Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Forster's Reise um die Welt

1775.
Julius.

San Miguiel ist ebenfalls von beträchtlichen Umfange, sehr frucht-
bar und volkreich, so daß sich die Volksmenge auf 25000 Personen beläuft.
Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von
letzterem verarbeiten die Einwohner so viele grobe Leinewand, daß jährlich
drey Schifsladungen nach Brasilien geschickt werden können. Diese Leinewand
ist ohngefähr eine Elle breit, und die schlechteste Sorte wird zu anderthalb Eng-
lischen Schillingen oder etwa zehn Groschen die Vara *) verkaust, welches
allem Anschein nach erstaunlich theuer ist. Der vornehmste Ort in dieser Insel
ist eine Stadt, die Ponte del Gada genannt wird.

Santa Maria ist die Süd-Oestlichste aller Azoren, und trägt vielen
Weizen. Der Einwohner sind an 5000, worunter einige sich mit Verfertigung
einer Art irdener Waare beschäftigen, die in allen diesen Inseln abgesetzt wird.
Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der Insel gewachsenen
Holze erbaut.

Ich schmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine vollständige
Beschreibung der Azoren enthalten, dennoch den Lesern angenehm seyn werden,
indem diese, uns so nah gelegne Inseln, wenig bekannt sind, und selten von Eu-
ropäern besucht werden.

Wir besahen den Sonntag über verschiedne Kirchen, und begleiteten
unsern Capitain Nachmittags in die Klöster. Jedes hat eine eigne Kirche,
wo wir gemeiniglich zwo einander gegenüber stehende Kanzeln gewahr wurden.
Es ist hier zu gewissen Zeiten gewöhnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß
sich zu vertheidigen gestattet. Er besteigt also die eine Kanzel, indem er von
der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man sich wohl
vorstellen, daß wenn sein Gegner auch der dummste Mönch ist, den je ein Kloster
gemästet hat, der arme Teufel dennoch den kürzern ziehen muß. Die Altäre sind
mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch
in der ganzen Kirche. Abends sahen wir eine große Procession, wo alle Priester
aus der ganzen Stadt, und die vornehmsten Einwohner in schwarzen Mänteln
zugegen waren. Der Verfolgungsgeist, den man der Römischen Kirche zuwei-

*) Portugiesische Elle.
Forſter’s Reiſe um die Welt

1775.
Julius.

San Miguiel iſt ebenfalls von betraͤchtlichen Umfange, ſehr frucht-
bar und volkreich, ſo daß ſich die Volksmenge auf 25000 Perſonen belaͤuft.
Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von
letzterem verarbeiten die Einwohner ſo viele grobe Leinewand, daß jaͤhrlich
drey Schifsladungen nach Braſilien geſchickt werden koͤnnen. Dieſe Leinewand
iſt ohngefaͤhr eine Elle breit, und die ſchlechteſte Sorte wird zu anderthalb Eng-
liſchen Schillingen oder etwa zehn Groſchen die Vara *) verkauſt, welches
allem Anſchein nach erſtaunlich theuer iſt. Der vornehmſte Ort in dieſer Inſel
iſt eine Stadt, die Ponte del Gada genannt wird.

Santa Maria iſt die Suͤd-Oeſtlichſte aller Azoren, und traͤgt vielen
Weizen. Der Einwohner ſind an 5000, worunter einige ſich mit Verfertigung
einer Art irdener Waare beſchaͤftigen, die in allen dieſen Inſeln abgeſetzt wird.
Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der Inſel gewachſenen
Holze erbaut.

Ich ſchmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine vollſtaͤndige
Beſchreibung der Azoren enthalten, dennoch den Leſern angenehm ſeyn werden,
indem dieſe, uns ſo nah gelegne Inſeln, wenig bekannt ſind, und ſelten von Eu-
ropaͤern beſucht werden.

Wir beſahen den Sonntag uͤber verſchiedne Kirchen, und begleiteten
unſern Capitain Nachmittags in die Kloͤſter. Jedes hat eine eigne Kirche,
wo wir gemeiniglich zwo einander gegenuͤber ſtehende Kanzeln gewahr wurden.
Es iſt hier zu gewiſſen Zeiten gewoͤhnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß
ſich zu vertheidigen geſtattet. Er beſteigt alſo die eine Kanzel, indem er von
der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man ſich wohl
vorſtellen, daß wenn ſein Gegner auch der dummſte Moͤnch iſt, den je ein Kloſter
gemaͤſtet hat, der arme Teufel dennoch den kuͤrzern ziehen muß. Die Altaͤre ſind
mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch
in der ganzen Kirche. Abends ſahen wir eine große Proceſſion, wo alle Prieſter
aus der ganzen Stadt, und die vornehmſten Einwohner in ſchwarzen Maͤnteln
zugegen waren. Der Verfolgungsgeiſt, den man der Roͤmiſchen Kirche zuwei-

*) Portugieſiſche Elle.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0480" n="462"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi> </fw><lb/>
        <note place="left">1775.<lb/>
Julius.</note>
        <p><hi rendition="#fr"><placeName>San Miguiel</placeName></hi> i&#x017F;t ebenfalls von betra&#x0364;chtlichen Umfange, &#x017F;ehr frucht-<lb/>
bar und volkreich, &#x017F;o daß &#x017F;ich die Volksmenge auf 25000 Per&#x017F;onen bela&#x0364;uft.<lb/>
Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von<lb/>
letzterem verarbeiten die Einwohner &#x017F;o viele grobe Leinewand, daß ja&#x0364;hrlich<lb/>
drey Schifsladungen nach <placeName>Bra&#x017F;ilien</placeName> ge&#x017F;chickt werden ko&#x0364;nnen. Die&#x017F;e Leinewand<lb/>
i&#x017F;t ohngefa&#x0364;hr eine Elle breit, und die &#x017F;chlechte&#x017F;te Sorte wird zu anderthalb Eng-<lb/>
li&#x017F;chen Schillingen oder etwa zehn Gro&#x017F;chen die <hi rendition="#fr">Vara</hi> <note place="foot" n="*)">Portugie&#x017F;i&#x017F;che Elle.</note> verkau&#x017F;t, welches<lb/>
allem An&#x017F;chein nach er&#x017F;taunlich theuer i&#x017F;t. Der vornehm&#x017F;te Ort in die&#x017F;er In&#x017F;el<lb/>
i&#x017F;t eine Stadt, die <hi rendition="#aq"><placeName>Ponte del Gada</placeName></hi> genannt wird.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr"><placeName>Santa Maria</placeName></hi> i&#x017F;t die Su&#x0364;d-Oe&#x017F;tlich&#x017F;te aller <placeName>Azoren</placeName>, und tra&#x0364;gt vielen<lb/>
Weizen. Der Einwohner &#x017F;ind an 5000, worunter einige &#x017F;ich mit Verfertigung<lb/>
einer Art irdener Waare be&#x017F;cha&#x0364;ftigen, die in allen die&#x017F;en In&#x017F;eln abge&#x017F;etzt wird.<lb/>
Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der In&#x017F;el gewach&#x017F;enen<lb/>
Holze erbaut.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;chmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine voll&#x017F;ta&#x0364;ndige<lb/>
Be&#x017F;chreibung der <placeName>Azoren</placeName> enthalten, dennoch den Le&#x017F;ern angenehm &#x017F;eyn werden,<lb/>
indem die&#x017F;e, uns &#x017F;o nah gelegne In&#x017F;eln, wenig bekannt &#x017F;ind, und &#x017F;elten von Eu-<lb/>
ropa&#x0364;ern be&#x017F;ucht werden.</p><lb/>
        <p>Wir be&#x017F;ahen den Sonntag u&#x0364;ber ver&#x017F;chiedne Kirchen, und begleiteten<lb/>
un&#x017F;ern Capitain Nachmittags in die Klo&#x0364;&#x017F;ter. Jedes hat eine eigne Kirche,<lb/>
wo wir gemeiniglich zwo einander gegenu&#x0364;ber &#x017F;tehende Kanzeln gewahr wurden.<lb/>
Es i&#x017F;t hier zu gewi&#x017F;&#x017F;en Zeiten gewo&#x0364;hnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß<lb/>
&#x017F;ich zu vertheidigen ge&#x017F;tattet. Er be&#x017F;teigt al&#x017F;o die eine Kanzel, indem er von<lb/>
der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man &#x017F;ich wohl<lb/>
vor&#x017F;tellen, daß wenn &#x017F;ein Gegner auch der dumm&#x017F;te Mo&#x0364;nch i&#x017F;t, den je ein Klo&#x017F;ter<lb/>
gema&#x0364;&#x017F;tet hat, der arme Teufel dennoch den ku&#x0364;rzern ziehen muß. Die Alta&#x0364;re &#x017F;ind<lb/>
mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch<lb/>
in der ganzen Kirche. Abends &#x017F;ahen wir eine große Proce&#x017F;&#x017F;ion, wo alle Prie&#x017F;ter<lb/>
aus der ganzen Stadt, und die vornehm&#x017F;ten Einwohner in &#x017F;chwarzen Ma&#x0364;nteln<lb/>
zugegen waren. Der Verfolgungsgei&#x017F;t, den man der Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Kirche zuwei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[462/0480] Forſter’s Reiſe um die Welt San Miguiel iſt ebenfalls von betraͤchtlichen Umfange, ſehr frucht- bar und volkreich, ſo daß ſich die Volksmenge auf 25000 Perſonen belaͤuft. Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von letzterem verarbeiten die Einwohner ſo viele grobe Leinewand, daß jaͤhrlich drey Schifsladungen nach Braſilien geſchickt werden koͤnnen. Dieſe Leinewand iſt ohngefaͤhr eine Elle breit, und die ſchlechteſte Sorte wird zu anderthalb Eng- liſchen Schillingen oder etwa zehn Groſchen die Vara *) verkauſt, welches allem Anſchein nach erſtaunlich theuer iſt. Der vornehmſte Ort in dieſer Inſel iſt eine Stadt, die Ponte del Gada genannt wird. Santa Maria iſt die Suͤd-Oeſtlichſte aller Azoren, und traͤgt vielen Weizen. Der Einwohner ſind an 5000, worunter einige ſich mit Verfertigung einer Art irdener Waare beſchaͤftigen, die in allen dieſen Inſeln abgeſetzt wird. Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der Inſel gewachſenen Holze erbaut. Ich ſchmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine vollſtaͤndige Beſchreibung der Azoren enthalten, dennoch den Leſern angenehm ſeyn werden, indem dieſe, uns ſo nah gelegne Inſeln, wenig bekannt ſind, und ſelten von Eu- ropaͤern beſucht werden. Wir beſahen den Sonntag uͤber verſchiedne Kirchen, und begleiteten unſern Capitain Nachmittags in die Kloͤſter. Jedes hat eine eigne Kirche, wo wir gemeiniglich zwo einander gegenuͤber ſtehende Kanzeln gewahr wurden. Es iſt hier zu gewiſſen Zeiten gewoͤhnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß ſich zu vertheidigen geſtattet. Er beſteigt alſo die eine Kanzel, indem er von der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man ſich wohl vorſtellen, daß wenn ſein Gegner auch der dummſte Moͤnch iſt, den je ein Kloſter gemaͤſtet hat, der arme Teufel dennoch den kuͤrzern ziehen muß. Die Altaͤre ſind mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch in der ganzen Kirche. Abends ſahen wir eine große Proceſſion, wo alle Prieſter aus der ganzen Stadt, und die vornehmſten Einwohner in ſchwarzen Maͤnteln zugegen waren. Der Verfolgungsgeiſt, den man der Roͤmiſchen Kirche zuwei- *) Portugieſiſche Elle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/480
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/480>, abgerufen am 27.11.2024.