des Aufsammelns und Sparens. Mir aber, dem Glückskinde, wenn mir aller Traumkunst zum Trotz, die Millionen der reichen Tante entschlüpfen sollten, die Hunderte der armen Muhme würden mir nicht entgangen sein.
Als ich wenige Tage vor meiner Heimreise von meiner Morgenwanderung in das Schloß zurückkehrte -- daß ich es eingestehe, beklommenen Herzens, weil ich die Saaten, die ich legen und sprießen sah, nicht auch reifen und ernten sehen sollte, -- überraschte mich ein lebhaftes Treiben, ein ungewohntes Gebrodel wie von Braten und Backwerk in den Wirthschaftsräu¬ men. Ein Stückfaß wurde aus dem Keller in die Gesindestube getragen, Frauen und Kinder der Beam¬ ten gingen beladen mit Weinflaschen und Kuchenkör¬ ben nach ihren Behausungen zurück; lange Tafeln für die Tagelöhner des Gutes standen gedeckt und reich¬ lich besetzt. Ich fragte nach der Ursache dieser ver¬ wunderlichen Gastlichkeit und männiglich wurde mir geantwortet, daß heute der Festtag der Reckenburg ge¬ feiert werde. Wessen Festtag? Der Kalender nannte keinen; der Einzugstag der Gräfin fiel in den hohen Sommer; ihr Wiegenfest wurde mit Stillschweigen übergangen, da sie es nicht liebte, an ihr Alter erin¬
des Aufſammelns und Sparens. Mir aber, dem Glückskinde, wenn mir aller Traumkunſt zum Trotz, die Millionen der reichen Tante entſchlüpfen ſollten, die Hunderte der armen Muhme würden mir nicht entgangen ſein.
Als ich wenige Tage vor meiner Heimreiſe von meiner Morgenwanderung in das Schloß zurückkehrte — daß ich es eingeſtehe, beklommenen Herzens, weil ich die Saaten, die ich legen und ſprießen ſah, nicht auch reifen und ernten ſehen ſollte, — überraſchte mich ein lebhaftes Treiben, ein ungewohntes Gebrodel wie von Braten und Backwerk in den Wirthſchaftsräu¬ men. Ein Stückfaß wurde aus dem Keller in die Geſindeſtube getragen, Frauen und Kinder der Beam¬ ten gingen beladen mit Weinflaſchen und Kuchenkör¬ ben nach ihren Behauſungen zurück; lange Tafeln für die Tagelöhner des Gutes ſtanden gedeckt und reich¬ lich beſetzt. Ich fragte nach der Urſache dieſer ver¬ wunderlichen Gaſtlichkeit und männiglich wurde mir geantwortet, daß heute der Feſttag der Reckenburg ge¬ feiert werde. Weſſen Feſttag? Der Kalender nannte keinen; der Einzugstag der Gräfin fiel in den hohen Sommer; ihr Wiegenfeſt wurde mit Stillſchweigen übergangen, da ſie es nicht liebte, an ihr Alter erin¬
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[203/0210]
des Aufſammelns und Sparens. Mir aber, dem
Glückskinde, wenn mir aller Traumkunſt zum Trotz,
die Millionen der reichen Tante entſchlüpfen ſollten,
die Hunderte der armen Muhme würden mir nicht
entgangen ſein.
Als ich wenige Tage vor meiner Heimreiſe von
meiner Morgenwanderung in das Schloß zurückkehrte
— daß ich es eingeſtehe, beklommenen Herzens, weil
ich die Saaten, die ich legen und ſprießen ſah, nicht
auch reifen und ernten ſehen ſollte, — überraſchte mich
ein lebhaftes Treiben, ein ungewohntes Gebrodel wie
von Braten und Backwerk in den Wirthſchaftsräu¬
men. Ein Stückfaß wurde aus dem Keller in die
Geſindeſtube getragen, Frauen und Kinder der Beam¬
ten gingen beladen mit Weinflaſchen und Kuchenkör¬
ben nach ihren Behauſungen zurück; lange Tafeln für
die Tagelöhner des Gutes ſtanden gedeckt und reich¬
lich beſetzt. Ich fragte nach der Urſache dieſer ver¬
wunderlichen Gaſtlichkeit und männiglich wurde mir
geantwortet, daß heute der Feſttag der Reckenburg ge¬
feiert werde. Weſſen Feſttag? Der Kalender nannte
keinen; der Einzugstag der Gräfin fiel in den hohen
Sommer; ihr Wiegenfeſt wurde mit Stillſchweigen
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/210>, abgerufen am 21.11.2024.
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