San Miguiel ist ebenfalls von beträchtlichen Umfange, sehr frucht- bar und volkreich, so daß sich die Volksmenge auf 25000 Personen beläuft. Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von letzterem verarbeiten die Einwohner so viele grobe Leinewand, daß jährlich drey Schifsladungen nach Brasilien geschickt werden können. Diese Leinewand ist ohngefähr eine Elle breit, und die schlechteste Sorte wird zu anderthalb Eng- lischen Schillingen oder etwa zehn Groschen die Vara*) verkaust, welches allem Anschein nach erstaunlich theuer ist. Der vornehmste Ort in dieser Insel ist eine Stadt, die Ponte del Gada genannt wird.
Santa Maria ist die Süd-Oestlichste aller Azoren, und trägt vielen Weizen. Der Einwohner sind an 5000, worunter einige sich mit Verfertigung einer Art irdener Waare beschäftigen, die in allen diesen Inseln abgesetzt wird. Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der Insel gewachsenen Holze erbaut.
Ich schmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine vollständige Beschreibung der Azoren enthalten, dennoch den Lesern angenehm seyn werden, indem diese, uns so nah gelegne Inseln, wenig bekannt sind, und selten von Eu- ropäern besucht werden.
Wir besahen den Sonntag über verschiedne Kirchen, und begleiteten unsern Capitain Nachmittags in die Klöster. Jedes hat eine eigne Kirche, wo wir gemeiniglich zwo einander gegenüber stehende Kanzeln gewahr wurden. Es ist hier zu gewissen Zeiten gewöhnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß sich zu vertheidigen gestattet. Er besteigt also die eine Kanzel, indem er von der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man sich wohl vorstellen, daß wenn sein Gegner auch der dummste Mönch ist, den je ein Kloster gemästet hat, der arme Teufel dennoch den kürzern ziehen muß. Die Altäre sind mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch in der ganzen Kirche. Abends sahen wir eine große Procession, wo alle Priester aus der ganzen Stadt, und die vornehmsten Einwohner in schwarzen Mänteln zugegen waren. Der Verfolgungsgeist, den man der Römischen Kirche zuwei-
*) Portugiesische Elle.
Forſter’s Reiſe um die Welt
1775. Julius.
San Miguiel iſt ebenfalls von betraͤchtlichen Umfange, ſehr frucht- bar und volkreich, ſo daß ſich die Volksmenge auf 25000 Perſonen belaͤuft. Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von letzterem verarbeiten die Einwohner ſo viele grobe Leinewand, daß jaͤhrlich drey Schifsladungen nach Braſilien geſchickt werden koͤnnen. Dieſe Leinewand iſt ohngefaͤhr eine Elle breit, und die ſchlechteſte Sorte wird zu anderthalb Eng- liſchen Schillingen oder etwa zehn Groſchen die Vara*) verkauſt, welches allem Anſchein nach erſtaunlich theuer iſt. Der vornehmſte Ort in dieſer Inſel iſt eine Stadt, die Ponte del Gada genannt wird.
Santa Maria iſt die Suͤd-Oeſtlichſte aller Azoren, und traͤgt vielen Weizen. Der Einwohner ſind an 5000, worunter einige ſich mit Verfertigung einer Art irdener Waare beſchaͤftigen, die in allen dieſen Inſeln abgeſetzt wird. Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der Inſel gewachſenen Holze erbaut.
Ich ſchmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine vollſtaͤndige Beſchreibung der Azoren enthalten, dennoch den Leſern angenehm ſeyn werden, indem dieſe, uns ſo nah gelegne Inſeln, wenig bekannt ſind, und ſelten von Eu- ropaͤern beſucht werden.
Wir beſahen den Sonntag uͤber verſchiedne Kirchen, und begleiteten unſern Capitain Nachmittags in die Kloͤſter. Jedes hat eine eigne Kirche, wo wir gemeiniglich zwo einander gegenuͤber ſtehende Kanzeln gewahr wurden. Es iſt hier zu gewiſſen Zeiten gewoͤhnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß ſich zu vertheidigen geſtattet. Er beſteigt alſo die eine Kanzel, indem er von der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man ſich wohl vorſtellen, daß wenn ſein Gegner auch der dummſte Moͤnch iſt, den je ein Kloſter gemaͤſtet hat, der arme Teufel dennoch den kuͤrzern ziehen muß. Die Altaͤre ſind mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch in der ganzen Kirche. Abends ſahen wir eine große Proceſſion, wo alle Prieſter aus der ganzen Stadt, und die vornehmſten Einwohner in ſchwarzen Maͤnteln zugegen waren. Der Verfolgungsgeiſt, den man der Roͤmiſchen Kirche zuwei-
*) Portugieſiſche Elle.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0480"n="462"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><persName>Forſter’s</persName> Reiſe um die Welt</hi></fw><lb/><noteplace="left">1775.<lb/>
Julius.</note><p><hirendition="#fr"><placeName>San Miguiel</placeName></hi> iſt ebenfalls von betraͤchtlichen Umfange, ſehr frucht-<lb/>
bar und volkreich, ſo daß ſich die Volksmenge auf 25000 Perſonen belaͤuft.<lb/>
Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von<lb/>
letzterem verarbeiten die Einwohner ſo viele grobe Leinewand, daß jaͤhrlich<lb/>
drey Schifsladungen nach <placeName>Braſilien</placeName> geſchickt werden koͤnnen. Dieſe Leinewand<lb/>
iſt ohngefaͤhr eine Elle breit, und die ſchlechteſte Sorte wird zu anderthalb Eng-<lb/>
liſchen Schillingen oder etwa zehn Groſchen die <hirendition="#fr">Vara</hi><noteplace="foot"n="*)">Portugieſiſche Elle.</note> verkauſt, welches<lb/>
allem Anſchein nach erſtaunlich theuer iſt. Der vornehmſte Ort in dieſer Inſel<lb/>
iſt eine Stadt, die <hirendition="#aq"><placeName>Ponte del Gada</placeName></hi> genannt wird.</p><lb/><p><hirendition="#fr"><placeName>Santa Maria</placeName></hi> iſt die Suͤd-Oeſtlichſte aller <placeName>Azoren</placeName>, und traͤgt vielen<lb/>
Weizen. Der Einwohner ſind an 5000, worunter einige ſich mit Verfertigung<lb/>
einer Art irdener Waare beſchaͤftigen, die in allen dieſen Inſeln abgeſetzt wird.<lb/>
Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der Inſel gewachſenen<lb/>
Holze erbaut.</p><lb/><p>Ich ſchmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine vollſtaͤndige<lb/>
Beſchreibung der <placeName>Azoren</placeName> enthalten, dennoch den Leſern angenehm ſeyn werden,<lb/>
indem dieſe, uns ſo nah gelegne Inſeln, wenig bekannt ſind, und ſelten von Eu-<lb/>
ropaͤern beſucht werden.</p><lb/><p>Wir beſahen den Sonntag uͤber verſchiedne Kirchen, und begleiteten<lb/>
unſern Capitain Nachmittags in die Kloͤſter. Jedes hat eine eigne Kirche,<lb/>
wo wir gemeiniglich zwo einander gegenuͤber ſtehende Kanzeln gewahr wurden.<lb/>
Es iſt hier zu gewiſſen Zeiten gewoͤhnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß<lb/>ſich zu vertheidigen geſtattet. Er beſteigt alſo die eine Kanzel, indem er von<lb/>
der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man ſich wohl<lb/>
vorſtellen, daß wenn ſein Gegner auch der dummſte Moͤnch iſt, den je ein Kloſter<lb/>
gemaͤſtet hat, der arme Teufel dennoch den kuͤrzern ziehen muß. Die Altaͤre ſind<lb/>
mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch<lb/>
in der ganzen Kirche. Abends ſahen wir eine große Proceſſion, wo alle Prieſter<lb/>
aus der ganzen Stadt, und die vornehmſten Einwohner in ſchwarzen Maͤnteln<lb/>
zugegen waren. Der Verfolgungsgeiſt, den man der Roͤmiſchen Kirche zuwei-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[462/0480]
Forſter’s Reiſe um die Welt
San Miguiel iſt ebenfalls von betraͤchtlichen Umfange, ſehr frucht-
bar und volkreich, ſo daß ſich die Volksmenge auf 25000 Perſonen belaͤuft.
Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von
letzterem verarbeiten die Einwohner ſo viele grobe Leinewand, daß jaͤhrlich
drey Schifsladungen nach Braſilien geſchickt werden koͤnnen. Dieſe Leinewand
iſt ohngefaͤhr eine Elle breit, und die ſchlechteſte Sorte wird zu anderthalb Eng-
liſchen Schillingen oder etwa zehn Groſchen die Vara *) verkauſt, welches
allem Anſchein nach erſtaunlich theuer iſt. Der vornehmſte Ort in dieſer Inſel
iſt eine Stadt, die Ponte del Gada genannt wird.
Santa Maria iſt die Suͤd-Oeſtlichſte aller Azoren, und traͤgt vielen
Weizen. Der Einwohner ſind an 5000, worunter einige ſich mit Verfertigung
einer Art irdener Waare beſchaͤftigen, die in allen dieſen Inſeln abgeſetzt wird.
Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der Inſel gewachſenen
Holze erbaut.
Ich ſchmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine vollſtaͤndige
Beſchreibung der Azoren enthalten, dennoch den Leſern angenehm ſeyn werden,
indem dieſe, uns ſo nah gelegne Inſeln, wenig bekannt ſind, und ſelten von Eu-
ropaͤern beſucht werden.
Wir beſahen den Sonntag uͤber verſchiedne Kirchen, und begleiteten
unſern Capitain Nachmittags in die Kloͤſter. Jedes hat eine eigne Kirche,
wo wir gemeiniglich zwo einander gegenuͤber ſtehende Kanzeln gewahr wurden.
Es iſt hier zu gewiſſen Zeiten gewoͤhnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß
ſich zu vertheidigen geſtattet. Er beſteigt alſo die eine Kanzel, indem er von
der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man ſich wohl
vorſtellen, daß wenn ſein Gegner auch der dummſte Moͤnch iſt, den je ein Kloſter
gemaͤſtet hat, der arme Teufel dennoch den kuͤrzern ziehen muß. Die Altaͤre ſind
mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch
in der ganzen Kirche. Abends ſahen wir eine große Proceſſion, wo alle Prieſter
aus der ganzen Stadt, und die vornehmſten Einwohner in ſchwarzen Maͤnteln
zugegen waren. Der Verfolgungsgeiſt, den man der Roͤmiſchen Kirche zuwei-
*) Portugieſiſche Elle.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/480>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.