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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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Greifen, Dehnen, Spannen zu einem Federwerk aus¬
gebildet; denkt Euch den Mann jederzeit wie aus dem
Ei geschält, kein Fältchen in dem blendenden Jabot,
kein Stäubchen auf dem unveränderlich hechtgrauen
Habit, kein Härchen sich sträubend aus dem mageren,
schwarzgebänderten Zopf, kein Bartstoppelchen am
Kinn -- ob versagt von der mütterlichen Natur, oder
getilgt durch die väterliche Kunst, wage ich nicht zu
unterscheiden -- und Ihr habt einen ungefähren Ab¬
riß unseres Menschen für sich.

Er schien niemals in Eile und war immer in
Bewegung. Kaum jemals habe ich ihn sitzen sehen
und fünf Stunden nächtlicher Rast genügten ihm schon
in der schlafbedürftigen Knabenzeit. Noch nach Mitter¬
nacht bemerkte ich den Reflex seiner Lampe auf den
blanken Becken zwischen unserem Fensterstock und bei
Tagesgrauen hörte ich ihn schon wieder mit leisen
Katzentritten die Treppe hinunterschleichen und das
Haus verlassen. Daß er Nahrung zu sich nahm, muß
wohl vorausgesetzt werden; gesehen habe ich es niemals.
Vielleicht im Gehen aus der Tasche, oder stehenden
Fußes beim Nachbar Kellermeister, der auch seinen
Vater beköstigte. Keinenfalls regelmäßig und dessen
könnt Ihr versichert sein, daß "dieser Mensch für sich"

Greifen, Dehnen, Spannen zu einem Federwerk aus¬
gebildet; denkt Euch den Mann jederzeit wie aus dem
Ei geſchält, kein Fältchen in dem blendenden Jabot,
kein Stäubchen auf dem unveränderlich hechtgrauen
Habit, kein Härchen ſich ſträubend aus dem mageren,
ſchwarzgebänderten Zopf, kein Bartſtoppelchen am
Kinn — ob verſagt von der mütterlichen Natur, oder
getilgt durch die väterliche Kunſt, wage ich nicht zu
unterſcheiden — und Ihr habt einen ungefähren Ab¬
riß unſeres Menſchen für ſich.

Er ſchien niemals in Eile und war immer in
Bewegung. Kaum jemals habe ich ihn ſitzen ſehen
und fünf Stunden nächtlicher Raſt genügten ihm ſchon
in der ſchlafbedürftigen Knabenzeit. Noch nach Mitter¬
nacht bemerkte ich den Reflex ſeiner Lampe auf den
blanken Becken zwiſchen unſerem Fenſterſtock und bei
Tagesgrauen hörte ich ihn ſchon wieder mit leiſen
Katzentritten die Treppe hinunterſchleichen und das
Haus verlaſſen. Daß er Nahrung zu ſich nahm, muß
wohl vorausgeſetzt werden; geſehen habe ich es niemals.
Vielleicht im Gehen aus der Taſche, oder ſtehenden
Fußes beim Nachbar Kellermeiſter, der auch ſeinen
Vater beköſtigte. Keinenfalls regelmäßig und deſſen
könnt Ihr verſichert ſein, daß „dieſer Menſch für ſich“

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[119/0126] Greifen, Dehnen, Spannen zu einem Federwerk aus¬ gebildet; denkt Euch den Mann jederzeit wie aus dem Ei geſchält, kein Fältchen in dem blendenden Jabot, kein Stäubchen auf dem unveränderlich hechtgrauen Habit, kein Härchen ſich ſträubend aus dem mageren, ſchwarzgebänderten Zopf, kein Bartſtoppelchen am Kinn — ob verſagt von der mütterlichen Natur, oder getilgt durch die väterliche Kunſt, wage ich nicht zu unterſcheiden — und Ihr habt einen ungefähren Ab¬ riß unſeres Menſchen für ſich. Er ſchien niemals in Eile und war immer in Bewegung. Kaum jemals habe ich ihn ſitzen ſehen und fünf Stunden nächtlicher Raſt genügten ihm ſchon in der ſchlafbedürftigen Knabenzeit. Noch nach Mitter¬ nacht bemerkte ich den Reflex ſeiner Lampe auf den blanken Becken zwiſchen unſerem Fenſterſtock und bei Tagesgrauen hörte ich ihn ſchon wieder mit leiſen Katzentritten die Treppe hinunterſchleichen und das Haus verlaſſen. Daß er Nahrung zu ſich nahm, muß wohl vorausgeſetzt werden; geſehen habe ich es niemals. Vielleicht im Gehen aus der Taſche, oder ſtehenden Fußes beim Nachbar Kellermeiſter, der auch ſeinen Vater beköſtigte. Keinenfalls regelmäßig und deſſen könnt Ihr verſichert ſein, daß „dieſer Menſch für ſich“

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/126>, abgerufen am 21.11.2024.