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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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Wer aber mit den Hühnern zu Bette geht, muß
mit den Hühnern erwachen. Noch bei Sternenschein
war ich munter und bei Tagesgrauen in den Klei¬
dern. Was sollte ich vornehmen? Auf meine Bitte
öffnete der Leibwächter im Vestibüle mir die Thür der
Seitentreppe und ich stieg hinunter in den Garten.
Bald schweifte ich darüber hinaus in Wald und Flur
und sah zum erstenmale unter freiem Himmel die
Sonne aufgehen, klar und glanzvoll wie ein Gottes¬
auge.

Methodisches Spazierengehen war weder ein Be¬
dürfniß, noch eine Modesache meiner Zeit und würde
mir heute noch eine gar leidige Erholung dünken.
Aber so ungebunden schweifen durch Land und Volk;
beobachten die stille Arbeit der Natur, wenn auch die
letzte vor der winterlichen Rast, die umbildende der
Menschen, Kraft und Widerstand hier wie dort; --
und das Alles auf einem altüberkommenen, heimath¬
lichen Grund; -- es war ein großer Sinn, der mir
an diesem ersten Morgen in der Flur von Recken¬
burg aufgegangen ist, ein ursprünglicher, starker
Sinn, der mich lebenslang beglücken sollte.

Da gewahrte ich denn zum erstenmal die Be¬
wirthschaftung in einem bedeutenden Dominium; sah,

Wer aber mit den Hühnern zu Bette geht, muß
mit den Hühnern erwachen. Noch bei Sternenſchein
war ich munter und bei Tagesgrauen in den Klei¬
dern. Was ſollte ich vornehmen? Auf meine Bitte
öffnete der Leibwächter im Veſtibüle mir die Thür der
Seitentreppe und ich ſtieg hinunter in den Garten.
Bald ſchweifte ich darüber hinaus in Wald und Flur
und ſah zum erſtenmale unter freiem Himmel die
Sonne aufgehen, klar und glanzvoll wie ein Gottes¬
auge.

Methodiſches Spazierengehen war weder ein Be¬
dürfniß, noch eine Modeſache meiner Zeit und würde
mir heute noch eine gar leidige Erholung dünken.
Aber ſo ungebunden ſchweifen durch Land und Volk;
beobachten die ſtille Arbeit der Natur, wenn auch die
letzte vor der winterlichen Raſt, die umbildende der
Menſchen, Kraft und Widerſtand hier wie dort; —
und das Alles auf einem altüberkommenen, heimath¬
lichen Grund; — es war ein großer Sinn, der mir
an dieſem erſten Morgen in der Flur von Recken¬
burg aufgegangen iſt, ein urſprünglicher, ſtarker
Sinn, der mich lebenslang beglücken ſollte.

Da gewahrte ich denn zum erſtenmal die Be¬
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[190/0197] Wer aber mit den Hühnern zu Bette geht, muß mit den Hühnern erwachen. Noch bei Sternenſchein war ich munter und bei Tagesgrauen in den Klei¬ dern. Was ſollte ich vornehmen? Auf meine Bitte öffnete der Leibwächter im Veſtibüle mir die Thür der Seitentreppe und ich ſtieg hinunter in den Garten. Bald ſchweifte ich darüber hinaus in Wald und Flur und ſah zum erſtenmale unter freiem Himmel die Sonne aufgehen, klar und glanzvoll wie ein Gottes¬ auge. Methodiſches Spazierengehen war weder ein Be¬ dürfniß, noch eine Modeſache meiner Zeit und würde mir heute noch eine gar leidige Erholung dünken. Aber ſo ungebunden ſchweifen durch Land und Volk; beobachten die ſtille Arbeit der Natur, wenn auch die letzte vor der winterlichen Raſt, die umbildende der Menſchen, Kraft und Widerſtand hier wie dort; — und das Alles auf einem altüberkommenen, heimath¬ lichen Grund; — es war ein großer Sinn, der mir an dieſem erſten Morgen in der Flur von Recken¬ burg aufgegangen iſt, ein urſprünglicher, ſtarker Sinn, der mich lebenslang beglücken ſollte. Da gewahrte ich denn zum erſtenmal die Be¬ wirthſchaftung in einem bedeutenden Dominium; ſah,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/197>, abgerufen am 22.11.2024.