Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

es verstand? Oder hieß es, empfinden in jenem selig¬
sprechenden Sinne, den ich nicht verstand.

Ich brachte mich endlich mit Gewalt über den
zweifelhaften Spruch zur Ruhe, und es war das das
erste Mal, daß ich eine Entsagung geübt habe, die ich
mir im späteren Leben zum Gesetz stellte. Ich han¬
delte nach meinem natürlichen Willen, mit welchem
meine Erziehung, treu dem Wahrspruch unseres Hau¬
ses in Einklang stand und ich zweifelte nicht, daß es
gut war, wenn ich "in Recht und Ehren" handelte.

Spät erst, in dem Alter, wo Andere graue Haare
tragen, ist jener zweite Wahrspruch für das Leben in
meiner Seele wieder aufgeklungen, und durch eine un¬
scheinbare Fügung der Schall des Räthsels mir zu
einem Sinn geworden. Wohl bin ich heute noch keine
von denen, die der Heiland schon hinnieden selig preist.
Wenn wir aber eines Tages jenseit anfangen sollten,
da, wo wir diesseit aufgehört, so getröste ich mich der
Hoffnung, dem Vaterreiche um eine Wegstunde näher
gerückt zu sein.


es verſtand? Oder hieß es, empfinden in jenem ſelig¬
ſprechenden Sinne, den ich nicht verſtand.

Ich brachte mich endlich mit Gewalt über den
zweifelhaften Spruch zur Ruhe, und es war das das
erſte Mal, daß ich eine Entſagung geübt habe, die ich
mir im ſpäteren Leben zum Geſetz ſtellte. Ich han¬
delte nach meinem natürlichen Willen, mit welchem
meine Erziehung, treu dem Wahrſpruch unſeres Hau¬
ſes in Einklang ſtand und ich zweifelte nicht, daß es
gut war, wenn ich „in Recht und Ehren“ handelte.

Spät erſt, in dem Alter, wo Andere graue Haare
tragen, iſt jener zweite Wahrſpruch für das Leben in
meiner Seele wieder aufgeklungen, und durch eine un¬
ſcheinbare Fügung der Schall des Räthſels mir zu
einem Sinn geworden. Wohl bin ich heute noch keine
von denen, die der Heiland ſchon hinnieden ſelig preiſt.
Wenn wir aber eines Tages jenſeit anfangen ſollten,
da, wo wir dieſſeit aufgehört, ſo getröſte ich mich der
Hoffnung, dem Vaterreiche um eine Wegſtunde näher
gerückt zu ſein.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0118" n="111"/>
es ver&#x017F;tand? Oder hieß es, empfinden in jenem &#x017F;elig¬<lb/>
&#x017F;prechenden Sinne, den ich <hi rendition="#g">nicht</hi> ver&#x017F;tand.</p><lb/>
        <p>Ich brachte mich endlich mit Gewalt über den<lb/>
zweifelhaften Spruch zur Ruhe, und es war das das<lb/>
er&#x017F;te Mal, daß ich eine Ent&#x017F;agung geübt habe, die ich<lb/>
mir im &#x017F;päteren Leben zum Ge&#x017F;etz &#x017F;tellte. Ich han¬<lb/>
delte nach meinem natürlichen Willen, mit welchem<lb/>
meine Erziehung, treu dem Wahr&#x017F;pruch un&#x017F;eres Hau¬<lb/>
&#x017F;es in Einklang &#x017F;tand und ich zweifelte nicht, daß es<lb/>
gut war, wenn ich &#x201E;in Recht und Ehren&#x201C; handelte.</p><lb/>
        <p>Spät er&#x017F;t, in dem Alter, wo Andere graue Haare<lb/>
tragen, i&#x017F;t jener zweite Wahr&#x017F;pruch für das Leben in<lb/>
meiner Seele wieder aufgeklungen, und durch eine un¬<lb/>
&#x017F;cheinbare Fügung der Schall des Räth&#x017F;els mir zu<lb/>
einem Sinn geworden. Wohl bin ich heute noch keine<lb/>
von denen, die der Heiland &#x017F;chon hinnieden &#x017F;elig prei&#x017F;t.<lb/>
Wenn wir aber eines Tages jen&#x017F;eit anfangen &#x017F;ollten,<lb/>
da, wo wir die&#x017F;&#x017F;eit aufgehört, &#x017F;o getrö&#x017F;te ich mich der<lb/>
Hoffnung, dem Vaterreiche um eine Weg&#x017F;tunde näher<lb/>
gerückt zu &#x017F;ein.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0118] es verſtand? Oder hieß es, empfinden in jenem ſelig¬ ſprechenden Sinne, den ich nicht verſtand. Ich brachte mich endlich mit Gewalt über den zweifelhaften Spruch zur Ruhe, und es war das das erſte Mal, daß ich eine Entſagung geübt habe, die ich mir im ſpäteren Leben zum Geſetz ſtellte. Ich han¬ delte nach meinem natürlichen Willen, mit welchem meine Erziehung, treu dem Wahrſpruch unſeres Hau¬ ſes in Einklang ſtand und ich zweifelte nicht, daß es gut war, wenn ich „in Recht und Ehren“ handelte. Spät erſt, in dem Alter, wo Andere graue Haare tragen, iſt jener zweite Wahrſpruch für das Leben in meiner Seele wieder aufgeklungen, und durch eine un¬ ſcheinbare Fügung der Schall des Räthſels mir zu einem Sinn geworden. Wohl bin ich heute noch keine von denen, die der Heiland ſchon hinnieden ſelig preiſt. Wenn wir aber eines Tages jenſeit anfangen ſollten, da, wo wir dieſſeit aufgehört, ſo getröſte ich mich der Hoffnung, dem Vaterreiche um eine Wegſtunde näher gerückt zu ſein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/118
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/118>, abgerufen am 21.11.2024.