den unsichern Schritt der Tochter auf diesen Boden verlocke, und das weiche Herz den Eindrücken entwürdigender Eitelkeit blosstelle. Wäre es so, welch' ein Quell von Schmerz für Diejenigen, deren Verhältniß sie an den verrufenen Schauplatz fesselt! Und was ge- winnt man durch die ermüdende Warnung gegen eine Gefahr, der unzählige blosgestellt bleiben müssen? Mich dünkt es viel wohl- thätiger, dieser Gefahr einmal dreist in's Auge zu sehen, und dem Wahne ein Ende zu machen, als sei es hinreichend, sie zu fliehen, um ihr zu entgehen. Wie viele neh- men die unzugängliche Beruhigung mit auf die Flucht, siegreich aus dem Kampf her- vorgegangen zu sein, wenn sie gar noch nicht einmal wissen, wo der Feind aufgestellt ist? Während sie vor sich und Andern groß thun, sich mit ihrer Selbstbeherrschung Wun- der viel wissen, hält die Eitelkeit so gut Schritt mit ihnen, daß sie sie in ihrem engern Asyl eben wie im Theater, auf Pro- menaden, Bällen und Maskeraden begleitet. Nein, es wäre in der That eben so unbillig
den unſichern Schritt der Tochter auf dieſen Boden verlocke, und das weiche Herz den Eindruͤcken entwuͤrdigender Eitelkeit blosſtelle. Waͤre es ſo, welch’ ein Quell von Schmerz fuͤr Diejenigen, deren Verhaͤltniß ſie an den verrufenen Schauplatz feſſelt! Und was ge- winnt man durch die ermuͤdende Warnung gegen eine Gefahr, der unzaͤhlige blosgeſtellt bleiben muͤſſen? Mich duͤnkt es viel wohl- thaͤtiger, dieſer Gefahr einmal dreiſt in’s Auge zu ſehen, und dem Wahne ein Ende zu machen, als ſei es hinreichend, ſie zu fliehen, um ihr zu entgehen. Wie viele neh- men die unzugaͤngliche Beruhigung mit auf die Flucht, ſiegreich aus dem Kampf her- vorgegangen zu ſein, wenn ſie gar noch nicht einmal wiſſen, wo der Feind aufgeſtellt iſt? Waͤhrend ſie vor ſich und Andern groß thun, ſich mit ihrer Selbſtbeherrſchung Wun- der viel wiſſen, haͤlt die Eitelkeit ſo gut Schritt mit ihnen, daß ſie ſie in ihrem engern Aſyl eben wie im Theater, auf Pro- menaden, Baͤllen und Maskeraden begleitet. Nein, es waͤre in der That eben ſo unbillig
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den unſichern Schritt der Tochter auf dieſen
Boden verlocke, und das weiche Herz den
Eindruͤcken entwuͤrdigender Eitelkeit blosſtelle.
Waͤre es ſo, welch’ ein Quell von Schmerz
fuͤr Diejenigen, deren Verhaͤltniß ſie an den
verrufenen Schauplatz feſſelt! Und was ge-
winnt man durch die ermuͤdende Warnung
gegen eine Gefahr, der unzaͤhlige blosgeſtellt
bleiben muͤſſen? Mich duͤnkt es viel wohl-
thaͤtiger, dieſer Gefahr einmal dreiſt in’s
Auge zu ſehen, und dem Wahne ein Ende
zu machen, als ſei es hinreichend, ſie zu
fliehen, um ihr zu entgehen. Wie viele neh-
men die unzugaͤngliche Beruhigung mit auf
die Flucht, ſiegreich aus dem Kampf her-
vorgegangen zu ſein, wenn ſie gar noch
nicht einmal wiſſen, wo der Feind aufgeſtellt
iſt? Waͤhrend ſie vor ſich und Andern groß
thun, ſich mit ihrer Selbſtbeherrſchung Wun-
der viel wiſſen, haͤlt die Eitelkeit ſo gut
Schritt mit ihnen, daß ſie ſie in ihrem
engern Aſyl eben wie im Theater, auf Pro-
menaden, Baͤllen und Maskeraden begleitet.
Nein, es waͤre in der That eben ſo unbillig
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Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/16>, abgerufen am 21.11.2024.
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