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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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Ich bekannte, daß ich noch garnichts gelesen,
mir die Freiheit zum Lesen aber längst gewünscht
habe.

"So benutze die Schloßbibliothek," versetzte die
Gräfin. "Sie enthält das Lesenswerthe bis um die
Mitte des Jahrhunderts. Ich selbst habe nicht den
Sinn mehr für Lectüre, auch nicht die Zeit. Schone
die Einbände und stelle die Bücher regelmäßig wieder
an ihren Platz. Die Ordnung darf nicht gestört wer¬
den. Der Catalog macht die Auswahl leicht. Stößt
Du auf Romane: Dir schaden sie nicht. Au con¬
traire
! Verlangst Du Neueres oder Deutsches, so
wende Dich an den Prediger. Persönlich kenne ich
ihn nicht, nach seinen Eingaben jedoch scheint er --
ein wenig Phantast, -- aber ein instruirter Mann.
Suche ihn auf, halte Dich an ihn. In Dir ist kein
Boden für philanthropische Phantasmen; zur Betrach¬
tung haben sie immerhin ihren Werth."

So war es denn auch noch ein zweiter Lebens¬
born, der sich in Reckenburg für mich erschloß, wenn
mir auch nicht die natürliche Befriedigung des ersten
aus ihm entgegenquoll.

In der Bibliothek fand ich, -- außer genealogi¬
schen und heraldischen Sammlungen, die ich unbe¬

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Ich bekannte, daß ich noch garnichts geleſen,
mir die Freiheit zum Leſen aber längſt gewünſcht
habe.

„So benutze die Schloßbibliothek,“ verſetzte die
Gräfin. „Sie enthält das Leſenswerthe bis um die
Mitte des Jahrhunderts. Ich ſelbſt habe nicht den
Sinn mehr für Lectüre, auch nicht die Zeit. Schone
die Einbände und ſtelle die Bücher regelmäßig wieder
an ihren Platz. Die Ordnung darf nicht geſtört wer¬
den. Der Catalog macht die Auswahl leicht. Stößt
Du auf Romane: Dir ſchaden ſie nicht. Au con¬
traire
! Verlangſt Du Neueres oder Deutſches, ſo
wende Dich an den Prediger. Perſönlich kenne ich
ihn nicht, nach ſeinen Eingaben jedoch ſcheint er —
ein wenig Phantaſt, — aber ein inſtruirter Mann.
Suche ihn auf, halte Dich an ihn. In Dir iſt kein
Boden für philanthropiſche Phantasmen; zur Betrach¬
tung haben ſie immerhin ihren Werth.“

So war es denn auch noch ein zweiter Lebens¬
born, der ſich in Reckenburg für mich erſchloß, wenn
mir auch nicht die natürliche Befriedigung des erſten
aus ihm entgegenquoll.

In der Bibliothek fand ich, — außer genealogi¬
ſchen und heraldiſchen Sammlungen, die ich unbe¬

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[195/0202] Ich bekannte, daß ich noch garnichts geleſen, mir die Freiheit zum Leſen aber längſt gewünſcht habe. „So benutze die Schloßbibliothek,“ verſetzte die Gräfin. „Sie enthält das Leſenswerthe bis um die Mitte des Jahrhunderts. Ich ſelbſt habe nicht den Sinn mehr für Lectüre, auch nicht die Zeit. Schone die Einbände und ſtelle die Bücher regelmäßig wieder an ihren Platz. Die Ordnung darf nicht geſtört wer¬ den. Der Catalog macht die Auswahl leicht. Stößt Du auf Romane: Dir ſchaden ſie nicht. Au con¬ traire! Verlangſt Du Neueres oder Deutſches, ſo wende Dich an den Prediger. Perſönlich kenne ich ihn nicht, nach ſeinen Eingaben jedoch ſcheint er — ein wenig Phantaſt, — aber ein inſtruirter Mann. Suche ihn auf, halte Dich an ihn. In Dir iſt kein Boden für philanthropiſche Phantasmen; zur Betrach¬ tung haben ſie immerhin ihren Werth.“ So war es denn auch noch ein zweiter Lebens¬ born, der ſich in Reckenburg für mich erſchloß, wenn mir auch nicht die natürliche Befriedigung des erſten aus ihm entgegenquoll. In der Bibliothek fand ich, — außer genealogi¬ ſchen und heraldiſchen Sammlungen, die ich unbe¬ 13*

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/202>, abgerufen am 21.11.2024.