Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Zweites Bändchen. Berlin, 1810.so wenig theilen können. Ist denn der Mensch wie eine Pflanze an den heimathlichen Boden, wie an den eignen Leib gebunden? Und ist nicht ein freies, höheres Verhältniß zum Leben, wie ein zweiter Leib zu betrachten, den er sich mit Wahl und Besonnenheit selbst schafft, durch den er zur Welt gehört und sich ihr kund giebt? Warum streckt uns denn das Vaterland seine tausend Arme nach, und strebt uns in seine Mitte zurückzuziehen. Luise war in ihren Träumen verloren. Sie hatte einen großen Theil dieser Worte überhört, und fühlte nur des Obristen Hand, welche schmeichelnd die ihrige ergriffen hatte. Ihr Herz war voll der innigsten Liebe, und in dem Sinne sagte sie: gewiß, es ist überall schön, wo uns auch die Natur ein getrübtes Antlitz zuwendet. Es soll bald wieder heitrer werden, entgegnete der Obrist, der schon früher einen Nebenweg eingeschlagen, und nun über einzelne Hügel, welche die nahe Ebne verbarg, aus dem Walde bog. Eine breite, spiegelglatte Eisfläche lag hier vor ihnen, hinter welcher sich das fürstliche Schloß mit seinen vergoldeten Dächern und weißen Säulen feenartig erhob. Heller Lichtglanz war über die ganze Gegend ausgegossen, die in so magischer Beleuchtung das überraschte Auge blendete. Wie herrlich! rief Luise, indem sie aufstand und mit der einen Hand so wenig theilen können. Ist denn der Mensch wie eine Pflanze an den heimathlichen Boden, wie an den eignen Leib gebunden? Und ist nicht ein freies, höheres Verhältniß zum Leben, wie ein zweiter Leib zu betrachten, den er sich mit Wahl und Besonnenheit selbst schafft, durch den er zur Welt gehört und sich ihr kund giebt? Warum streckt uns denn das Vaterland seine tausend Arme nach, und strebt uns in seine Mitte zurückzuziehen. Luise war in ihren Träumen verloren. Sie hatte einen großen Theil dieser Worte überhört, und fühlte nur des Obristen Hand, welche schmeichelnd die ihrige ergriffen hatte. Ihr Herz war voll der innigsten Liebe, und in dem Sinne sagte sie: gewiß, es ist überall schön, wo uns auch die Natur ein getrübtes Antlitz zuwendet. Es soll bald wieder heitrer werden, entgegnete der Obrist, der schon früher einen Nebenweg eingeschlagen, und nun über einzelne Hügel, welche die nahe Ebne verbarg, aus dem Walde bog. Eine breite, spiegelglatte Eisfläche lag hier vor ihnen, hinter welcher sich das fürstliche Schloß mit seinen vergoldeten Dächern und weißen Säulen feenartig erhob. Heller Lichtglanz war über die ganze Gegend ausgegossen, die in so magischer Beleuchtung das überraschte Auge blendete. Wie herrlich! rief Luise, indem sie aufstand und mit der einen Hand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0126" n="124"/> so wenig theilen können. Ist denn der Mensch wie eine Pflanze an den heimathlichen Boden, wie an den eignen Leib gebunden? Und ist nicht ein freies, höheres Verhältniß zum Leben, wie ein zweiter Leib zu betrachten, den er sich mit Wahl und Besonnenheit selbst schafft, durch den er zur Welt gehört und sich ihr kund giebt? Warum streckt uns denn das Vaterland seine tausend Arme nach, und strebt uns in seine Mitte zurückzuziehen.</p> <p>Luise war in ihren Träumen verloren. Sie hatte einen großen Theil dieser Worte überhört, und fühlte nur des Obristen Hand, welche schmeichelnd die ihrige ergriffen hatte. Ihr Herz war voll der innigsten Liebe, und in dem Sinne sagte sie: gewiß, es ist überall schön, wo uns auch die Natur ein getrübtes Antlitz zuwendet.</p> <p>Es soll bald wieder heitrer werden, entgegnete der Obrist, der schon früher einen Nebenweg eingeschlagen, und nun über einzelne Hügel, welche die nahe Ebne verbarg, aus dem Walde bog. Eine breite, spiegelglatte Eisfläche lag hier vor ihnen, hinter welcher sich das fürstliche Schloß mit seinen vergoldeten Dächern und weißen Säulen feenartig erhob. Heller Lichtglanz war über die ganze Gegend ausgegossen, die in so magischer Beleuchtung das überraschte Auge blendete. Wie herrlich! rief Luise, indem sie aufstand und mit der einen Hand </p> </div> </body> </text> </TEI> [124/0126]
so wenig theilen können. Ist denn der Mensch wie eine Pflanze an den heimathlichen Boden, wie an den eignen Leib gebunden? Und ist nicht ein freies, höheres Verhältniß zum Leben, wie ein zweiter Leib zu betrachten, den er sich mit Wahl und Besonnenheit selbst schafft, durch den er zur Welt gehört und sich ihr kund giebt? Warum streckt uns denn das Vaterland seine tausend Arme nach, und strebt uns in seine Mitte zurückzuziehen.
Luise war in ihren Träumen verloren. Sie hatte einen großen Theil dieser Worte überhört, und fühlte nur des Obristen Hand, welche schmeichelnd die ihrige ergriffen hatte. Ihr Herz war voll der innigsten Liebe, und in dem Sinne sagte sie: gewiß, es ist überall schön, wo uns auch die Natur ein getrübtes Antlitz zuwendet.
Es soll bald wieder heitrer werden, entgegnete der Obrist, der schon früher einen Nebenweg eingeschlagen, und nun über einzelne Hügel, welche die nahe Ebne verbarg, aus dem Walde bog. Eine breite, spiegelglatte Eisfläche lag hier vor ihnen, hinter welcher sich das fürstliche Schloß mit seinen vergoldeten Dächern und weißen Säulen feenartig erhob. Heller Lichtglanz war über die ganze Gegend ausgegossen, die in so magischer Beleuchtung das überraschte Auge blendete. Wie herrlich! rief Luise, indem sie aufstand und mit der einen Hand
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