Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

ihren Mann auf Erden soll das Weib fürchten, lie¬
ben und ihm vertrauen."

Dorothee sah mich mit ihren großen, himmelblauen
Augen an, wie damals am Ostermorgen, als sie mir
mit einem Worte den Sinn des Apostelspruchs er¬
klärt hatte. "Ihn fürchten," sagte sie leise, "nicht,
sich vor ihm fürchten. Fürchten Sie sich vor Gott,
Fräulein Hardine?"

"Aber warum fürchtest Du Dich vor dem Fa¬
ber? Er ist ein außergewöhnlicher Mensch, anders als
alle anderen -- --"

"Eben darum," unterbrach sie mich lebhaft. "Ich
will keinen Menschen für sich; ich will einen Mann
wie alle anderen Leute; Einen wie ich selber bin, nur
um vieles klüger und besser."

Das Kind hatte wieder einmal das Rechte ge¬
troffen. Damals zwar schüttelte ich den Kopf. Zehn
Jahre später war ich zu der nämlichen Weisheit ge¬
langt. Menschen für sich geben nicht Menschen zu
Zweien. Ehe und Haus vertragen keine Originale.

"Nein, nein, Fräulein Hardine," wiederholte Do¬
rothee. "Er denkt nicht an mich, und Gott sei ge¬
dankt dafür, denn mir graut vor ihm."

Die Sache war damit abgethan und mein heim¬

Louise v. Francois, Die letzte Reckenburgerin. I. 9

ihren Mann auf Erden ſoll das Weib fürchten, lie¬
ben und ihm vertrauen.“

Dorothee ſah mich mit ihren großen, himmelblauen
Augen an, wie damals am Oſtermorgen, als ſie mir
mit einem Worte den Sinn des Apoſtelſpruchs er¬
klärt hatte. „Ihn fürchten,“ ſagte ſie leiſe, „nicht,
ſich vor ihm fürchten. Fürchten Sie ſich vor Gott,
Fräulein Hardine?“

„Aber warum fürchteſt Du Dich vor dem Fa¬
ber? Er iſt ein außergewöhnlicher Menſch, anders als
alle anderen — —“

„Eben darum,“ unterbrach ſie mich lebhaft. „Ich
will keinen Menſchen für ſich; ich will einen Mann
wie alle anderen Leute; Einen wie ich ſelber bin, nur
um vieles klüger und beſſer.“

Das Kind hatte wieder einmal das Rechte ge¬
troffen. Damals zwar ſchüttelte ich den Kopf. Zehn
Jahre ſpäter war ich zu der nämlichen Weisheit ge¬
langt. Menſchen für ſich geben nicht Menſchen zu
Zweien. Ehe und Haus vertragen keine Originale.

„Nein, nein, Fräulein Hardine,“ wiederholte Do¬
rothee. „Er denkt nicht an mich, und Gott ſei ge¬
dankt dafür, denn mir graut vor ihm.“

Die Sache war damit abgethan und mein heim¬

Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0136" n="129"/>
ihren Mann auf Erden &#x017F;oll das Weib fürchten, lie¬<lb/>
ben und ihm vertrauen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Dorothee &#x017F;ah mich mit ihren großen, himmelblauen<lb/>
Augen an, wie damals am O&#x017F;termorgen, als &#x017F;ie mir<lb/>
mit <hi rendition="#g">einem</hi> Worte den Sinn des Apo&#x017F;tel&#x017F;pruchs er¬<lb/>
klärt hatte. &#x201E;<hi rendition="#g">Ihn</hi> fürchten,&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie lei&#x017F;e, &#x201E;nicht,<lb/>
&#x017F;ich <hi rendition="#g">vor</hi> ihm fürchten. Fürchten Sie &#x017F;ich <hi rendition="#g">vor</hi> Gott,<lb/>
Fräulein Hardine?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber warum fürchte&#x017F;t Du Dich vor dem Fa¬<lb/>
ber? Er i&#x017F;t ein außergewöhnlicher Men&#x017F;ch, anders als<lb/>
alle anderen &#x2014; &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eben darum,&#x201C; unterbrach &#x017F;ie mich lebhaft. &#x201E;Ich<lb/>
will keinen Men&#x017F;chen für &#x017F;ich; ich will einen Mann<lb/>
wie alle anderen Leute; Einen wie ich &#x017F;elber bin, nur<lb/>
um vieles klüger und be&#x017F;&#x017F;er.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das Kind hatte wieder einmal das Rechte ge¬<lb/>
troffen. Damals zwar &#x017F;chüttelte ich den Kopf. Zehn<lb/>
Jahre &#x017F;päter war ich zu der nämlichen Weisheit ge¬<lb/>
langt. Men&#x017F;chen für &#x017F;ich geben nicht Men&#x017F;chen zu<lb/>
Zweien. Ehe und Haus vertragen keine Originale.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, nein, Fräulein Hardine,&#x201C; wiederholte Do¬<lb/>
rothee. &#x201E;Er denkt nicht an mich, und Gott &#x017F;ei ge¬<lb/>
dankt dafür, denn mir graut vor ihm.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Sache war damit abgethan und mein heim¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Loui&#x017F;e v. Fran<hi rendition="#aq">ç</hi>ois, Die letzte Reckenburgerin. <hi rendition="#aq">I</hi>. 9<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0136] ihren Mann auf Erden ſoll das Weib fürchten, lie¬ ben und ihm vertrauen.“ Dorothee ſah mich mit ihren großen, himmelblauen Augen an, wie damals am Oſtermorgen, als ſie mir mit einem Worte den Sinn des Apoſtelſpruchs er¬ klärt hatte. „Ihn fürchten,“ ſagte ſie leiſe, „nicht, ſich vor ihm fürchten. Fürchten Sie ſich vor Gott, Fräulein Hardine?“ „Aber warum fürchteſt Du Dich vor dem Fa¬ ber? Er iſt ein außergewöhnlicher Menſch, anders als alle anderen — —“ „Eben darum,“ unterbrach ſie mich lebhaft. „Ich will keinen Menſchen für ſich; ich will einen Mann wie alle anderen Leute; Einen wie ich ſelber bin, nur um vieles klüger und beſſer.“ Das Kind hatte wieder einmal das Rechte ge¬ troffen. Damals zwar ſchüttelte ich den Kopf. Zehn Jahre ſpäter war ich zu der nämlichen Weisheit ge¬ langt. Menſchen für ſich geben nicht Menſchen zu Zweien. Ehe und Haus vertragen keine Originale. „Nein, nein, Fräulein Hardine,“ wiederholte Do¬ rothee. „Er denkt nicht an mich, und Gott ſei ge¬ dankt dafür, denn mir graut vor ihm.“ Die Sache war damit abgethan und mein heim¬ Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/136
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/136>, abgerufen am 21.11.2024.