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Fouqué, Caroline de La Motte-: Ueber deutsche Geselligkeit. Berlin, 1814.

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und gereift, ein Spiegel erweiterter Jndividualität,
sie würde sich in ihrer Selbstständigkeit vor jedem
dreisten Angriffe zu behaupten wissen. So aber
schwebt sie offenbar zwischen zwei Sphären und
stört durch loses Schwanken die objective Wahr-
nehmung, die, bei halbem Erkennen, den Verstand
an einseitigen Urtheilen abmühet.

Es ist natürlich, daß die mannigfachen Ele-
mente eines reichen Daseyns in gemischter Lebens-
regung zu ihrer Wurzel zurückfließen, und da in
einer Art von Streit und Widerspruch gegen ein-
ander aufstehn, bis sie das stille Bett gemeinsamen
Ursprungs versöhnt und beruhigt empfängt. Deutsch-
land als der Heerd und Brennpunkt Europäischer
Bildung kann daher keine Chinesische Abgeschlos-
senheit behaupten wollen. Wir werden immer in
Mitten eines gewaltsamen Conflicts von dem Ver-
schiedenartigsten berührt und bewegt werden. Gleich-
wohl sollen sich diese Reibungen nicht in Neben-
schöpfungen zersplittern, sondern die Gluth erwei-
tern und ein helleres Licht nach allen Richtungen
verbreiten. Nicht dies und jenes wollen wir in

und gereift, ein Spiegel erweiterter Jndividualitaͤt,
ſie wuͤrde ſich in ihrer Selbſtſtaͤndigkeit vor jedem
dreiſten Angriffe zu behaupten wiſſen. So aber
ſchwebt ſie offenbar zwiſchen zwei Sphaͤren und
ſtoͤrt durch loſes Schwanken die objective Wahr-
nehmung, die, bei halbem Erkennen, den Verſtand
an einſeitigen Urtheilen abmuͤhet.

Es iſt natuͤrlich, daß die mannigfachen Ele-
mente eines reichen Daſeyns in gemiſchter Lebens-
regung zu ihrer Wurzel zuruͤckfließen, und da in
einer Art von Streit und Widerſpruch gegen ein-
ander aufſtehn, bis ſie das ſtille Bett gemeinſamen
Urſprungs verſoͤhnt und beruhigt empfaͤngt. Deutſch-
land als der Heerd und Brennpunkt Europaͤiſcher
Bildung kann daher keine Chineſiſche Abgeſchloſ-
ſenheit behaupten wollen. Wir werden immer in
Mitten eines gewaltſamen Conflicts von dem Ver-
ſchiedenartigſten beruͤhrt und bewegt werden. Gleich-
wohl ſollen ſich dieſe Reibungen nicht in Neben-
ſchoͤpfungen zerſplittern, ſondern die Gluth erwei-
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[26/0028] und gereift, ein Spiegel erweiterter Jndividualitaͤt, ſie wuͤrde ſich in ihrer Selbſtſtaͤndigkeit vor jedem dreiſten Angriffe zu behaupten wiſſen. So aber ſchwebt ſie offenbar zwiſchen zwei Sphaͤren und ſtoͤrt durch loſes Schwanken die objective Wahr- nehmung, die, bei halbem Erkennen, den Verſtand an einſeitigen Urtheilen abmuͤhet. Es iſt natuͤrlich, daß die mannigfachen Ele- mente eines reichen Daſeyns in gemiſchter Lebens- regung zu ihrer Wurzel zuruͤckfließen, und da in einer Art von Streit und Widerſpruch gegen ein- ander aufſtehn, bis ſie das ſtille Bett gemeinſamen Urſprungs verſoͤhnt und beruhigt empfaͤngt. Deutſch- land als der Heerd und Brennpunkt Europaͤiſcher Bildung kann daher keine Chineſiſche Abgeſchloſ- ſenheit behaupten wollen. Wir werden immer in Mitten eines gewaltſamen Conflicts von dem Ver- ſchiedenartigſten beruͤhrt und bewegt werden. Gleich- wohl ſollen ſich dieſe Reibungen nicht in Neben- ſchoͤpfungen zerſplittern, ſondern die Gluth erwei- tern und ein helleres Licht nach allen Richtungen verbreiten. Nicht dies und jenes wollen wir in

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Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de La Motte-: Ueber deutsche Geselligkeit. Berlin, 1814, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_geselligkeit_1814/28>, abgerufen am 27.11.2024.