nicht einmal in seinem Leben mit Behagen ein Mahl gehalten, oder einen Schoppen geleert haben wird. Er rauchte nicht, er schnupfte nicht wie seines Gleichen von der Ekel überwindenden Zunft; er kannte kein Spiel, keinen Tanz, kein Steckenpferd, keine jugendliche Plauderei; er hatte keinen Freund. Seine Rede war rasch, kurz, ein wenig durch die Fistel; mit möglicher Sparniß der Pronomina, hinter jedem Satze ein Punktum. "Preußisch" nannten wir diesen unlieb¬ samen Ductus, wiewohl Mosjö Per--se bis dahin ihn schwerlich aus eines Preußen Munde vernommen hatte. Er kam der Gegenrede zuvor und schnitt den Widerspruch harsch ab. Dennoch reizte er nicht, ver¬ letzte nicht. Sein Selbstbewußtsein imponirte, weil er nur über Gegenstände sprach, die er bemeistert hatte. Selber der Freifrau von Reckenburg kam es nicht bei, ihn "Er" wie seinen Vater und anders als "Herr" zu nennen, wenngleich er selber mit Titu¬ laturen geizig und merklich beflissen war, durch keiner¬ lei Zuvorkommenheit an die Manieren des Scheer¬ beckens zu erinnern.
Ich habe den erwachsenen Per--se geschildert. Aber so wie ich ihn geschildert, zeigte sich schon der kleine Bube, als er mit Vater Faber "auf Praxis"
nicht einmal in ſeinem Leben mit Behagen ein Mahl gehalten, oder einen Schoppen geleert haben wird. Er rauchte nicht, er ſchnupfte nicht wie ſeines Gleichen von der Ekel überwindenden Zunft; er kannte kein Spiel, keinen Tanz, kein Steckenpferd, keine jugendliche Plauderei; er hatte keinen Freund. Seine Rede war raſch, kurz, ein wenig durch die Fiſtel; mit möglicher Sparniß der Pronomina, hinter jedem Satze ein Punktum. „Preußiſch“ nannten wir dieſen unlieb¬ ſamen Ductus, wiewohl Mosjö Per—ſé bis dahin ihn ſchwerlich aus eines Preußen Munde vernommen hatte. Er kam der Gegenrede zuvor und ſchnitt den Widerſpruch harſch ab. Dennoch reizte er nicht, ver¬ letzte nicht. Sein Selbſtbewußtſein imponirte, weil er nur über Gegenſtände ſprach, die er bemeiſtert hatte. Selber der Freifrau von Reckenburg kam es nicht bei, ihn „Er“ wie ſeinen Vater und anders als „Herr“ zu nennen, wenngleich er ſelber mit Titu¬ laturen geizig und merklich befliſſen war, durch keiner¬ lei Zuvorkommenheit an die Manieren des Scheer¬ beckens zu erinnern.
Ich habe den erwachſenen Per—ſé geſchildert. Aber ſo wie ich ihn geſchildert, zeigte ſich ſchon der kleine Bube, als er mit Vater Faber „auf Praxis“
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nicht einmal in ſeinem Leben mit Behagen ein Mahl
gehalten, oder einen Schoppen geleert haben wird.
Er rauchte nicht, er ſchnupfte nicht wie ſeines Gleichen
von der Ekel überwindenden Zunft; er kannte kein
Spiel, keinen Tanz, kein Steckenpferd, keine jugendliche
Plauderei; er hatte keinen Freund. Seine Rede war
raſch, kurz, ein wenig durch die Fiſtel; mit möglicher
Sparniß der Pronomina, hinter jedem Satze ein
Punktum. „Preußiſch“ nannten wir dieſen unlieb¬
ſamen Ductus, wiewohl Mosjö Per—ſé bis dahin
ihn ſchwerlich aus eines Preußen Munde vernommen
hatte. Er kam der Gegenrede zuvor und ſchnitt den
Widerſpruch harſch ab. Dennoch reizte er nicht, ver¬
letzte nicht. Sein Selbſtbewußtſein imponirte, weil
er nur über Gegenſtände ſprach, die er bemeiſtert
hatte. Selber der Freifrau von Reckenburg kam es
nicht bei, ihn „Er“ wie ſeinen Vater und anders als
„Herr“ zu nennen, wenngleich er ſelber mit Titu¬
laturen geizig und merklich befliſſen war, durch keiner¬
lei Zuvorkommenheit an die Manieren des Scheer¬
beckens zu erinnern.
Ich habe den erwachſenen Per—ſé geſchildert.
Aber ſo wie ich ihn geſchildert, zeigte ſich ſchon der
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/127>, abgerufen am 15.05.2024.
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