zu beſchuldigen, ſo ſtellten wir uns, als haͤtten wir ihre Zeichen dahin verſtanden, daß ſie uns etwas zu eſſen anboͤten, giengen alſo immer weiter fort und winkten ihnen zu, daß wir’s uns recht gut wuͤrden ſchmecken laſſen. Nun gaben ſie ſich alle Muͤhe uns aus dem Irrthum zu reißen, und deuteten uns durch Zeichen ſehr verſtaͤndlich an, daß ſie einen Menſchen zuerſt todtſchluͤgen, hierauf die Glieder einzeln abloͤſe- ten, und dann das Fleiſch von den Knochen ſchabten. Endlich ſetzten ſie die Zaͤhne an den Arm, damit uns gar kein Zweifel uͤbrig bleiben ſollte, daß ſie wuͤrklich Menſchenfleiſch aͤßen. Auf dieſe Warnung kehrten wir von der Land- ſpitze zuruͤck, und giengen nach einer Wohnhuͤtte hin, die, ohngefaͤhr funfzig Schritt davon, auf einer Anhoͤhe lag. Sobald uns die Bewohner derſelben herauf kommen ſahen, liefen ſie hinein und hohlten ſich Waffen heraus, vermuthlich um uns zuruͤck zu treiben, weil ſie glauben mochten, daß wir, als Feinde, ihnen das ihrige rauben wollten. Zu Steurung dieſes Argwohns, mußten wir einer Wißbegierde Schranken ſetzen, die uns ſonſt gewiß nachtheilig geworden ſeyn wuͤrde. Gleichwohl lief ſie keineswe- ges auf eine Kleinigkeit heraus: Es pflegten nehmlich die Indianer auf die- ſer Landſpitze an jedem Morgen, bey Tages Anbruch, einen langſamen feyerli- chen Geſang anzuſtimmen, der gemeiniglich uͤber eine Viertelſtunde dauerte, und wie ein Todtenlied klang. Dies duͤnkte uns eine religioͤſe Ceremonie zu ſeyn, und ließ vermuthen, daß dort irgendwo ein geheiligter Ort verborgen ſeyn muͤſſe, zumahl da die Einwohner uns auch immer ſo gefliſſentlich von dieſer Gegend abzuleiten ſuchten. Nachdem wir einige Schritte zuruͤckgegangen, ſtiegen wir auf die hohe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0252" n="238"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>Forſter’s</persName> Reiſe um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/> Auguſt.</note>derhohlten ſie ihre Bitte, und gaben endlich durch allerhand Gebehrden zu<lb/> verſtehen, daß ihre Landsleute uns ohnfehlbar todtſchlagen und freſſen wuͤrden,<lb/> wenn wir noch weiter vordringen wollten. Es befremdete uns, daß dieſe<lb/> Inſulaner, die wir nimmermehr fuͤr Menſchenfreſſer gehalten haͤtten, ſich auf<lb/> ſolche Art ſelbſt dafuͤr ausgaben. Zwar hatten ſie ſich ſchon bey andern Gele-<lb/> genheiten etwas aͤhnliches merken laſſen; da es aber lieblos geweſen waͤre ſie auf<lb/> eine bloße Vermuthung einer ſolchen Barbarey zu beſchuldigen, ſo ſtellten wir<lb/> uns, als haͤtten wir ihre Zeichen dahin verſtanden, daß ſie uns etwas zu eſſen<lb/> anboͤten, giengen alſo immer weiter fort und winkten ihnen zu, daß wir’s<lb/> uns recht gut wuͤrden ſchmecken laſſen. Nun gaben ſie ſich alle Muͤhe uns aus<lb/> dem Irrthum zu reißen, und deuteten uns durch Zeichen ſehr verſtaͤndlich an,<lb/> daß ſie einen Menſchen zuerſt todtſchluͤgen, hierauf die Glieder einzeln abloͤſe-<lb/> ten, und dann das Fleiſch von den Knochen ſchabten. Endlich ſetzten ſie die<lb/> Zaͤhne an den Arm, damit uns gar kein Zweifel uͤbrig bleiben ſollte, daß ſie<lb/> wuͤrklich Menſchenfleiſch aͤßen. Auf dieſe Warnung kehrten wir von der Land-<lb/> ſpitze zuruͤck, und giengen nach einer Wohnhuͤtte hin, die, ohngefaͤhr funfzig<lb/> Schritt davon, auf einer Anhoͤhe lag. Sobald uns die Bewohner derſelben<lb/> herauf kommen ſahen, liefen ſie hinein und hohlten ſich Waffen heraus,<lb/> vermuthlich um uns zuruͤck zu treiben, weil ſie glauben mochten, daß<lb/> wir, als Feinde, ihnen das ihrige rauben wollten. Zu Steurung dieſes<lb/> Argwohns, mußten wir einer Wißbegierde Schranken ſetzen, die uns ſonſt<lb/> gewiß nachtheilig geworden ſeyn wuͤrde. Gleichwohl lief ſie keineswe-<lb/> ges auf eine Kleinigkeit heraus: Es pflegten nehmlich die Indianer auf die-<lb/> ſer Landſpitze an jedem Morgen, bey Tages Anbruch, einen langſamen feyerli-<lb/> chen Geſang anzuſtimmen, der gemeiniglich uͤber eine Viertelſtunde dauerte, und<lb/> wie ein Todtenlied klang. Dies duͤnkte uns eine religioͤſe Ceremonie zu ſeyn,<lb/> und ließ vermuthen, daß dort irgendwo ein geheiligter Ort verborgen ſeyn muͤſſe,<lb/> zumahl da die Einwohner uns auch immer ſo gefliſſentlich von dieſer Gegend<lb/> abzuleiten ſuchten.</p><lb/> <p>Nachdem wir einige Schritte zuruͤckgegangen, ſtiegen wir auf die hohe<lb/> Ebene, in Hoffnung von da aus etwas entdecken zu koͤnnen, weil ſie we-<lb/> nigſtens um vierzig bis funfzig Fuß niedriger liegt als die Landſpitze. Wir<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [238/0252]
Forſter’s Reiſe um die Welt
derhohlten ſie ihre Bitte, und gaben endlich durch allerhand Gebehrden zu
verſtehen, daß ihre Landsleute uns ohnfehlbar todtſchlagen und freſſen wuͤrden,
wenn wir noch weiter vordringen wollten. Es befremdete uns, daß dieſe
Inſulaner, die wir nimmermehr fuͤr Menſchenfreſſer gehalten haͤtten, ſich auf
ſolche Art ſelbſt dafuͤr ausgaben. Zwar hatten ſie ſich ſchon bey andern Gele-
genheiten etwas aͤhnliches merken laſſen; da es aber lieblos geweſen waͤre ſie auf
eine bloße Vermuthung einer ſolchen Barbarey zu beſchuldigen, ſo ſtellten wir
uns, als haͤtten wir ihre Zeichen dahin verſtanden, daß ſie uns etwas zu eſſen
anboͤten, giengen alſo immer weiter fort und winkten ihnen zu, daß wir’s
uns recht gut wuͤrden ſchmecken laſſen. Nun gaben ſie ſich alle Muͤhe uns aus
dem Irrthum zu reißen, und deuteten uns durch Zeichen ſehr verſtaͤndlich an,
daß ſie einen Menſchen zuerſt todtſchluͤgen, hierauf die Glieder einzeln abloͤſe-
ten, und dann das Fleiſch von den Knochen ſchabten. Endlich ſetzten ſie die
Zaͤhne an den Arm, damit uns gar kein Zweifel uͤbrig bleiben ſollte, daß ſie
wuͤrklich Menſchenfleiſch aͤßen. Auf dieſe Warnung kehrten wir von der Land-
ſpitze zuruͤck, und giengen nach einer Wohnhuͤtte hin, die, ohngefaͤhr funfzig
Schritt davon, auf einer Anhoͤhe lag. Sobald uns die Bewohner derſelben
herauf kommen ſahen, liefen ſie hinein und hohlten ſich Waffen heraus,
vermuthlich um uns zuruͤck zu treiben, weil ſie glauben mochten, daß
wir, als Feinde, ihnen das ihrige rauben wollten. Zu Steurung dieſes
Argwohns, mußten wir einer Wißbegierde Schranken ſetzen, die uns ſonſt
gewiß nachtheilig geworden ſeyn wuͤrde. Gleichwohl lief ſie keineswe-
ges auf eine Kleinigkeit heraus: Es pflegten nehmlich die Indianer auf die-
ſer Landſpitze an jedem Morgen, bey Tages Anbruch, einen langſamen feyerli-
chen Geſang anzuſtimmen, der gemeiniglich uͤber eine Viertelſtunde dauerte, und
wie ein Todtenlied klang. Dies duͤnkte uns eine religioͤſe Ceremonie zu ſeyn,
und ließ vermuthen, daß dort irgendwo ein geheiligter Ort verborgen ſeyn muͤſſe,
zumahl da die Einwohner uns auch immer ſo gefliſſentlich von dieſer Gegend
abzuleiten ſuchten.
1774.
Auguſt.
Nachdem wir einige Schritte zuruͤckgegangen, ſtiegen wir auf die hohe
Ebene, in Hoffnung von da aus etwas entdecken zu koͤnnen, weil ſie we-
nigſtens um vierzig bis funfzig Fuß niedriger liegt als die Landſpitze. Wir
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |